Die Entlastungsallianz für Baden-Württemberg hat ein erstes Entlastungspaket mit rund 20 Erleichterungen vorgelegt. Aus Sicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann können Land, Kommunen und Wirtschaft zusammen viel erreichen und gemeinsam ungenutzte Potentiale des Bürokratieabbaus erschließen.
Die Entlastungsallianz, das von Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Juli des vergangenen Jahres mit Kommunal- und Wirtschaftsverbänden geschlossene Bündnis zum Bürokratieabbau, legt nun ein erstes Paket vor. Das „Entlastungspaket I“ sieht vor, dass Vergabeverfahren vereinfacht werden, sämtliche Schriftformerfordernisse bei Nutzung digitalisierter Verwaltungsleistungen aus dem Bereich des Onlinezugangsgesetzes (OZG) entfallen, die Schulverwaltungen bei der Datenverarbeitung entlastet und das kommunale Haushaltsrecht flexibilisiert werden.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte nach der Sitzung des Lenkungskreises des Bündnisses am Freitag, 23. Februar 2024: „Die Menschen erwarten Lösungen, um das Dickicht an verflochtenen Regelungen und Verfahren zu lichten. Ich freue mich, dass das Format der Entlastungsallianz bereits nach wenigen Wochen Arbeit Erfolge vorweisen kann. Land, Kommunen und Wirtschaft können zusammen viel erreichen und gemeinsam ungenutzte Potentiale des Bürokratieabbaus erschließen. Schon mit den ersten Ergebnissen setzen wir Ressourcen frei, die unmittelbar der Zukunftsfähigkeit des Standorts zugutekommen.“
Der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl ergänzte: „In Baden-Württemberg wollen wir einen starken und gleichzeitig einen schlanken Staat. Unser Ansatz ist daher: Neugierde und Freiräume statt Bürokratie und Bedenken. Genau hier setzen wir mit unserer Entlastungsallianz an. Wir sorgen damit für einen großen Bürokratieabbau und entlasten die Menschen, die Wirtschaft und den Staat. Wir denken von den Bürgerinnen und Bürgern her und verschlanken die Verwaltung.“
Verbände: Gelungener Start
Für die acht Verbände erklärten die Präsidenten Steffen Jäger (Gemeindetag Baden-Württemberg), Dr. Frank Mentrup (Städtetag Baden-Württemberg), Joachim Walter (Landkreistag Baden-Württemberg), Christian O. Erbe (Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag), Rainer Reichhold (Baden-Württembergischer Handwerkstag), Dr.-Ing. Rainer Dulger (Unternehmer Baden-Württemberg), Peter Schneider (Sparkassenverband Baden-Württemberg), Dr. Ulrich Theileis (Baden-Württembergischer Genossenschaftsverband) gemeinsam:
„Das erste Entlastungspaket liegt nun auf dem Tisch. Das ist wichtig, denn damit wird klar, die Entlastungsallianz kann Ergebnisse liefern. Der Start ist damit gelungen. Jetzt gilt es, dass die geeinten Maßnahmen schnell und zielgerichtet vom Land umgesetzt werden, um die angestrebte Entlastungswirkung für die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen und Betriebe und auch die Verwaltungen erlebbar zu machen. Gleichzeitig müssen wir uns bewusstmachen: Mit diesem ersten Maßnahmenpaket wurden niedrighängende Früchte geerntet. Wenn wir unserem Anspruch gerecht werden wollen, auch Aufgaben und Standards zu überprüfen und anzupassen, muss sich die Entlastungsallianz nun auch an die dickeren Bretter heranwagen. Das ist unsere klare Erwartungshaltung für die nächsten Wochen und für ein Entlastungspaket II.“
Schriftformerfordernisse reduzieren
Das „Entlastungspaket I“ mit rund 20 Maßnahmen sieht beispielsweise vor, dass sämtliche Schriftformerfordernisse für Nutzerinnen und Nutzer von OZG-Leistungen über das Portal Service BW gestrichen werden. Dies kommt allen Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft zugute. In der Facharbeitsgruppe „Verwaltungsorganisation“ unter Federführung des Ministeriums des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen wurde darüber hinaus vereinbart, dass in allen sonstigen Rechtsnormen noch vorhandene Schriftformerfordernisse wo immer möglich durch eine einfache Textform ersetzt werden. Anstatt eines Schriftstücks mit Originalunterschrift ist somit eine einfache E-Mail ausreichend.
Vergabeverfahren vereinfachen
In der Facharbeitsgruppe „Unternehmen“ konnte unter Federführung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus unter anderem ein Durchbruch bei den sogenannten Vergabe-Wertgrenzen bei öffentlichen Beschaffungen erzielt werden. So können beispielsweise zukünftig Liefer- und Dienstleistungsaufträge von Land und Kommunen bis zu dem von der Europäischen Union (EU) vorgegebenen Schwellenwert in Höhe von 221.000 Euro mit einer beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden; kommunale Bauleistungen bis zu einer Wertgrenze von einer Million Euro. Durch die substantielle Anhebung der Wertgrenzen werden voraussichtlich bis zu 5.000 Verfahren pro Jahr deutlich aufwandsärmer und schneller. Etwa ein Drittel der kommunalen Vergaben werden von dieser Entlastung profitieren. Auch bei der Vergabe durch Landeseinrichtungen kommt es zu signifikanten Entlastungen der Vergabestellen. Die Erstellung eines Angebots soll zusätzlich für Unternehmen durch schlankere Verfahren vereinfacht werden.
Weitere Entlastungen im kommunalen Haushaltsrecht
Für die Kommunen sind darüber hinaus weitere Entlastungen im kommunalen Haushaltsrecht vorgesehen: Der Gesamtabschluss soll vereinfacht oder alternativ der Beteiligungsbericht um eine vereinfachte Darstellung der gesamten Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Kernhaushalts und seiner ausgelagerten Bereiche (Eigenbetriebe, Gesellschaften et cetera) erweitert werden. Indem den Kommunen ein Wahlrecht zwischen Gesamtabschluss und erweitertem Beteiligungsbericht eingeräumt wird, sinkt der Aufwand erheblich. Insbesondere müssen künftig weniger teure externe Rechnungsprüfungen beauftragt werden.
Schulverwaltung bei der Datenverarbeitung entlasten
Im Bereich Bildung hat die zuständige Facharbeitsgruppe unter Federführung des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport eine Reform des Schulgesetzes auf den Weg gebracht. Der Schulverwaltung wird ermöglicht, im Auftrag der Schulen Aufgaben in der Datenverarbeitung zu übernehmen. So muss nicht jede Schule einzeln Verträge über die Auftragsdatenverarbeitung abschließen. Durch die Bündelung gleichartiger Aufgaben am Kultusministerium wird außerdem eine Mehrfachprüfung desselben Vertrags vermieden. Dies entlastet die Schulen erheblich von Verwaltungsaufwand bei der Nutzung landesweit angebotene Systeme, wie beispielsweise der Digitalen Bildungsplattform.
Das Entlastungspaket I: Liste der beschlossenen Maßnahmen
Bürokratieabbau und Verwaltungsmodernisierung sind Schlüsselelemente zur Erhaltung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes. In der Entlastungsallianz für Baden-Württemberg erarbeiten Verwaltung, Verbände und Experten in neun Arbeitsgruppen gemeinsam praxistaugliche, funktionierende Lösungsvorschläge zum Bürokratieabbau. Zunächst standen schnell lösbare Punkte im Fokus. Grundlage der Facharbeit sind zunächst 200 Problemanzeigen. Nach rund zehn Wochen Arbeit konnte nun für gut zehn Prozent eine Einigung erzielt werden.
Die Optimierung von internen Prozessen ist zur Vermeidung von Bürokratismus sowie überlanger Bearbeitungszeiten essenziell. Es gilt daher über Ebenen- und Sektorengrenzen hinweg als aufwändig erkannte Prozesse zu hinterfragen und wo möglich zu vereinfachen. Die ersten Lösungsvorschläge beinhalten:
- Verwaltungsdienste erleichtern durch eine Reform der Schriftformerfordernisse bei Online-Verfahren sowie den systematischen Abbau durch ein erneutes Normscreening (Facharbeitsgruppe (FAG) Verwaltungsorganisation),
- Verständlichkeit von Behördenschreiben verbessern durch die Einführung der Software „TextLab“ in Landesbehörden (FAG Verwaltungsorganisation),
- Erleichterungen bei der Aufnahme und Verteilung von unbegleiteten minderjährigen geflüchteten Kindern und Jugendlichen (FAG Justiz, Migration und Integration), bspw. durch die Weiterentwicklung von Strukturen und Prozessen auf Ebene der Jugendämter und vereinfachte Abrechnungsmodalitäten,
- Optimierung von service-bw durch Einrichtung und Aufbau einer Lebenslage „Neuankunft ausländischer Fachkräfte“ (FAG Justiz, Migration und Integration),
- Vereinfachung der Schulfinanzierung durch Anhebung der Auswärtigenzuschläge bei der Schulbauförderung (FAG Schule und Bildung),
- Verfahrenserleichterung in der Auftragsdatenverarbeitung von Schulen durch die Reform des Schulgesetzes (FAG Schule und Bildung).
Weitere Entlastung für die Kommunen bringt auch die Flexibilisierung des kommunalen Haushaltsrechts durch ein Wahlrecht zwischen Gesamtabschluss und erweitertem Beteiligungsbericht (FAG Verwaltungsorganisation). Der Gesamtabschluss soll vereinfacht oder alternativ der Beteiligungsbericht um eine vereinfachte Darstellung der gesamten Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Kernhaushalts und seiner ausgelagerten Bereiche (Eigenbetriebe, Gesellschaften et cetera) erweitert werden.
Verfahren im Förderbereich binden von der Beantragung bis zur Bewilligung wertvolle Ressourcen bei den Antragsstellenden. In der FAG Förderungen und Zuwendungen wurden daher zahlreiche entlastende Anpassungen in der Verwaltungsvorschrift (VwV) zur Landeshaushaltsordnung (LHO) erarbeitet, die in eine umfassende Überarbeitung der Vorschrift münden sollen.
Entlastend werden sich insbesondere die Erhöhung von Bagatellgrenzen für stichprobenhafte Prüfung, der Verzicht auf die Vorlage von Belegen (Ausnahmeregelung wird zu Regelfall) und ein erhöhter Vertrauensschutz bei Förderungen an Kommunen und bei langjährigen wiederkehrenden Zuwendungsempfängern auswirken.
Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen werden auch die technischen Prozesse optimiert. Dem Antragsteller wird durch digitale Lösungen und bei Unterschreitung von Bagatellgrenzen die Antragsstellung per E-Mail ermöglicht. Etwaige Zwischenlösungen sollen später durch medienbruchfreie digitale Verfahren ersetzt und erheblich vereinfacht werden.
In der FAG Unternehmen arbeiten derzeit Expertenkreise an Entlastungsvorschlägen in den Bereichen Berichts- und Dokumentationspflichten, Gastronomie und Vergabewesen. Zudem soll ein gemeinsamer Antrag zum Vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) in den Bundesrat eingebracht werden.
Im Expertenkreis Vergabe wurden unter anderem bedeutende Vereinfachungen im Vergaberecht durch die deutliche Anhebung der Wertgrenzen für kommunale Liefer-, Dienstleistungs- sowie Bauaufträge, als auch Liefer- und Dienstleistungsaufträge von Landeseinrichtungen ausgearbeitet und von der FAG 2 beschlossen. Zukünftig können Liefer- und Dienstleistungsaufträge von Land und Kommunen bis zu dem von der EU vorgegebenen Schwellenwert in Höhe von 221.000 Euro mit einer beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden. Bei kommunalen Bauleistungen kann dieses Verfahren bis zur Wertgrenze von einer Million Euro genutzt werden. Daneben wurden ebenfalls Vereinfachungen hinsichtlich der vorzulegenden Nachweise und Kriterien im Vergabeverfahren beschlossen und es wird weiterhin an prozessualen Erleichterungen durch verbesserte Ausschreibungsqualität und vereinfachte Verfahren für die Anbieter gearbeitet.
Im Expertenkreis Berichts- und Dokumentationspflichten wurde ein Konzept erstellt, um mit Hilfe Künstlicher Intelligenz über IT-Tools der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart sämtliche belastende Informationspflichten im Landesrecht mit dem Adressat Wirtschaft zu ermitteln und anschließend in einen strukturierten Prüf- und Überarbeitungsprozess einzusteigen.
Im Expertenkreis Gastronomie ist man übereingekommen, als ein Baustein zu überprüfen, inwieweit im Rahmen einer Novellierung im Gaststättenrecht Entlastungen der Branche erreicht werden können.
Auch auf die Gründungsaktivitäten im Land wirkt sich die momentane Bürokratielast aus. Das Wirtschaftsministerium beteiligt sich daher am Projekt „einfacher gründen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit dem Ziel einer Vereinfachung der im Gründungsprozess notwendigen administrativen und bürokratischen Schritte.
Wie schnelle branchenbezogene Entlastung funktionieren kann, zeigt die FAG Mobilität. Hier wurde mit der Überarbeitung der Kriterien für die Freigabe von Strecken für Lang-Lkw auf dem nachgeordneten Straßennetz bereits eine praxisfreundliche Lösung zur Entlastung von Speditions- und Logistikunternehmen erarbeitet.
Die Entlastungsallianz hat erfolgreich ihre herausfordernde Arbeit aufgenommen. Die bereits jetzt gemeldeten Ergebnisse sind nur ein Anfang. Sie zeigen aber, dass das Arbeitsformat Entlastungsallianz funktioniert und Entlastungspotenziale effektiv gehoben werden können. Derzeit befinden sich zahlreiche weitere Vorschläge in Bearbeitung. Ein besonderer Fokus soll FAG-übergreifend auf den Abbau belastender Berichts- und Dokumentationspflichten gelegt werden. Mit dem in der FAG Unternehmen in Erprobung befindlichen KI-gestützten Tool soll hierbei auch ein innovativer GovTech Ansatz Anwendung finden.
Der Lenkungskreis begrüßt die Beschlüsse der Facharbeitsgruppen und bittet die federführenden Ressorts um zügige Umsetzung der Vorschläge unter Beachtung der haushalterischen Rahmenbedingungen.
Entlastungspaket I der Entlastungsallianz für Baden-Württemberg (PDF)
Entlastungsallianz Baden-Württemberg
Die im Staatsministerium von Staatsminister Dr. Florian Stegmann koordinierte Entlastungsallianz wurde im Sommer 2023 auf den Weg gebracht. Noch vor dem formalen Ministerratsbeschluss im November 2023 wurden Behörden und Verbände um möglichst konkrete Problemanzeigen gebeten. Diese wurden zu Themenfeldern zusammengefasst und priorisiert. Gleichzeitig wurden innovative Arbeitsstrukturen auf Fachebene aufgebaut, in denen konstruktiv Lösungen entwickelt werden können. In neun Facharbeitsgruppen entwickeln Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Verbänden und der Praxis seit Dezember 2023 gemeinsam Entlastungsvorschläge. Ziel dabei ist, schnell zu ersten Ergebnissen zu kommen. Nach Verabschiedung des ersten Entlastungspakets wird sich das Bündnis nun weiter der noch bevorstehenden Mammutaufgabe stellen.
Die Entlastungsallianz ist als offenes und flexibles Arbeitsformat angelegt. Es können kontinuierlich weitere Vorschläge eingebracht werden. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf der strukturierten Prüfung der landesrechtlichen Berichts- und Dokumentationspflichten liegen. Damit wird ein weiteres, gerade auch für die Wirtschaft zentrales Thema verstärkt in den Fokus rücken.
Weitere Entlastungspakete sollen folgen. Dabei konzentrieren sich die Akteure zuvorderst auf Landesregelungen. Mit Blick auf viele Vorgaben von Bund und EU sollen jedoch auch an diese Ebenen Änderungsvorschläge adressiert werden, wenn sich alle Akteure einig sind.