Die Ministerpräsidenten der „Autoländer“ Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen haben sich im Gespräch mit Vertretern der EU-Kommission für einen intensiven europäischen Dialog zur Transformation der Automobilwirtschaft in Europa eingesetzt und ein gemeinsames Positionspapier vorgestellt.
Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen beheimaten zusammen die größte und bedeutsamste Automobilwirtschaft der Welt – mit weit über einer Million Arbeitsplätzen. Die Wertschöpfungsketten erstrecken sich von den großen Automobilkonzernen bis zu tausenden kleinen und mittelständischen Zulieferbetrieben über den gesamten europäischen Kontinent. Um den Wandel hin zu einer klimaschonenden Mobilität wirtschaftlich erfolgreich und sozial verträglich voranzutreiben, haben die Ministerpräsidenten der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen heute Nachmittag im Gespräch mit EU-Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans, EU-Exekutiv-Vizepräsidentin Margarete Vestager und Industrie-Kommissar Thierry Breton ein gemeinsames Positionspapier vorgestellt.
Für die drei Ministerpräsidenten ist klar, dass es eine gemeinsame europäische Kraftanstrengung braucht, um die Zeitenwende der Automobilwirtschaft zu einer Erfolgsgeschichte zu machen – für die Menschen, die Unternehmen und für das Klima. Dafür sei der European Green Deal als zentrales Element einer ambitionierten europäischen Wachstums- und Innovationsstrategie immens wichtig.
Impulsgeber und Zukunftslabor für erfolgreiche Transformation
„Wir bekennen uns zu den Pariser Klimazielen und dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Und deshalb wollen wir zum Impulsgeber einer wirtschaftlich und umweltpolitisch nachhaltigen Mobilität werden, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Automobilsektor auch für die Zukunft sicherstellt“, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Ministerpräsident Markus Söder ergänzte: „Der European Green Deal bietet die Chance, den Emissionshandel als Leitinstrument der europäischen Klimapolitik zu etablieren. Mit Blick auf die Dimension der Aufgabe können wir so sicherstellen, dass der notwendige Klimaschutz marktwirtschaftlich und zu minimalen Kosten erfolgt.“
„Die Verschärfung der Klimaziele kann nur erreicht werden, wenn wir sehr zeitnah zu einem deutlich höheren Anteil von Elektrofahrzeugen kommen“, so Ministerpräsident Stephan Weil. „Das schönste Elektrofahrzeug aber taugt in der Klimabilanz nichts, wenn es mit Kohlestrom geladen wird. Wir brauchen daher dringend europaweite Vorgaben für den Ausbau erneuerbarer Energien.“
Um diese Ziele zu erreichen, seien einheitliche Regulierungen und wirksame Leitplanken in Europa notwendig. „Wir müssen der Wirtschaft Planungssicherheit gewähren und technologieoffen alle ökonomischen und ökologischen Potenziale nutzen. Es ist auch unerlässlich, dass wir gemeinsam den europäischen Weg bei der Digitalisierung und dem autonomen und vernetzten Fahren stärker vorantreiben“, betonte Kretschmann.
Söder unterstrich: „Bei allen Maßnahmen der EU müssen wir die Transformationsfähigkeit der kleinen und mittelständischen Unternehmen in den Blick nehmen – auch in den einzelnen Regionen. Nur so können wir die Akzeptanz der Klimaschutzmaßnahmen sicherstellen. Wir müssen auch auf europäischer Ebene dafür werben, dass ganz Europa auf breiter Front technologisch führend bleibt.“
Stephan Weil ergänzte: „Der Automobilsektor sollte allerdings nicht isoliert von anderen Industriesektoren betrachtet werden. Wir setzten uns daher beispielsweise auch für die Anerkennung von grünem, aus regenerativ erzeugtem Wasserstoff produzierten Stahl als Ökoinnovation zur CO2-Einsparung ein.“
Europäischen Dialog stärken
Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen unterstützen den Wandel ihrer Automobilbranche bereits seit Jahren. Neben den beiden großen Transformationsthemen Dekarbonisierung und Digitalisierung wird die Branche durch die Folgen der Corona-Pandemie vor zusätzliche Herausforderungen gestellt. Dieser gewaltige Umbruch erfordere eine intensive europäische Zusammenarbeit. Dazu sind in dem gemeinsamen Positionspapier der drei Länder unter anderem folgende Forderungen formuliert:
- Dialogformat auf europäischer Ebene einführen: Die Dialogformate in den drei Autoländern haben sich als geeignete Instrumente bewährt, um unter Einbindung sämtlicher Stakeholder politische und gesellschaftliche Ziele mit den Anforderungen an eine funktionierende Wirtschaft und deren Transformation voran zu bringen. Analog sollte in Europa ein ähnlicher Prozess gestartet werden. Die geplante Einrichtung eines neuen EU-Industrieforums für die Weiterentwicklung unserer industriellen Ökosysteme könnte dafür eine geeignete Plattform bieten.
- Aufbau einer europaweiten Lade- beziehungsweise Tankinfrastruktur: Hier braucht es weitere europäische Anstrengungen, mehr Anreize für private Investitionen und einheitliche Standards für das Bezahlen an öffentlichen Ladesäulen.
- Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben: Die Erreichung der Klimaziele bis 2030 zieht auch im Automobilsektor einen erhöhten Strombedarf nach sich. Deshalb bedarf es europaweiter Anstrengungen für einen Ausbau erneuerbarer Energien, damit der zusätzliche Strombedarf nicht aus fossilen Kraftwerken gedeckt wird.
- Förderung einer treibhausgasarmen, auf erneuerbaren Energien basierenden Batteriezellproduktion intensivieren: Ein Fokus muss dabei auf der Recyclingfähigkeit und Rückgewinnung von Rohstoffen aus Batterien liegen.
- Weitere Investitionen in die europäische Forschungs- und Innovationslandschaft als Motor der Transformation.
- Verlässliche europäischer Rahmenbedingungen für Investitionen in auf regenerativen Energien basierenden Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen schaffen.
- Den Einsatz und die Anwendungsbereiche von Ökoinnovationen wie etwa grünem Stahl weiter ausbauen und wirksame Anreizsysteme für Hersteller zur nachhaltigen Versorgung mit Werkstoffen bieten.
- Den europäischen Weg bei der Digitalisierung und dem autonomen und vernetzten Fahren sichern: Hier besteht Anpassungsbedarf beim Rechtsrahmen (unter anderem Vereinfachung des Datenzugangs, der Datennutzung und -weitergabe). Es bedarf zudem einer Förderung länderübergreifender Forschung und Investitionen und gemeinsamer europäischer Standards.
- Erweiterte Experimentierklauseln im europäischen Wettbewerbsrecht einführen, insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung.
- Das EU-Beihilferecht anpassen, um mitgliedstaatliche Förderungen möglich zu machen.
- Ein europaweites Flottenaustauschprogramm für Nutzfahrzeuge und Busse (Umstellung auf Euro VI Fahrzeuge) prüfen, um die nötige wirtschaftliche Erholung der Nutzfahrzeugindustrie und des ÖPNV zu unterstützen und dem Klima zu helfen.
- Die Automobilwirtschaft ist eine europäische Schlüsselindustrie. Mit ihrem hohen Anteil an Beschäftigung und Wertschöpfung ist sie ein industrieller Kern der Europäischen Union. Allein in Deutschland arbeiten rund 2,2 Millionen Beschäftigte in der Industrie und den mit ihr verbundenen Wirtschaftszweigen. Die Industrie ist zudem der Wirtschaftszweig mit der größten Bruttowertschöpfung (fünf Prozent) in Deutschland. 70 Prozent dieser Wertschöpfung entstehen dabei in vorrangig mittelständisch geprägten Zuliefererunternehmen. Die drei Länder Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen sind zentrale Standorte für die Industrie, in Deutschland und in Europa. Allein hier hängen über eine Millionen Arbeitsplätze von der Produktion von Kraftfahrzeugen ab. Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen stehen als Mitglieder des Deutschen Bundesrates und Vertreter von rund 32 Millionen EU Bürgern dafür ein, die Transformation der Automobilwirtschaft im Rahmen der europäischen Klimaziele zu einem Erfolg zu führen und somit auch in Zukunft zur industriellen Stärke und Beschäftigung Europas beizutragen: Wir bekennen uns zu den Pariser Klimazielen und dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Wir begrüßen die neuen Klimaziele der Europäischen Kommission, die Treibhausemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren und erwarten, dass dafür die damit verbundenen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
- Wir begrüßen die von der Kommission vorgeschlagene Ausweitung des Emissionshandels insbesondere auch auf den Verkehrssektor. Der Emissionshandel ist ein marktwirtschaftliches Instrument, mit dem die ambitionierten Klimaschutzziele kosteneffizient zu erreichen sind. Emissionshandel und sektorspezifische Maßnahmen stehen dabei jedoch in einem hohen regulativen Spannungsverhältnis. Eine Erhöhung der Flottengrenzwerte bedarf ein umfassendes Impact-Assessment, das auch die Auswirkungen und die Transformationsfähigkeit der KMU der Zulieferindustrie in den Blick nimmt. Diese Überprüfung sollte im Dialog mit allen relevanten Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaft, Zivilgesellschaft vorgenommen werden. Darüber hinaus bedarf es ausgebauter Instrumente zur Vermeidung von Carbon Leakage.
- Im Zusammenspiel mit der zu überarbeitenden Lastenteilungsverordnung ist daher ein konsistenter Regulierungsrahmen entscheidend. Der neue Verteilungsschlüssel muss zum einen so ausgestaltet sein, dass die höheren Ziele auch für jeden Mitgliedstaat erreichbar bleiben und zum anderen die notwendige Transformation der Wirtschaft hin zu einer innovativen, nachhaltigen Industrie mit hohem Wertschöpfungspotenzial und zukunftsfähigen hochwertigen Arbeitsplätzen unterstützt wird. Zur Erreichung der Ziele bedarf es europäischer Lösungen, verlässlicher Rahmenbedingungen und Förderinstrumente. Zum anderen sollten Sektoren, die dem Emissionshandel unterliegen, aus dem Geltungsbereich der Lastenteilungsverordnung fallen.
- Wir bitten die Kommission zudem, in allen Vorschlägen die Technologieneutralität zu fördern. Politik kann die Rahmenbedingungen im Kampf gegen den Klimawandel setzen – die Auswahl der wirtschaftlich effizientesten Mittel kann aber nicht vom Staat übernommen werden. Dies gilt insbesondere bei der angekündigten Revision der Erneuerbaren Energien-Richtlinie (RED II).
- Zudem bedarf es zusätzlicher Anstrengungen beim Aufbau einer europaweiten Lade- beziehungsweise Tankinfrastruktur. Wir begrüßen daher die Ankündigungen der Kommission, die Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (2014/94/EU) evaluieren zu wollen. Hierbei bedarf es auch europaweit, flächendeckende Anreize für private Investitionen in die Ladeinfrastruktur. Zudem bedarf es einheitlicher Standards für das Bezahlen an öffentlichen Ladesäulen.
- Die Erreichung der Klimaziele bis 2030 zieht auch im Automobilsektor einen erhöhten Strombedarf nach sich. Deshalb bedarf es europaweiter Anstrengungen für einen entsprechenden Ausbau erneuerbarer Energien, damit der zusätzliche Strombedarf nicht aus fossilen Kraftwerken gedeckt wird.
- Eine höhere Elektrofahrzeugproduktion zieht einen erhöhten Bedarf der Hersteller an Batterien nach sich. Studien gehen davon aus, dass der Bedarf an Batteriekapazität in Europa im Jahr 2030 im Vergleich zum 37,5 Prozent-Szenario von 194 GWh auf 320 GWh steigt. Ohne die umfassende Förderung einer treibhausgasarmen, auf erneuerbaren Energien basierenden Batteriezellproduktion besteht die Gefahr, dass europäische Hersteller, Zulieferer und Energieunternehmen auf einem zentralen Zukunftsfeld den Anschluss verlieren. Dabei sollte auch die Recyclingfähigkeit und Rückgewinnung von Rohstoffen aus Batterien berücksichtigt werden. Deshalb werden in angemessener Höhe Fördermittel zur Errichtung von Produktionsstätten und für Forschung und Entwicklung zur Batteriezellfertigung sowie zum Recycling und zur Rückgewinnung benötigt. Die bisherige Förderung unter dem Rahmen für „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI), der für neue Technologien geschaffen wurde, ist für den Aufbau eines neuen Industriesektors zu limitiert und damit nicht geeignet. Zudem werden die Fabriken auf europaweit wettbewerbsfähige Strompreise angewiesen sein.
- Zur Umsetzung der Transformation ist eine exzellente Forschungs- und Innovationslandschaft die wichtigste Voraussetzung.
- Es bedarf langfristig verlässlicher europäischer Rahmenbedingungen. Insbesondere für Investitionen in auf regenerativen Energien basierenden Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen müssen zeitnah Investitionsentscheidungen getroffen werden, damit diese Ende der zwanziger Jahre in größeren Mengen zur Verfügung stehen können. Die drei Länder begrüßen in diesem Kontext die geplanten „Important Projects of Common European Interest“. (IPCEI) zum Thema Wasserstoff und Brennstoffzellentechnologien. Allerdings sollten die Voraussetzungen für eine Förderung in diesem Rahmen erleichtert werden.
- Ökoinnovationen dürfen nicht auf den Automobilsektor beschränkt werden. Absehbare Innovationen im Bereich der Grundwerkstoffe sollten zur Erweiterung des Anwendungsbereiches des Instruments der Ökoinnovationen im Rahmen der EU-PKW-Emissionsverordnung (2019/631) führen. Die Anerkennung von grünem Stahl als Ökoinnovation zur CO2-Einsparung, welcher mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff produziert wird, würde ein wirksames Anreizsystem für Hersteller zur nachhaltigen Versorgung mit Werkstoffen bieten. Eine entsprechende Idee liegt der EU-Kommission (GD Binnenmarkt) bereits zur Prüfung vor.
- Bei Ausarbeitung eines Grenzausgleichsmechanismus muss WTO-Konformität im Vordergrund stehen. Multilaterale Organisationen müssen gestärkt werden und die Unternehmen brauchen Rechtssicherheit. Auch müssen Handelskonflikte vermieden werden. Wir unterstützen explizit auch die diplomatischen Initiativen der Kommission für weltweit hohe Klimaambitionen.
- Wir müssen zudem gemeinsam den europäischen Weg bei der Digitalisierung und dem autonomen und vernetzten Fahren sichern. Hier besteht Anpassungsbedarf beim Rechtsrahmen (u.a. Vereinfachung des Datenzugangs, der Datennutzung und -weitergabe). Es bedarf zudem einer Förderung länderübergreifender Forschung und Investitionen und gemeinsamer europäischer Standards. Darüber erforderlich sind z.B. schnelle Straßenzulassungen von autonom fahrenden Fahrzeugen, um etwa Level 3-Technologien hier in Europa nutzen zu können.
- Im europäischen Wettbewerbsrecht bedarf es hier erweiterter Experimentierklauseln. Insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung müssen europäische Firmen an einem Strang ziehen können, um sich im verschärften internationalen Wettbewerb behaupten zu können. Eine wettbewerbsfähige europäische Automobilindustrie ist mit Blick auf die Daten-Dominanz von Firmen außerhalb Europas keine Selbstverständlichkeit.
- Wir bitten die Kommission, ihren Ankündigungen zur Anpassung des EU-Beihilferechts zeitnah nachzukommen, um mitgliedstaatliche Förderungen möglich zu machen. Insbesondere für die schwierige doppelte Transformation der Automobilwirtschaft (Digitalisierung und Defossilisierung) brauchen wir entsprechende Instrumente auch in stärker entwickelten Regionen.
- Wir bitten die EU-Kommission zudem, ein europaweites Flottenaustauschprogramm für Nutzfahrzeuge und Busse (Umstellung auf Euro VI Fahrzeuge) zu prüfen. Damit unterstützen wir die nötige wirtschaftliche Erholung der Nutzfahrzeug-industrie und des ÖPNV und helfen dem Klima.
- Wir brauchen ein Dialogformat auf europäischer Ebene. Die Dialogformate in unseren Ländern haben sich als geeignete Instrumente bewährt, um unter Einbindung sämtlicher Stakeholder politische und gesellschaftliche Ziele mit den Anforderungen an eine funktionierende Wirtschaft und deren Transformation voran zu bringen. Analog sollte in Europa ein ähnlicher Prozess gestartet werden. Die geplante Einrichtung eines neuen EU-Industrieforums für die Weiterentwicklung unserer industriellen Ökosysteme könnte dafür eine geeignete Plattform bieten.
Agenda für eine erfolgreiche Transformation der Automobilwirtschaft (PDF)
Quelle:
Staatsministerium Baden-Württemberg / Bayerische Staatskanzlei / Niedersächsische Staatskanzlei