Der Wissenschaftliche Beirat für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung berät die Politik im Land in Sachen Bürgerbeteiligung. In seiner jetzigen Zusammensetzung kam das Gremium zum zweiten Mal zusammen. Der Landesregierung ist es ein wichtiges Anliegen, die Bürgerbeteiligung auszubauen.
„Bürgerbeteiligung ist ein Markenzeichen unserer Landesregierung. Wir sind hier bundesweit führend. Diesen Vorsprung wollen wir erhalten. Der Wissenschaftliche Beirat für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung begleitet bereits seit Jahren erfolgreich unser Ziel, die Bürgerbeteiligung auszubauen“, so Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Barbara Bosch am 4. Oktober 2022. In seiner jetzigen Zusammensetzung kam das Gremium zum zweiten Mal zusammen. Die Staatsrätin betonte: „Es ist sehr hilfreich für unsere praktische Arbeit, einen unabhängigen Blick gespiegelt zu bekommen. Denn gerade in diesen krisenhaften Zeiten ist es entscheidend, wie wir kommunizieren und mit Protesten umgehen.“ Themen der Sitzung waren die Evaluierung von Bürgerforen aus Baden-Württemberg und aus Österreich, die Demokratiezufriedenheit in Baden-Württemberg sowie der Austausch darüber, wie Abstimmungsfragen bei Bürgerentscheiden verständlicher formuliert werden könnten.
Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim hatte bereits 2021 die Zufriedenheit mit der Politik in Baden-Württemberg und deutschlandweit erhoben. In seiner aktuellen Studie „Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie aus Sicht der Bürger:innen in Baden-Württemberg, 2022“ sank die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Baden-Württemberg im Vergleich zur vorherigen Umfrage um sechs Prozentpunkte auf 68 Prozent. In anderen Bundesländern seien 59 Prozent mit dem Funktionieren der Demokratie in ihrem Bundesland zufrieden, erklärte Brettschneider. Weiterhin habe die dialogische Bürgerbeteiligung einen hohen Stellenwert: Etwa zwei Drittel der Befragten wünschten sich eine Demokratie, in der zwar grundsätzlich die gewählten Abgeordneten die politischen Entscheidungen treffen, in der sie aber vorher die Bürgerinnen und Bürger anhören und deren Empfehlungen in ihre Überlegungen einbeziehen. „Wenn Menschen an dialogischer Beteiligung teilnehmen und mit dem Verfahren oder dem Ergebnis zufrieden sind, steigt ihre Demokratiezufriedenheit. Je unzufriedener Menschen mit dem Funktionieren der Demokratie sind, desto eher fordern sie Verfahren der direkten Demokratie. Das betrifft vor allem Anhänger der AfD und der Links-Partei“, so Brettschneider.
Abstimmungsfragen bei Bürgerentscheiden einfacher formulieren
Prof. Dr. Arne Pautsch und sein Mitarbeiter Florian Feigl von der Verwaltungshochschule Ludwigsburg waren als Gäste geladen. Sie prüfen rechtlich das Versprechen der Regierungskoalition, dass Abstimmungsfragen bei Bürgerentscheiden in Zukunft einfacher formuliert werden können. Gerade im kommunalen Kontext müssen viele Bürgerinnen und Bürger mit „Ja“ abstimmen, wenn sie sich gegen eine Planung der Kommune richten. „Wir möchten mit den Möglichkeiten des Rechts die Qualität der Gegenstände von Bürgerentscheiden insgesamt verbessern, etwa auch dadurch, dass Abstimmungsalternativen ermöglicht werden“, so Pautsch. An der Stelle plant die Koalition eine Regelung wie in Bayern, in der auch zwei gegensätzliche Abstimmungen durchgeführt werden können.
Die Wiener Politikwissenschaftlerin und Demokratieberaterin Dr. Tamara Ehs und Prof. Dr. Ulrich Eith von der Universität Freiburg stellten ihre Evaluationen von Bürgerforen vor. In Österreich hatte es auf Bundesebene und im Land Vorarlberg Bürgerforen zum Klimaschutz gegeben. Dr. Ehs stellte hier fest, dass „die Auswahl der Teilnehmer zu wenig Beachtung findet. Die Legitimation von Bürgerräten speist sich daraus, dass sie die Bevölkerung abbilden. Tatsächlich fehlen in den untersuchten Klimaräten aber jüngere Teilnehmer, jene mit Migrationsgeschichte und jene, die dem Thema skeptisch gegenüberstehen.“ Prof. Dr. Eith untersuchte online durchgeführte Bürgerforen in Baden-Württemberg. „Videokonferenzen haben nicht nur organisatorische Vorteile, wie beispielswiese eine Zeitersparnis“, so Eith. Auch ließen sich die Ergebnisse aus Chats und Abstimmungen besser festhalten. „Die persönliche Begegnung von Menschen, das soziale Lernen und der intensive Austausch auch in kleiner Runde lassen sich online allerdings kaum kompensieren. Bei landesweiten oder regionalen Beteiligungsverfahren können aber dennoch Online- oder gemischte Formate genutzt werden“, so der Wissenschaftler.
Pandemie als Game Changer für Online-Beteiligung
Die Staatsrätin bezeichnete die letzten Jahre mit Pandemie als Game Changer für die Online-Beteiligung: „Sich online zu beteiligen, ist jetzt etwas vollkommen anderes als noch vor ein paar Jahren. Früher basierte sie auf schriftlichem Austausch. Mit der Pandemie waren wir gezwungen, die Formate der Bürgerbeteiligung wie das Sammeln von Ideen auf Zetteln ins Digitale zu holen,“ so die Staatsrätin.
In der nächsten Sitzung befasst sich der Wissenschaftliche Beirat mit der Evaluation der in Gründung befindlichen Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung und mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in Zeiten der Energiekrise.
Wissenschaftlicher Beirat für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung
Unter Staatsrätin Barbara Bosch wurde der Wissenschaftliche Beirat für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung neu aufgestellt. Er soll die Arbeit der Staatsrätin unterstützen. Neben den Aspekten der Bürgerbeteiligung und der Zivilgesellschaft nimmt sich der Beirat auch Fragen der Planungsbeschleunigung und des gesellschaftlichen Zusammenhalts an.
Der Wissenschaftliche Beirat berät zu den Themenbereichen Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Einstellungen zu Europa und politische Bildung. Konkrete Projekte der Landesregierung in diesen Bereichen werden vom Beirat begleitet. Er tagt dreimal pro Jahr und umfasst sieben Mitglieder:
- Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Kommunikationswissenschaft
- Prof. Dr. Ulrich Eith, Universität Freiburg, Studienhaus Wiesneck
- Laura-Kristine Krause, More in Common, Geschäftsführerin
- Prof. Dr. Ortwin Renn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), Potsdam
- Dr. Tamara Ehs, Demokratieberaterin / SFU Wien und Goethe-Universität Frankfurt
- Prof. Dr. Monika Waldis Weber, Direktorin ZDA und Abteilungsleiterin Politische Bildung und Geschichtsdidaktik
- Prof. Dr. Dr. h.c. Jan Ziekow, Direktor des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung, Speyer
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