Interview

„Die Frauen haben eine Odyssee hinter sich“

Klaus-Peter Murawski - Staatsminister und Chef der Staatskanzlei

Es ist eine beispiellose Mission: Baden-Württemberg will bis zu 1.000 sexuell missbrauchte Frauen und Kinder aus Syrien und dem Nordirak aufnehmen. Den Frauen, die hier ankommen, gehe es körperlich und psychisch richtig schlecht, sagt Staatssekretär Klaus-Peter Murawski im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Das jüngste Vergewaltigungsopfer, das wir aufgenommen haben, ist acht Jahre alt.”

dpa: Wie viele Frauen und Kinder hat Baden-Württemberg im Rahmen des Sonderkontingents bislang aufgenommen?

Staatsekretär Klaus-Peter Murawski: Wir haben 248 Frauen und Kinder über die Stadt- und Landkreise verteilt. Weitere 70 sind identifiziert, die im September kommen werden.

Was waren die Schwierigkeiten, die es zu überwinden galt?

Murawski: Es gibt nirgendwo auf der Welt ein Sonderkontingent mit der Maßgabe, schwer sexuell traumatisierte Frauen und Kinder aufzunehmen. Daher mussten wir eine Menge rechtlicher Dinge klären. Auch in der eigenen Landesverwaltung mussten wir Hürden überwinden.

Wie werden die Frauen und Kinder ausgesucht?

Murawski: Die Frauen werden zunächst medizinisch von einer Gynäkologin im Nordirak und von einem Psychologen untersucht. Dann entscheiden drei Landesbeamte, ob die Frauen die Kriterien erfüllen. In so ein Sonderkontingent hineinzukommen, stellt im Nordirak einen erheblichen Wert da. Wir wollen sicher sein, dass die Frauen unabhängig von Religion und Ethnie ausgewählt werden. Mit Charterflügen werden die Frauen und Kinder direkt von Erbil nach Baden-Württemberg gebracht.

In welchem Zustand kommen sie hier an?

Murawski: Den meisten geht es richtig schlecht, psychisch wie körperlich. Das jüngste Vergewaltigungsopfer, das wir aufgenommen haben, ist acht Jahre alt. Und wir haben eine Jugendliche, die mehrfach brutal vergewaltigt worden ist und sich schließlich in ein Feuer gestürzt hat. Neben dem psychischen Trauma hat sie jetzt schwerste Verbrennungen, die in einer Spezialeinheit in Baden-Württemberg behandelt werden. Die Frauen haben eine Odyssee an Flucht und Unterbringungen in Flüchtlingslagern hinter sich.

Wie haben Sie geeignete Unterkünfte für sie gefunden?

Murawski: Das Projektteam hat Stadt- und Landkreise angeschrieben. Wir haben nur freiwillige Meldungen zur Grundlage unserer Entscheidungen gemacht. Allein die Stadt Freiburg nimmt 200 Frauen auf. Flächendeckend haben wir nun 650 Plätze in Baden-Württemberg gefunden. Es gibt eine abstrakte Gefährdung der Frauen. Das Sicherheitskonzept bei der Unterbringung ist so wie bei einem Frauenhaus: Wir gehen mit einem Höchstmaß an Diskretion vor.

Was kostet das Ganze?

Murawski: Das Land trägt die Kosten. Wir rechnen mit 42 Millionen Euro für 1.000 Frauen und Kinder über einen Zeitraum von drei Jahren. Hinzu kommen Kosten für die gesundheitliche Behandlung von – sehr konservativ gerechnet – maximal 53 Millionen Euro. Nach den drei Jahren muss man weitersehen. Es liegt in der Hand der Frauen, ob sie bleiben oder zurückkehren wollen.

Werden andere Bundesländer ebenfalls Frauen aufnehmen?

Murawski: Das Land Niedersachsen will 70 Frauen und Kinder aus unserem Kontingent aufnehmen. Das Land Hessen prüft derzeit noch. Mit einem weiteren Bundesland sind wir in Vorgesprächen. Man schätzt, dass 5.000 bis 6.000 Frauen in den Flüchtlingslagern im Nordirak mit schlimmen Schicksalen leben.

Kretschmann war vorgeworfen worden, er nehme die Frauen und Kinder nur deshalb auf, um seine eigenen Partei nach seinem Votum im Bundesrat zu den sicheren Herkunftsländern zu beruhigen.

Murawski: Das ist völlig absurd. Es hat mich überhaupt gewundert, dass bei so einem humanitären Projekt kritische Nachfragen aus allen Ecken gekommen sind. Kretschmann hat für den Asylkompromiss Zugeständnisse des Bundes bekommen. Die sind dokumentiert und öffentlich bekannt. Das humanitäre Engagement ist in einem Gespräch mit dem Zentralrat der Jesiden entstanden. Der Ministerpräsident war schockiert über die Schicksale. Es scheint aber in der medialen und politischen Welt für manche unvorstellbar zu sein, dass ein Ministerpräsident ausschließlich humanitäre Interessen verfolgt. Das finde ich höchst bedauerlich.

Aber die Frage ist doch: Wo fängt man an mit dem humanitären Engagement und wo hört man auf?

Murawski: Es gibt ein indianisches Gleichnis, das ich gerne zitiere: Da brennt ein Wald, die Tiere stehen erschrocken am Waldrand. Sie sehen, dass ein Kolibri einen Tropfen Wasser über den Flammen abwirft. Sie fragen ihn: „Du wirst doch nicht glauben, dass Du mit einem Tropfen Wasser die Flammen löschen kannst?” Da sagt der Kolibri: „Im Gegensatz zu Euch habe ich das mir Mögliche getan.”

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