Die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Barbara Bosch, war am 13. und 14. Februar 2025 mit einer Delegation in Paris und Saint-Denis. Anlass waren konkrete Projekte der Bürgerbeteiligung, die in den Gesprächen mit den Verantwortlichen vor Ort erörtert wurden. Der Austausch mit französischen Expertinnen und Experten zu den Themen der Stadtentwicklung, des Ständigen Bürgerrats in Paris und der Debatte um Sterbehilfe standen dabei im Vordergrund. Begleitet wurde sie von Staatssekretärin Dr. Ute Leidig aus dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration, der Landtagsabgeordneten Sarah Hagmann sowie weiteren Vertreterinnen und Vertretern des Landes Baden-Württemberg, aus Wissenschaft, Fachverbänden und Zivilgesellschaft.
Programm des ersten Tages
Einstieg in das Programm war ein Austausch mit der Gesandten der Deutschen Botschaft, Gudrun Lingner, zur aktuellen politischen Situation in Frankreich. Im nächsten Gespräch berichtete die damalige Staatsministerin im Gesundheitsministerium, Abgeordnete Agnès Firmin-Le Bodo, die einen Gesetzentwurf zur aktiven Sterbehilfe eingebracht hatte, über dessen Entstehen und das politische Umfeld. Mit dem zuständigen stellvertretenden Bürgermeister von Saint-Denis, Benjamin Meura, konnte über die Auswirkungen der Olympischen Spiele 2024 diskutiert werden. In Saint-Denis befand sich nicht nur das Olympische Dorf, es wurden auch neue Spielstätten gebaut. Meura berichtete über die geplanten Nachnutzungen, von denen erhebliche positive Veränderungen für die Stadt erwartet werden. In diese Transformation einzelner Stadtteile werde die Bevölkerung eingebunden, die diese Entwicklung begrüße. Wichtig sei gewesen, so Meura, bereits im Vorfeld der Spiele den konkreten Nutzen für die Zeit danach zu vermitteln. Staatssekretärin Leidig informierte zudem über die Ansätze der Quartiersentwicklung in Baden-Württemberg.
Beim abendlichen Empfang in der Residenz des Deutschen Botschafters tauschte sich die Delegation mit den französischen Gästen in einem moderierten Gespräch mit dem Botschafter Stephan Steinlein und der Staatsrätin über die Stärkung der Zivilgesellschaft durch Bürgerbeteiligung aus.
Programm des zweiten Tages
Am zweiten Tag begegnete die Delegation Vertretern aus zivilgesellschaftlichen Gruppen (darunter Direktor Julien Goupil von Empreintes Citoyennes, Generalsekretärin Fréderique Viallon von Décider Ensemble) und des Ministeriums für Ökologischen Wandel und Solidarität (Kommissionsleiterin Joana Janiw). Gesprächsthemen waren unter anderem das Label „Villages et Villes Citoyennes“ und die Charta der Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Gesprächspartner setzen sich für eine nachhaltige Beteiligungskultur in den französischen Kommunen ein. Auslöser für das Engagement in Frankreich waren die Gelbwestenproteste und der in dieser Folge von Präsident Macron eingeleitete, nationale „Grand Débat“ gewesen.
Anschließend ging es in einen Austausch mit zwei ausgelosten Teilnehmerinnen des Ständigen Bürgerrats der Stadt Paris sowie Verantwortlichen der Stadt Paris über Struktur und Arbeitsweise dieses Bürgerrats, dessen Mitglieder jeweils für ein Jahr bestimmt werden und in diesem Zeitraum über gesetzte und selbstgewählte Themen abschließend beraten. Auch über das Verfahren des Bürgerhaushalts wurde informiert. Staatsrätin Bosch zeigte sich beeindruckt: „Es ist den zufällig ausgewählten Pariser Bürgerinnen und Bürgern hoch anzurechnen, dass sie sich für ein volles Jahr verpflichten, intensiv an den Themen zu arbeiten und mit Empfehlungen abzuschließen.“ Dies geschieht im ständigen engen Austausch mit der Stadtverwaltung, die inhaltlich stark begleitet. Die Zusammenarbeit sei sehr partnerschaftlich. Die Erfahrungen zeigten, dass die Ergebnisse über Parteigrenzen hinweg wohlwollend geprüft und berücksichtigt würden. Kurzberichte aus der Delegation, der „Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung“ und der „Allianz für Beteiligung“, rundeten den Austausch ab.
Den Abschluss der Reise bildete der Überblick über die Praxis in Frankreich und Baden-Württemberg mit der Vizepräsidentin Marie Claire Martel des Bundesausschusses für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (CESE), der auch Adressat für Petitionen ist, Online-Konsultationen durchführt und die Bürgerkonvente auf nationaler Ebene organisiert. Auch die Charta der Öffentlichkeitsbeteiligung wurde von diesem Ministerium entwickelt. Die Bürgerräte (Bürgerkonvente) rekrutieren sich aus zufällig ausgelosten Bürgern. Besonderes Augenmerk wurde im Gespräch auf den landesweiten Bürgerkonvent zur Sterbehilfe gelegt, der von Präsident Macron eingesetzt worden war. Es gelang trotz der sehr emotionalen Thematik, Fragen der palliativen Begleitung und der Sterbehilfe zu diskutieren und zu gemeinsamen Empfehlung zu gelangen. Ergebnis ist ein Gesetzentwurf, dessen Verabschiedung allerdings durch die Auflösung des Parlaments mit Neuwahlen und schwieriger Regierungsbildung noch nicht beraten worden ist.
Ähnliche Verfahren der Bürgerbeteiligung
Die Delegationsreise mache offenkundig, so Staatsrätin Bosch abschließend, dass in Frankreich wie in Baden-Württemberg sehr ähnlich vorgegangen wird, um den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu begegnen. Den Gefährdungen der Demokratie durch den wahrnehmbaren Vertrauensverlust seitens der Bevölkerung in die Politik kann und muss auch durch eine Stärkung der Zivilgesellschaft begegnet werden. Dazu braucht es Strukturen und die konkrete Rückstärkung und Akzeptanz der politischen Ebenen, die in Frankreich anschaulich dargelegt wurde. Die Verfahren der Bürgerbeteiligung, insbesondere bei der Einsetzung von Bürgerräten, seien auf beiden Seiten ähnlich, auch die positiven Erfahrungen damit, in ihrer Wirkung auf die qualitative Verbesserung von Vorhaben als auch für die Unterstützung von gewählten Volksvertretern bei ihrer Entscheidungsfindung. Das ausdrückliche Bekenntnis der getroffenen Vertreter der nationalen und kommunalen Politik zur praktizierten Bürgerbeteiligung sei beeindruckend.
„Den derzeitigen Verunsicherungen in der Gesellschaft, vor dem Hintergrund vieler Transformationen, kann durch angemessene Bürgerbeteiligung entgegengewirkt werden – das wird auch in Frankreich so gesehen.“, so Staatsrätin Bosch. Die Erfahrungen beiderseits der gemeinsamen Grenze bestätigten dies ausdrücklich. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft, dessen Schwinden hier wie dort beobachtet wird, gehe einher mit Gefährdungen für die demokratische Gesellschaft. „Wir fühlen uns – trotz aller Unterschiede in den politischen Strukturen – sehr gestärkt durch die Erfahrungen in Frankreich. Mit dem europäischen Partner Frankreich arbeiten wir Seite an Seite an der Festigung unserer demokratischen Zukunft.“