Regierungserklärung

„Sich verteidigen können, um sich nicht verteidigen zu müssen“

In einer Regierungserklärung im Landtag zum Thema Verteidigung und Resilienz hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine große gemeinsame Kraftanstrengung gefordert und betont, dass auch das Land tatkräftig anpacke.

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Regierungserklärung
von Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Verteidigung und Resilienz

am 23. Juli 2025 im Landtag von Baden-Württemberg

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

besonders herzlich begrüßen möchte ich auch Sie, lieber Herr General Bodemann,

und auch unsere weiteren Gäste aus Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr, Bevölkerungsschutz, Rettungswesen und Wirtschaft.

„Deutschland ist von Freunden umzingelt.“ „Es gibt keine Bedrohung durch konventionelle Streitkräfte.“ „Deutschland ist so sicher wie nie.“ So haben führende deutsche Verteidigungspolitiker in den zwei Jahrzehnten nach dem Fall der Mauer unsere Sicherheitslage eingeschätzt. Heute wissen wir: Das war eine Illusion. Eine schöne Illusion vielleicht. Aber auch eine hochgefährliche Illusion. Die Realität wollten viele nicht sehen: 2008 nicht, als Russland gegen Georgien Krieg führte, und auch 2014 nicht, als Russland die Krim annektierte. Erst als Russland im Jahr 2022 die Ukraine erneut angriff, wurde die Zeitenwende ausgerufen. Trotzdem halten einige bis heute an den alten Illusionen fest. Sie meinen, dass es einfach nur mehr Verhandlungen braucht. Sie sind überzeugt, dass es schon nicht so schlimm kommen wird, dass Russland weit weg sei oder wir uns im Ernstfall hinter den USA verstecken können. Doch leider ist genau das die Haltung, die es in den vergangenen Jahren immer schlimmer gemacht hat.

Dabei lohnt es sich, einfach einmal hinzuhören und ernst zu nehmen, was Putin selbst sagt. Denn er spricht sehr offen über seine Ziele. Er sagt, dass er das Territorium zurückgewinnen will, das nach dem Zerfall der Sowjetunion verlorengegangen sei, und dass er die Vorherrschaft über Osteuropa wiedererlangen will. Diese Ziele verfolgen er und der russische Staatsapparat mit aller Konsequenz, mit aller Gewalt und für alle sichtbar: in der Ukraine mit einem blutigen Angriffskrieg, in Georgien unterstützt er die moskautreue Regierung, in Moldau bekämpft er die westlich orientierte Regierung, Belarus wird längst von einem Marionetten-Regime regiert, und die EU versucht er mit Desinformationskampagnen, Sabotage und Angriffen auf die Infrastruktur zu spalten und zu schwächen. Und deshalb ist es hochwahrscheinlich, dass Putin nicht in der Ukraine haltmachen wird, wenn es keinen ernstzunehmenden Widerstand gegen seine Aggression gibt.

Ich bin überzeugt, dass wir uns jetzt entschlossen auf den Ernstfall vorbereiten müssen, dass wir jetzt aufrüsten müssen, dass wir jetzt verteidigungsfähig werden müssen, weil wir nur so den Frieden wahren können. Sich verteidigen können, um sich nicht verteidigen zu müssen, das ist für mich der Kern dessen, worum es geht.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Dabei ist mir eines wichtig: Ich bin nicht kriegsbegeistert, geschweige denn kriegslüstern, ganz im Gegenteil. Und zwar schon deshalb, weil ich als Kind einer Flüchtlingsfamilie eine sehr konkrete Vorstellung davon habe, welche schrecklichen Folgen der Krieg hat. Mir liegt der Frieden am Herzen. Die Sehnsucht vieler Menschen nach Frieden teile ich. Doch gerade deshalb bin ich überzeugt, dass wir uns jetzt entschlossen auf den Ernstfall vorbereiten müssen, dass wir jetzt aufrüsten müssen, dass wir jetzt verteidigungsfähig werden müssen, weil wir nur so den Frieden wahren können. Sich verteidigen können, um sich nicht verteidigen zu müssen, das ist für mich der Kern dessen, worum es geht.

Das war übrigens auch vielen klar, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg „nie wieder“ auf die Fahnen geschrieben haben. Willy Brandt hat schon als Außenminister sehr bewusst Annäherung mit Abschreckung verbunden, und als Bundeskanzler nicht nur die Entspannungspolitik eingeleitet, sondern auch drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben, deutlich mehr als in den letzten Jahrzehnten, in etwa so viel, wie die Bundesregierung nun wieder anstrebt, wenn man von den von der NATO beschlossenen fünf Prozent die 1,5 Prozent für Zivilschutz und Infrastruktur abzieht. Militärische Stärke ist auch in der heutigen Lage nicht das Gegenteil von Frieden und Entspannung, sondern eine ihrer Voraussetzungen. Genau das müssen wir jetzt wieder lernen.

Dabei verfallen wir nicht in Panik, sondern handeln besonnen und entschlossen. Wir stellen uns Schritt für Schritt auf die neue Gefahrenlage ein, zügig und ohne Zögern. Wir gehen keine Sonderwege, sondern handeln abgestimmt, koordiniert und konzertiert, gemeinsam mit unseren Partnern in der NATO, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, gemeinsam mit Bundesregierung und Bundeswehr, die die Hauptverantwortung für die Verteidigung unseres Landes tragen.

An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, um unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst an unserem Land zu danken. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Sie zur Verteidigung unseres Landes im äußersten Fall bereit sind, Ihr Leben einzusetzen. Und deshalb haben Sie unseren höchsten Respekt.

Nötig ist eine große gemeinsame Kraftanstrengung, zu der jede und jeder einen Beitrag leisten muss und zu der wir auch als Land einen Beitrag leisten müssen. Dafür packen wir hier im Land tatkräftig an.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Falsch wäre es allerdings, wenn man meinte, wir könnten die Verteidigung unseres Landes einfach an Bundeswehr und Bundesregierung delegieren. Nötig ist stattdessen eine große gemeinsame Kraftanstrengung, zu der jede und jeder einen Beitrag leisten muss und zu der wir auch als Land einen Beitrag leisten müssen. Dafür packen wir hier im Land tatkräftig an: im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, beim Thema Forschung und Entwicklung, bei Vernetzung und Zusammenarbeit und in der Frage der Widerstandsfähigkeit von Staat und Gesellschaft.

Um die Arbeit der Ressorts zu koordinieren, haben wir eine Lenkungsgruppe eingerichtet und auf diesem Weg über 140 Vorhaben und Aufgaben identifiziert, die wir nach und nach bearbeiten. Lassen sie mich einige zentrale Punkte näher ausführen:

Erstens, Verteidigungswirtschaft.

Um Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa verteidigen zu können, brauchen wir eine starke Verteidigungswirtschaft. Dabei muss unsere Technologie besser sein als die unserer Gegner. Deshalb streben wir hier die Technologieführerschaft an, genauso wie im zivilen Bereich. Dabei trägt Baden-Württemberg als ein weltweit führender Innovationsstandort eine besondere Verantwortung, mit über 100 Unternehmen im Bereich Verteidigung und einem Viertel aller Beschäftigten der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland, mit starken Clustern aus Start-ups, Mittelstand und global agierenden Unternehmen, die alle wichtigen Bereiche abdecken, von Militärfahrzeugen über Radaranlagen und Luftabwehrsysteme bis hin zu Künstlicher Intelligenz (KI) und Satellitentechnologie.

Deshalb haben wir unsere Förderprogramme wie INVEST BW für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie geöffnet und damit begonnen, die Unternehmen noch stärker mit unserer Forschungslandschaft zu vernetzen.

Neben einer stringenten Innovationsförderung müssen wir den Hochlauf der Produktion sicherstellen. Dafür brauchen unsere Unternehmen Planungssicherheit. Deshalb setzen wir uns auf Bundesebene für schnellere Genehmigungsverfahren, einen erleichterten Kapitalzugang und ein effizienteres Beschaffungswesen ein.

Was mir in puncto Verteidigungswirtschaft noch besonders wichtig ist: Die Landesregierung verfolgt hier einen sehr klaren Kurs. Wir wollen, dass sich unsere Wirtschaft auf diesem Feld engagiert. Und deshalb möchte ich mich an dieser Stelle einmal konkret an die Unternehmerschaft unseres Landes wenden und Ihnen zusichern: Sie haben hier die volle Rückendeckung der Landesregierung. Sie haben sie dann, wenn Sie bereits im Bereich von Sicherheit und Verteidigung tätig sind. Und Sie haben sie dann, wenn Sie bislang rein zivil tätig sind und nun darüber nachdenken, auch einen Beitrag im Bereich Sicherheit und Verteidigung zu leisten. Auch das ist erwünscht, auch das ist gewollt.

Danken möchte ich an dieser Stelle den Wirtschaftsverbänden im Land, die blitzschnell reagiert haben und Unternehmen beraten, vernetzen und unterstützen. Danken möchte ich insbesondere der IHK Bodensee-Oberschwaben, die sich als landesweite Koordinierungsstelle etabliert hat. Das ist ein echtes Pfund, das wir hier im Land haben – starke Netzwerke, die sofort aktiviert werden können. Genau das ist es, was wir im Moment brauchen.

Zweitens, Verteidigungsforschung.

Angesichts einer veränderten Kriegsführung und einer neuartigen Sicherheitspolitik müssen wir in den kommenden Jahren vor allem in folgende Bereiche und Fähigkeiten investieren: KI und Quantentechnologie, Cybersicherheit und Cyberabwehr, komplexe Datenauswertung, Kommunikationssysteme, autonomes Fahren und Robotik, neue Materialien, Satellitennetzwerke, Luft- und Raumfahrt. Es geht also um Technologien und Fähigkeiten, die wir hier bei uns in Baden-Württemberg seit Jahren intensiv fördern und vorantreiben und bei denen wir besondere Stärken haben. Ich denke an die Luft- und Raumfahrt mit einem Schwerpunkt in Stuttgart, an Quantenkommunikation mit einem Schwerpunkt in Ulm, an die Abwehr hybrider Angriffe an den Hochschulen Albstadt-Sigmaringen und Esslingen, an den Leistungsbereich Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheit mit vier Fraunhofer-Instituten bei uns im Land, oder an den Bereich Cybersecurity in Karlsruhe, Tübingen, Stuttgart und Heilbronn, wo wir mit einem neuen Landesgraduiertenzentrum für angewandte KI dem großen Bedarf nach Cybersicherheits-Experten nachkommen.

Bei all dem zeigt sich die besondere Qualität unseres Landes: die kooperative, erfolgreiche Zusammenarbeit von Hochschulen, Universitäten, Fraunhofer-Instituten, dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum und unserer Wirtschaft. Um diese erfolgreiche Zusammenarbeit zu intensivieren und zu beschleunigen, richten wir in Kürze einen Innovationscampus Sicherheit und Verteidigung ein. Er soll das Thema Sicherheit und Verteidigung in bestehende Cluster und Netzwerke einbringen, ihre Arbeit und Zusammenarbeit fördern und den Transfer von Forschungsergebnissen vorantreiben. Damit schaffen wir beste Voraussetzungen, um unsere exzellente Forschung direkt zur Anwendung zu bringen. Darüber hinaus arbeiten wir an weiteren konkreten Projekten, beispielsweise am Bau eines Hyperschallkanals an der Universität Stuttgart, dessen Forschungsergebnisse zur Entwicklung von Hyperschallflugzeugen dienen sollen.

Um die anstehenden Veränderungen auf den Weg zu bringen, sind wir nicht nur auf die Forschung, sondern auch auf eine kompetente Verwaltung an unseren Hochschulen angewiesen. Um die Abläufe zu beschleunigen, initiieren wir an unseren Hochschulen einen Fortbildungsbooster Sicherheit und Verteidigung und befähigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit den neuen Rahmenbedingungen umgehen zu können, vom Thema Exportkontrolle bis zur Frage von Sicherheitsüberprüfungen.

Bei alledem ist klar: Wir brauchen in Deutschland insgesamt einen noch deutlich stärkeren Fokus auf die genannten Forschungsbereiche. In den USA oder Israel liegt der Forschungsanteil am Verteidigungshaushalt bei 15 bis 20 Prozent, im Bundesverteidigungsministerium liegt er bei nur fünf Prozent. Deshalb fordern wir den Bund auf, seinen Forschungsanteil deutlich zu erhöhen.

Dritter Punkt, Vernetzung.

Es ist gerade schon angeklungen: Sicherheit ist ein Querschnittsthema, das alle Bereiche des Lebens betrifft. Gerade hier ist es entscheidend, dass alle Akteure an einem Strang ziehen. Deshalb haben wir neben der Lenkungsgruppe einen Ressortkreis „Zivile Verteidigung“ eingerichtet. Er stärkt die Zusammenarbeit zwischen allen Ressorts und bereitet die anstehenden Aufgaben fachlich vor. Wir treiben zwischen unseren Sicherheitsbehörden und der Verteidigungswirtschaft die Vernetzung gezielt voran – bei Themen wie Cybersicherheit, Objektschutz oder dem Schutz unserer kritischen Infrastruktur. Und richten im Herbst einen Verteidigungsgipfel aus, bei dem wir alle relevanten Akteure aus Forschung, Wirtschaft, Sicherheitsbehörden und Bundeswehr zusammenbringen. Dies wird zugleich der Auftakt für neue Vernetzungsformate sein, um die Zusammenarbeit langfristig weiterzuführen und auszubauen. Dabei geht es auch darum, sich eng mit dem Bund und der EU abzustimmen.

Viertens, hybride Angriffe.

Klar ist: Wir leben in der Europäischen Union zwar nicht im Kriegszustand, aber wir leben auch nicht mehr in einer Situation des Friedens. Russland geht seit Jahren gegen Europa und auch uns in Deutschland mit hybriden Angriffen vor: Propaganda, Cyberangriffe, Sabotage und Desinformationskampagnen gehören inzwischen zu unserem Alltag. Ziel dieser Angriffe ist es, das Vereinte Europa und seine Mitgliedsstaaten zu schwächen und zu spalten. Dagegen müssen wir uns deutlich besser wappnen als bisher.

Deshalb haben wir die Task Force Desinformation beim Innenministerium eingerichtet, die im März ihre Arbeit aufgenommen hat. Und erarbeiten auf Bund-Länder-Ebene einen „Gemeinsamen Aktionsplan gegen Desinformation und für eine wehrhafte Demokratie“.

Daneben setzen wir als Land verstärkt auf Aufklärung und Bildung in unseren Schulen und in der Gesellschaft. Nur wer über die Hintergründe und Zusammenhänge der aktuellen Konflikte und Auseinandersetzungen Bescheid weiß, kann Propaganda und Desinformation auf die Spur kommen. Hier spielt der Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht eine wichtige Rolle, die bewährte Arbeit unserer Servicestelle Friedensbildung und die intensive Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Schon heute leisten Jungoffiziere mit über 500 Schulbesuchen pro Jahr eine wichtige Informationsarbeit an unseren Schulen, eine wichtige Arbeit, für die ich mich herzlich bedanke. Diese Zusammenarbeit wollen wir ausbauen und dabei einen deutlich stärkeren Fokus auf die Bündnisverteidigung legen.

Einen weiteren wichtigen Baustein stellt die Demokratie- und Medienbildung an unseren Schulen dar. Hier geht Baden-Württemberg voran: Zum kommenden Schuljahr führen wir ja an den weiterführenden Schulen ein Pflichtfach „Medienbildung und Informatik“ ein. Zudem bauen wir die praktische Demokratiebildung aus. Dabei geht es darum, das Wertefundament unserer freien Gesellschaft bei den nachwachsenden Generationen zu festigen, so wie es in unserem Grundgesetz angelegt ist, und sie zu befähigen, Falschinformationen und Fake News zu erkennen, die feindlich gesonnene Staaten im Netz platzieren.

Daneben leisten wir an den Schulen mit unserer Initiative im Bereich des Katastrophenschutzes einen ganz konkreten Beitrag zur Stärkung unserer Widerstandskraft. Ausgehend von der Flutkatastrophe im Ahrtal und anderen Krisenszenarien haben das Innen- und das Kultusministerium schon 2023 gemeinsam ein Konzept entwickelt, um das Thema konkret im Unterricht zu verankern, und zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, um das Wissen zum Verhalten im Katastrophenfall bei Schülerinnen und Schülern zu schärfen. Ein Beispiel dafür ist ein Aktionstag für alle 6. Klassen, bei dem die Schulen im Land mit den Organisationen der Blaulicht-Familie eng zusammenarbeiten.

Wir nehmen die Aufgabe sehr ernst, unser Schulwesen auf den Ernstfall vorbereiten. Dazu gehört es, den Schulbetrieb auch in der Krise sicherzustellen. Was den Online-Unterricht betrifft, sind wir inzwischen gut aufgestellt, unsere Bildungsplattform steht allen Schulen im Land zur Verfügung, die Basis ist also gelegt. Darauf aufbauend arbeitet das Kultusministerium an einem Gesamtkonzept, um den Schulunterricht für unsere Kinder und Jugendlichen auch im Krisenfall aufrecht erhalten zu können.

Fünftens, Infrastruktur.

Hybride Angriffe gefährden nicht nur unseren Zusammenhalt, sondern auch unsere Infrastruktur: Strom, Wasser und Telekommunikation, Gesundheitsversorgung, Lieferketten und Unternehmen. In Zukunft wird das Risiko solcher Angriffe weiter wachsen. Deshalb klären unsere Cybersicherheitsagentur Baden-Württemberg, das Landesamt für Verfassungsschutz und die Polizei über die Gefahren solcher Angriffe auf und können im Ernstfall schnell reagieren. Auch Ihnen möchte ich an dieser Stelle herzlich für Ihre wichtige Arbeit danken.

Darüber hinaus ist es entscheidend, die gesamte Gesellschaft Schritt für Schritt darauf vorzubereiten, was bei diesen hybriden Angriffen passieren kann und wie wir mit dem Ernstfall umgehen können. Jede und jeder von uns kann zur Resilienz unserer Gesellschaft beitragen. Die Fähigkeit zur Selbstverteidigung ist nicht nur eine Frage der militärischen Kapazitäten, sie ist auch eine Frage der inneren Bereitschaft zusammenzustehen. Dass wir dazu in der Lage sind, haben wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gezeigt, zum Beispiel bei Überflutungen. Gemeinsam anpacken und den Nachbarn oder der Gemeinde helfen –, das zeigt: Resilienz wächst von unten. Und deshalb unterstützen wir genau das durch Dialogformate vor Ort, in denen zivilgesellschaftliche Gruppen Ideen entwickeln, wie sie die Resilienz in ihrem Umfeld stärken können.

Und damit bin ich bei

Punkt sechs, dem Verteidigungswillen.

Die Frage der Hilfsbereitschaft in Krisenfällen zeigt sehr deutlich, dass es keineswegs nur um Ausrüstung geht. Es geht auch um den Willen, uns zu schützen. Es geht auch um den Willen, uns zu verteidigen. Für unsere Partner im Osten wie Estland und Polen ist das schon seit langem eine Selbstverständlichkeit. Sie haben die Bedrohung immer sehr viel unmittelbarer gespürt als wir. Nun ist es auch für uns an der Zeit, uns wieder stärker für unsere Sicherheit und die Sicherheit unserer Bündnispartner zu engagieren. Das setzt voraus, dass wir alle begreifen, wie ernst die Lage ist. Dafür braucht es nicht nur Informationen, sondern auch eine umfassende öffentliche Debatte, auch wenn eine solche Debatte alles andere als einfach ist. Wir müssen sie trotzdem führen, denn das öffentliche Gespräch ist nicht nur der Kern unserer Demokratie, es ist auch die Voraussetzung für echte gesellschaftliche Resilienz.

Deshalb wünsche ich mir mehr Mut zu solchen Debatten, etwa beim Thema Wehrpflicht. Nach meiner Beobachtung wird derzeit ohnehin schon intensiv an den Esstischen diskutiert: Wäre ich bereit, im Ernstfall dieses Land zu verteidigen? Wie stehe ich dazu, dass meine Kinder zur Bundeswehr gehen könnten? Wie halten wir es mit der Wehrpflicht? Reicht eine freiwillige Wehrpflicht aus? Brauchen wir die alte Wehrpflicht zurück? Oder ist ein republikanisches Jahr sinnvoll, in dem junge Menschen gesellschaftliche Aufgaben aller Art übernehmen können, und das auch bei der Bundeswehr absolviert werden kann? All das wird diskutiert, und das zeigt, dass die Gesellschaft schon weiter ist als Teile der Politik. Deshalb halte ich die Zeit reif für eine große offene Debatte über diese Fragen und habe gegenüber Bundeskanzler Merz und Verteidigungsminister Pistorius angeregt, auf Bundesebene ein Bürgerforum zu diesen Fragen durchzuführen. Denn wir in Baden-Württemberg haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, wichtige Debatten mit der Hilfe von Bürgerforen anzustoßen, zu begleiten und zu versachlichen.

Was mir dabei sehr wichtig ist: Wir dürfen das Thema Verteidigung und Resilienz nicht allein auf die Jüngeren abwälzen. Es sind jetzt alle gefragt, Verantwortung zu übernehmen, auch die Älteren. Und auch da können wir von unseren östlichen Nachbarn lernen. Sie wissen, dass ihre Sicherheit nicht allein von Politik und Militär gewährleistet werden kann, sondern die ganze Gesellschaft gefordert ist. Das beginnt mit dem Wissen, wohin man gehen und an wen man sich wenden kann, wer welche Aufgaben übernimmt und worauf es ankommt, wenn der Ernstfall eintritt. Bei unseren östlichen Nachbarn sehen wir: Dadurch wächst vor Ort das Vertrauen. Auch wir in Deutschland gehen nun erste Schritte auf diesem Weg, zum Beispiel durch die Einrichtung von Notfalltreffpunkten in den Kommunen. Dabei müssen wir uns bewusstmachen: Die Widerstandsfähigkeit und der gesellschaftliche Rückhalt im Inneren sind eine notwendige Bedingung dafür, die äußere Sicherheit zu garantieren.

Siebtens, Operationsplan Deutschland.

Dabei geht es vor allem darum, Truppenbewegungen zu ermöglichen. Denn wenn es zum Ernstfall kommt, müssen viele hier bei uns durch. Deshalb arbeiten Bund und Länder gemeinsam mit der Bundeswehr daran, die Bundeswehr im Ernstfall bestmöglich unterstützen zu können. Straßen, Brücken, Treibstoffversorgung, Verpflegung und Schlafplätze, all das spielt dabei eine wichtige Rolle. Dabei helfen wir als Land, wo wir können: Straßen und Brücken müssen für den Ernstfall geeignet sein und teilweise saniert werden, dafür stehen durch das Sondervermögen bald die nötigen Mittel zur Verfügung. Das muss jetzt schnell umgesetzt werden. In unseren Krankenhäusern müssen entsprechende Notfall-, OP- und Intensivkapazitäten aufgebaut und vorgehalten werden. Ziel ist es, den Betrieb der Krankenhäuser auch unter den Bedingungen eines außergewöhnlichen Versorgungsnotstands zu gewährleisten. Daneben stellen wir uns auf unterschiedliche Szenarien der Patientenversorgung und -verlegung ein. Dafür werden wir eine Dachkoordinationsstruktur aufbauen, um die Verteilung von Patienten zu steuern und koordinieren. Auch die Warnung der Bevölkerung ist im Ernstfall wichtig: Neben anderen Warnmitteln bauen wir deshalb auch die Sireneninfrastruktur weiter aus. Zudem werden wir den Katastrophenschutz noch in dieser Legislatur mit einer umfassenden Gesetzesnovelle stärken. Im Übrigen prüfen alle Ressorts unter Hochdruck, ob es im Landesrecht Anpassungen bedarf, mit denen Infrastrukturvorhaben der Bundeswehr erleichtert oder beschleunigt werden können. Wo immer möglich, soll es einen Vorrang für Verteidigung geben.

Dabei müssen wir uns bewusstmachen: Politik kann nicht alles, Politik ist nur ein Teil dessen, was wir jetzt brauchen. Es ist auch Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger, die neuen Realitäten vor der eigenen Haustüre mutig anzunehmen. Denn die Streitkräfte werden in der Öffentlichkeit wieder deutlich präsenter sein. Es wird Übungen und Truppenverlegungen geben, die Bundeswehr benötigt mehr und neue Infrastruktur. Stück für Stück wird uns auf diese Weise bewusst, dass die „Zeitenwende“ nicht nur die Bundeswehr, sondern uns alle betrifft.

Dabei können wir uns an dem orientieren, was wir schon haben, denn das ist eine Menge! Kein anderes Land verlässt sich im Katastrophenfall so sehr auf die vielen engagierten Ehrenamtlichen wie Deutschland. THW und Feuerwehren bestehen in Deutschland zu 95 Prozent aus Freiwilligen. Es ist großartig, was sie – aber auch alle anderen Rettungsorganisationen – hier für die Gesellschaft leisten! Und es zeigt, wie groß die Bereitschaft unter den Bürgerinnen und Bürgern ist, im Notfall füreinander und für unser Gemeinwesen einzustehen. Darauf bauen wir auf.

Achter und letzter Punkt, Finanzen.

Klar ist: Wir müssen die nötige Abschreckung jetzt sehr zügig aufbauen. Und das wird uns eine Menge Geld kosten. Deshalb haben Bund und Länder vor wenigen Wochen gemeinsam das Grundgesetz geändert. Auf dieser Basis hat die Bundesregierung die Finanzierung der Bundeswehr gerade stark aufgestellt und dabei auch die Nachrichtendienste und weitere Sicherheitsinstitutionen mitgedacht. Genau das war es, worum es uns bei der Erweiterung des Sicherheitsbegriffs ging. Denn bei Fragen der Sicherheit geht es nicht nur ums Militär. Es geht auch um die Widerstandskraft unserer demokratischen Strukturen. Und dafür braucht es Investitionen in unsere Sicherheitsinstitutionen, in die Infrastruktur und in die Bildung. Jetzt geht es darum, dass der Bund die hierfür notwendigen Schritte auf der Grundlage auskömmlicher Finanzmittel konzipiert und umsetzt, und zwar in enger Abstimmung mit den Ländern.

Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnern, dass nur und ausschließlich für den Bund eine Bereichsausnahme für die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen worden ist, und nicht für die Länder. Deshalb erwarte ich vom Bund, dass er nun gemeinsam mit den Ländern die entsprechenden Formate entwickelt, bei denen wir gemeinsam besprechen, was es braucht und wie es finanziert wird. Ein paar Beispiele dafür, was aus Sicht der Länder jetzt gebraucht wird: Der Behördenselbstschutz muss flächendeckend wiederaufgebaut werden. Die ressort- und ebenen-übergreifende geschützte Kommunikationsfähigkeit muss gewährleistet werden. Die Übungs- und Schulungsinfrastruktur für den Bevölkerungsschutz muss ausgebaut werden. Fähigkeitslücken in den Bereichen Sanitätswesen, Brandschutz, Patiententransport, Behelfskrankenhäuser müssen geschlossen werden. Ein umfassendes Schutzraumkonzept muss in die Tat umgesetzt werden. Und meine klare Erwartung ist, dass der Bund umfänglich für alle Ausgaben im Bereich der Verteidigung einsteht und die Finanzierung übernimmt. Bundeskanzler Merz hat hierzu eine klare Ankündigung gemacht: „whatever it takes“. Das ist richtig und das ist nötig, denn die Baustellen sind groß. Und deshalb nehmen wir den Bundeskanzler hier beim Wort. Wir als Land stehen bereit, umgehend in die Umsetzung zu gehen, sobald die Mittel vom Bund bereitgestellt werden.

Bei alledem ist klar: Wir werden nicht alles alleine richten können, nicht in Baden-Württemberg, nicht in Deutschland. Wir brauchen dafür unsere Nachbarn, unsere Freunde und Verbündeten. Wir brauchen eine starke Europäische Union und die Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Staaten. Die gute Nachricht ist: Europa hat die Zeichen der Zeit erkannt. Die Europäische Kommission hat mit ihrem Weißbuch zur Verteidigung wichtige Weichenstellungen vorgenommen und auch erste Schritte zur Finanzierung vorgelegt. Eine starke europäische Verteidigung aufzubauen, muss daher nun zur überragenden Aufgabe der neuen Bundesregierung werden, notfalls auch im Rahmen eines Bündnisses der Willigen.

Dabei muss es darum gehen, gemeinsam Effizienzpotentiale zu heben. Warum Europa elf verschiedene Kampfpanzer braucht, kann niemand mehr erklären. Hier können wir viel Geld sparen und effizienter werden. Deshalb unterstützt die Landesregierung den Vorschlag der Kommission, die Beschaffung stärker zu harmonisieren und einen europäischen Verteidigungsbinnenmarkt zu schaffen. Wichtig ist auch, die europäische zivil-militärische Forschungszusammenarbeit voranzutreiben und im EU-Haushalt zu berücksichtigen.

Diese Aufgaben müssen auch europäisch mitfinanziert werden, wenn es möglich ist, im Rahmen des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens, der aktuell diskutiert wird, wenn es nötig sein sollte, müssen wir aber auch auf dieser Ebene bereit sein, über eine gemeinsame Schuldenaufnahme für Verteidigungsausgaben nachzudenken. Dabei will ich insgesamt noch einmal hervorheben: Unseren EU-Nachbarn ist am meisten geholfen, wenn sie sich auf Deutschland außenpolitisch verlassen können und wir mit einer starken Bundeswehr auch ihre Sicherheit glaubwürdig verteidigen können.

Der Weg zum Frieden führt nur über eine glaubwürdige Abschreckung. Dazu leisten wir als Land unseren Beitrag.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir stellen uns auf eine veränderte Sicherheitslage ein – besonnen, konsequent, Schritt für Schritt. Wir verschließen nicht die Augen, sondern nehmen die Herausforderung an, wie sie ist. Wir geben die richtigen Antworten, um den Frieden langfristig zu sichern und das zu schützen, was wir so sehr schätzen: unsere Freiheit, unsere Demokratie, unser Vereintes Europa. Deshalb stärken wir unsere Bundeswehr, unterstützen unsere Verteidigungswirtschaft und bereiten die Menschen auf den Ernstfall vor.

Unser Ziel ist Frieden. Wir brauchen deshalb eine Aufrüstung, um den Frieden zu sichern, und keinen Militarismus. Der Weg zum Frieden führt aber nur über eine glaubwürdige Abschreckung. Dazu leisten wir als Land unseren Beitrag.

Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.

Pressemitteilung vom 28. Mai 2025: Runder Tisch Sicherheit und Verteidigung

Pressemitteilung vom 23. Juli 2025: Austausch zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit

Weitere Informationen

Bevölkerungsschutz Baden-Württemberg: Notfalltreffpunkt

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Vorsorge für den Notfall

Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat: Notvorrat