Regierungserklärung

„Bildungspaket stellt Schulsystem auf gute, stabile, zukunftsfähige Basis“

In einer Regierungserklärung hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann das umfassende Bildungspaket vorgestellt, auf das sich die Regierungskoalition verständigt hat. Das Bildungspaket stelle das Schulsystem auf eine gute, stabile und zukunftsfähige Basis, erklärte Kretschmann.

Regierungserklärung
von Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Gerecht, attraktiv und zukunftsfest:
Ein großes Bildungspaket für Baden-Württemberg

am 8. Mai 2024 im Landtag von Baden-Württemberg

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist kein halbes Jahr her, dass hier im Landtag der Ruf nach einer Bildungsallianz zu hören war. Aus Ihren Reihen wurden, ich zitiere, ein „Bildungspakt“, eine „Allianz für gute Bildung“ und ein „ganzheitliches Update des Bildungssystems“ gefordert. Nur wenige Monate später legen wir Ihnen heute ein solches Update vor: Das größte und umfassendste Bildungspaket, das ich in meiner Zeit als Abgeordneter erlebt habe – und Sie wissen: Ich bin schon ein Weilchen dabei. Ein Paket zudem, mit dem wir unser Bildungssystem auf ein neues, zukunftsfestes, stabiles Fundament stellen – und zwar über das Ende dieser Legislaturperiode hinaus.

Lieber Herr Stoch, lieber Herr Rülke, ich bedaure, dass Sie den Weg der Bildungsallianz nicht mit bis zum Ende gehen wollten. Aber ich respektiere Ihre Entscheidung und bedanke mich für Ihre Bereitschaft, an einer gemeinsamen Lösung mitzuwirken. Und auch wenn es schade ist, dass wir nicht zusammengekommen sind, wissen wir doch als gute Demokraten: Streit ist nicht nur der Normalmodus zwischen Regierung und Opposition. Streit ist das Lebenselixier unserer Demokratie, wenn er so zivilisiert ausgetragen wird, wie das bei uns der Fall ist. Zugleich versichere ich Ihnen: Auch wenn der Versuch einer Bildungsallianz jetzt beendet ist, bleiben wir als Regierung weiter gesprächsbereit und werden uns guten Vorschlägen nicht verschließen.

Lassen Sie mich zudem noch auf eines hinweisen: Eine große Bildungsallianz ist zwar nicht zustande gekommen, meine Damen und Herren, aber eine kleine Bildungsallianz schon. Grüne und CDU kommen ja in der Bildungspolitik durchaus aus unterschiedlichen Richtungen. Trotzdem ist es uns gelungen, einen Konsens zu finden, der von der frühkindlichen Bildung über die Grundschule bis hin zu den weiterführenden Schulen reicht. Und der weit mehr ist als der kleinste gemeinsame Nenner.

Dafür möchte ich mich besonders herzlich bedanken bei meiner Kultusministerin Theresa Schopper sowie bei Staatssekretär Schebesta und den bildungspolitischen Sprechern Poreski und Sturm. Sie haben diesen Konsens in mehreren Nachtsitzungen ausgehandelt. Mein Dank gilt zudem meinem Stellvertreter Thomas Strobl und den beiden Fraktionsvorsitzenden Schwarz und Hagel. Dieses Ergebnis war nur möglich, weil beide Koalitionspartner zwei wichtige politische Kardinaltugenden gepflegt haben: Mut und Kompromissbereitschaft. Den Mut, größer zu denken und sich nicht im bildungspolitischen Klein-Klein zu verhaken. Und die Bereitschaft, sich auf den anderen zuzubewegen und nicht im parteitaktischen Klein-Klein hängenzubleiben.

Bildungspaket hat Wohl der Kinder im Blick

Und so hat das Bildungspaket eben nicht zuallererst das Wohl der Parteien im Blick. Sondern das Wohl der Kinder in unserem Land. Denn wir verfolgen damit vier Ziele:

  • Erstens: mehr Bildungsgerechtigkeit – beginnend mit den Kleinsten. Das ist dringend geboten, denn die Vielfalt in unseren Klassenzimmern nimmt immer mehr zu. Und die letzten Vergleichstests haben gezeigt: Zu viele Schülerinnen und Schüler erreichen nicht die Mindeststandards.
  • Zweites Ziel: die weiterführenden Schulen durch ein klares und attraktives Profil stärken. Das gilt für das neue G9. Das gilt aber gerade auch für die Real- und Gemeinschaftsschulen. Dadurch stärken wir die akademische und berufliche Bildung gleichermaßen.
  • Drittens: mehr Übersichtlichkeit in der Schullandschaft. Baden-Württemberg hat eines der komplexesten Schulsysteme der Republik. Das überfordert nicht nur viele Eltern, sondern bindet auch zu viele Ressourcen und erschwert die Steuerung. Wir sorgen nun für mehr Klarheit in der Struktur.
  • Und viertens: mehr Orientierung für Eltern und Schüler. Damit jedes Kind seinen individuell passenden Weg durch die Schullaufbahn findet.

Mehr Bildungsgerechtigkeit

Sehr geehrte Damen und Herren,

ein Kernproblem unseres Bildungssystems ist seit langem, dass der Schulerfolg eines Kindes stark von seiner Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern abhängt. So hat die Tochter eines Anwalts oder einer Ärztin bei gleicher Intelligenz und gleichem Lernvermögen eine viel höhere Chance, Abitur zu machen und zu studieren, als der Sohn eines Arbeiters oder einer Bürokauffrau. Diese Gerechtigkeitslücke wird noch verschärft durch die wachsende Heterogenität der Schülerinnen und Schüler. Die Vielfalt in unseren Klassenzimmern ist viel größer als früher: Heute haben fast die Hälfte der Grundschulkinder im Land einen Migrationshintergrund. Zudem verändern sich die Familienformen und das Familienleben: Es gibt immer mehr Patchwork-Familien und Alleinerziehende, und immer häufiger arbeiten beide Eltern. Diese unterschiedlichen familiären, sozialen und kulturellen Einflüsse haben natürlich Folgen: Während die einen bei der Einschulung bereits lesen können, können die anderen den Stift noch nicht richtig halten. Während die einen ohne Probleme Deutsch sprechen, haben die anderen größte Probleme mit der Sprache, weil zu Hause weniger vorgelesen oder kein Deutsch gesprochen wird.

Darauf müssen wir reagieren. Unsere Landesverfassung ist da ganz klar. Da steht in Artikel 11: „Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechenden Erziehung oder Ausbildung.“ Und wir sollten das nicht missverstehen. Da geht es nicht um eine großzügige Wohltat für bestimmte Kinder. Da geht es auch darum, den ureigenen Interessen unseres Landes gerecht zu werden. Denn die Kinder von heute sind die Staatsbürger von morgen. Sie sind die Pflegekräfte, Ingenieurinnen, Handwerker, Programmiererinnen und Facharbeiter von morgen. Sie sorgen für den Wohlstand und den Zusammenhalt von morgen. Sie sind unsere Zukunft. Und wir brauchen sie alle, egal wo sie herkommen und welche Hautfarbe sie haben. Oder wie es mein Ministerpräsidenten-Kollege Hendrik Wüst auf den Punkt gebracht hat – Zitat: „Es sind alles unsere Kinder. Unser Land wird nur eine gute Zukunft haben, wenn alle Kinder einen guten Start ins Leben haben.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie mich an dieser Stelle gleich ein Missverständnis ausräumen. Kinder besser zu fördern, die keine so guten Startchancen haben – das heißt nicht, dass wir von ihnen weniger Leistung erwarten. Ganz im Gegenteil: Wir müssen sie fordern, damit sie sich weiterentwickeln und etwas aus ihrem Leben machen können. Aber wie wir sie fördern und was wir von ihnen fordern, das muss den Realitätscheck bestehen. Und dabei muss es zuallererst um Sprachförderung gehen. Denn der Schlüssel zum Lernerfolg ist das Beherrschen der Sprache. Das gilt nicht nur für den Deutschunterricht. Sondern für alle Fächer. Verstehe ich die Sprache nicht, verstehe ich auch keine Textaufgabe in Mathe, keine Arbeitsblätter in Biologie und auch nicht die Texte im Geschichtsbuch. Das zeigen auch die besorgniserregenden Ergebnisse der letzten Vergleichstests. Meine Kultusministerin fasst dies gerne in ein sehr prägnantes Bild: die 30-Millionen-Wörter-Lücke. Die besagt: Während Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern 45 Millionen Wörter in den ersten Lebensjahren hören, sind es bei Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern gerade mal 15 Millionen Wörter. Und das bedeutet: weniger Sprachvermögen, weniger Wissen, weniger Welt-Verstehen. Und weil das so ist, haben wir in den letzten Jahren schon eine ganze Reihe von Maßnahmen für mehr Bildungsgerechtigkeit auf den Weg gebracht: verbindliches Lesetraining mehrmals pro Woche in der Grundschule, gezielte Unterstützungsprogramme für die Grundkompetenzen Schreiben, Lesen und Rechnen, die Qualitätsoffensive mit den beiden neuen Bildungs-Instituten (Institut für Bildungsanalysen und Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung), die Einführung der datengestützten Schulentwicklung, 1.600 zusätzliche Lehrerstellen allein in den letzten drei Jahren, 270 zusätzliche Stellen für Pädagogische Assistenten, die Stärkung der Schulleitungen, unser Rückenwind-Programm zum Aufholen der Corona-Lernrückstände, der Einstieg in die sozialindexbasierte Ressourcensteuerung – also mehr Mittel für Schulen, wo es die Kinder am schwersten haben und die Erprobung von multiprofessionellen Teams an Grundschulen.

Doch das ist noch nicht genug. Deshalb legt die Regierungskoalition nun ein umfassendes Paket für Kita und Grundschule vor. Dabei setzen wir auf drei Dinge: Sprachförderung, Sprachförderung und nochmal Sprachförderung. Wir steigen bewusst bereits vor der Einschulung ein. So erhalten künftig die Kinder mit Problemen in der Sprachentwicklung im letzten Jahr vor der Schule eine verpflichtende Sprachförderung von vier Stunden pro Woche. Kinder, die danach immer noch einen hohen Förderbedarf haben, werden in der Grundschule gezielt weiter gefördert. Und wer in der Schule noch nicht mitkommt, wird in einer sogenannten Juniorklasse gezielt unterstützt und gefördert. Das bedeutet: durch die obligatorische Sprachförderung greift die Schulpflicht früher und durch die Juniorklassen wird die Schulzeit verlängert. Das sind tiefgreifende Weichenstellungen, für die wir eine gesetzliche Grundlage schaffen werden.

Darüber hinaus werden wir die allgemeine Sprachbildung für alle Kinder in der Kita stärken. Und wir unterstützen gezielt jene Grundschulen, auf die besonders viele Kinder aus sozial benachteiligten Familien gehen, indem wir dort multiprofessionelle Teams einführen. Da kommen also künftig neben Lehrkräften zum Beispiel auch Sozialpädagogen, Logopäden oder Ergotherapeuten zum Einsatz. Für eine bessere individuelle Förderung sorgen wir auch mit dem Programm „Lernen mit Rückenwind“, das sich in den letzten Jahren als Aufholprogramm nach Corona sehr bewährt hat. Dieses Programm setzen wir daher fort, mit einem klaren Fokus auf die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen. Damit wollen wir jene Kinder erreichen, die noch nicht von der neuen Sprachförderung profitieren konnten.

Meine Damen und Herren,

mit unserem neuen großen Sprachförderprogramm starten wir ab dem kommenden Schuljahr Schritt für Schritt. Wir machen unser Bildungssystem damit fit für die Einwanderungsgesellschaft, die wir schon lange sind. Wir etablieren eine neue Kultur des Hinschauens von klein auf. Sprachdefizite von Kindern werden künftig frühzeitig diagnostiziert, um dann gleich eine zielgerichtete Förderung zu starten. Und wir legen auf diese Weise die Grundlage dafür, dass alle Kinder am Ende der Grundschule sicher lesen, schreiben und rechnen können. Ein solch umfassendes Paket zur Sprachförderung gibt es in keinem anderen Flächenland in Deutschland.

Für mehr Bildungsgerechtigkeit gehen wir aber noch einen Schritt weiter: Wir führen den verbindlichen Ganztag für alle Startchancen-Grundschulen ein –, also für jene Grundschulen, die einen hohen Anteil benachteiligter Schülerinnen und Schüler aufweisen. Gerade für die Kinder, die zu Hause keine so gute Förderung erfahren, ist das unabdingbar. Meiner Ansicht nach ist die Kluft zwischen Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien nur auf diese Weise zu schließen. Nur so können wir unseren Verfassungsauftrag aus Artikel 11 – ich habe ihn vorhin zitiert – erfüllen. Darüber hinaus werden wir die Einrichtung von Ganztagsgrundschulen für die Kommunen auch für alle anderen Grundschulen erleichtern und attraktiver gestalten. Denn von der verlängerten Zeit in der Schule können alle profitieren.

Starke Profile für weiterführende Schulen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in der Bevölkerung gibt es schon länger den Wunsch nach einer Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Wir haben deshalb im vergangenen Herbst ein Bürgerforum zur Zukunft des Gymnasiums eingesetzt. Denn wir machen die Politik des Gehörtwerdens eben nicht nur zu Fragen, die niemandem weh tun, sondern auch zu schwierigen Fragen und zu Fragen aus dem absoluten Kernbereich der Landespolitik. Das Ergebnis war am Ende eindeutig: Die Zufallsbürger haben sich für ein neues G9 ausgesprochen – wobei die Betonung auf „neu“ liegt. Dazu kam ein klares Signal aus der Zivilgesellschaft: Die Elterninitiative „G9 jetzt!“ hat über 100.000 Unterschriften in ihrem Volksantrag gesammelt. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Vorbehalte gegen das G9 hatte. Aber ich bin überzeugt: Verantwortliche Politik hört den Menschen genau zu. Und verantwortliche Politik weiß, dass man in wichtigen politischen Fragen nicht gegen den Willen einer großen Mehrheit der Bevölkerung regieren kann. Deshalb hat meine Landesregierung im Dezember angekündigt, dass wir in Richtung eines neuen neunjährigen Gymnasiums gehen werden.

Uns war aber auch klar, dass dieser Schritt zugleich erhebliche Auswirkungen auf das ganze Schulsystem haben wird. Denn das Gymnasium wird schon seit langem immer stärker nachgefragt – und das, obwohl heute 24 Prozent der Realschüler und gut 13 Prozent der Gemeinschaftsschüler eine Gymnasialempfehlung haben. Viele von ihnen entscheiden sich bisher gegen das Gymnasium, weil der Stundenplan im G8 eng getaktet ist, und für Sportverein, Freizeit oder andere Tätigkeiten weniger Zeit bleibt. Wenn wir uns nun vom achtjährigen Gymnasium als Regelform verabschieden, wird das vermutlich für einen noch größeren Run auf das Gymnasium sorgen. Deshalb war für uns klar: Wir können nicht einfach nur das G9 einführen und ansonsten alles lassen, wie es ist. Denn es ist schließlich unser erklärtes Ziel, die akademische und die berufliche Bildung gleichermaßen zu fördern. Unsere Konsequenz ist deshalb: Wir machen nicht nur das allgemein bildende Gymnasium attraktiver, wir machen auch die anderen weiterführenden Schulen attraktiver und stärken die bewährten beruflichen Gymnasien.

  • Das bedeutet erstens: Die Realschulen und die Gemeinschaftsschulen bekommen ein klares Profil mit einer starken beruflichen Orientierung und einem Fokus auf lebenspraktische Fragen.
  • Zweitens: Realschulen und Gemeinschaftsschulen zeigen einen klaren Weg zum Abitur auf. Realschulen sollen künftig feste Kooperationen und Gemeinschaftsschulen Verbunds-Oberstufen mit beruflichen oder allgemein bildenden Gymnasien oder Gemeinschaftsschul-Oberstufen eingehen. Das ist ein wichtiger Schritt, mit dem das klare Signal verbunden ist: Die Wege bleiben offen. Über den Schulabschluss wird nicht schon in der vierten Klasse ein für alle Mal entschieden. Es bleibt alles möglich.
  • Drittens setzen wir an Realschulen und Gemeinschaftsschulen verstärkt auf zeitgemäße Lern- und Unterrichtsformen. Das bedeutet auch hier eine Kultur des Hinschauens, mit klarer Diagnostik und darauf aufbauender Förderung. Darüber hinaus erhalten Gemeinschaftsschulen zusätzliche Coaching-Angebote. Und ermöglichen wir kooperative Verbünde zwischen Realschulen und verkürzen die Orientierungsstufe an Realschulen auf die fünfte Klasse. Durch dieses Bündel an ganz konkreten Maßnahmen machen wir Realschule und Gemeinschaftsschule auch für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler noch attraktiver.

Mehr Übersichtlichkeit in der Schullandschaft

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe es bereits gesagt: Baden-Württemberg hat eines der komplexesten Schulsysteme der Republik. Das wäre zu akzeptieren, wenn es für mehr Leistung und mehr Gerechtigkeit sorgen würde. Da dies aber nicht der Fall ist, werden wir für mehr Übersichtlichkeit und für eine schlankere Verwaltung sorgen. Wo immer möglich und vor Ort gewünscht sollen sich Werkrealschulen mit einer Realschule zu einer Verbundrealschule zusammenschließen. Dadurch können im Übrigen auch bedrohte Schulstandorte gesichert werden. Zudem wird es den Werkrealabschluss nicht weiter geben – den man im übrigen Deutschland nicht kennt und der sich auch bei uns nicht durchgesetzt hat. Wir lassen die Schulen und Kommunen bei diesem Prozess nicht allein. Unsere Schulverwaltung wird vor Ort bei der Schulentwicklung eng begleiten und unterstützen.

So sorgen wir für übersichtlichere Strukturen im Bildungssystem – und folgen damit dem Rat einer klaren Mehrheit der Wissenschaft. Wenn wir diese Maßnahmen im Ganzen betrachten, haben wir eine wirklich gute Lösung gefunden, mit der wir einerseits dem Wunsch in der Bevölkerung nach dem G9 entsprechen und andererseits die weiterführenden Schulen insgesamt stärken.

Das neue neunjährige Gymnasium wird zum Schuljahr 2025/26 eingeführt – zuerst in den Klassen 5 und 6 und dann aufwachsend. Zudem wird es die Möglichkeit geben, dass die Gymnasien vor Ort G8-Züge einrichten können, aber ohne dass dadurch zusätzliche Kosten entstehen. Für mich ist für das künftige Gymnasium ganz entscheidend, dass das neue G9 nicht nur ein Jahr länger wird. Es wird auch zeitgemäßer: kein G9 von gestern, sondern das G9 von heute und für morgen. Unsere Welt hält heute Herausforderungen bereit, auf die wir unsere Kinder bisher in den Schulen noch nicht ausreichend vorbereiten. Ganz vorne stehen da Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und soziale Medien. Es geht darum zu verstehen, wie diese Phänomene funktionieren. Aber auch darum, was sie für unser Arbeitsleben, für unseren Alltag und für unsere Gesellschaft bedeuten und was es für einen souveränen Umgang mit diesen neuen Möglichkeiten braucht. Zudem werden wir die Demokratiebildung stärken. Und dabei geht es uns weniger um mehr Theorie – sondern darum, demokratische Praktiken einzuüben – also: politische Urteilsfähigkeit, Debattieren, Partizipation, Verantwortung übernehmen, Sozialpraktika, gemeinsames Handeln. Darüber hinaus werden wir mehr Wert legen auf die Persönlichkeitsentwicklung und in der Unterstufe auf die Grundlagenfächer Deutsch, Mathe und die erste Fremdsprache. Ein entsprechendes inhaltliches Konzept für das G9 arbeitet das Kultusministerium gerade aus und stimmt es mit dem Koalitionspartner ab. Dabei ist klar, dass Themen wie die digitale Welt und Demokratiebildung nicht nur auf dem Gymnasium, sondern auch an den anderen weiterführenden Schularten eine größere Rolle spielen werden.

Mehr Orientierung für Kinder und ihre Eltern

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

den Eltern und ihren Kindern wollen wir künftig mehr Orientierung für ihren Weg durch das Schulleben bieten. Deshalb entwickeln wir die Grundschulempfehlung weiter und machen sie valider. Künftig müssen dafür zwei von drei Kriterien erfüllt sein. Diese Kriterien sind erstens die pädagogische Empfehlung der Klassenlehrkraft, insbesondere auf Grundlage der Noten, zweitens die Einstufung nach dem landesweiten Lernstandverfahren Kompass 4, das um eine Komponente zu überfachlichen Kompetenzen ergänzt wird, und drittens der Elternwunsch. Sollten die Eltern ihr Kind auf ein Gymnasium schicken wollen, obwohl die ersten beiden Kriterien nicht erfüllt sind, besteht die Möglichkeit eines Potenzialtests. Das ist keine Rückkehr zur alten Grundschulempfehlung, sondern die Schaffung einer neuen, viel breiteren wissenschaftlich fundierten und valideren Grundlage. Zudem wird die weiterentwickelte Grundschulempfehlung Teil einer intensiveren und kontinuierlichen Erziehungspartnerschaft sein, die wir anstreben. Das Ziel ist ein regelmäßiger und enger Austausch zwischen Eltern und Schule, der in Klasse 1 beginnt und auf Basis von landesweiten Diagnoseinstrumenten den Eltern ein klares Bild vom jeweiligen Lernstand des eigenen Kindes vermitteln soll. Das ist unser neuer Weg zu mehr Orientierung und mehr Klarheit. Und allen Eltern, die sich jetzt Sorgen machen, möchte ich noch eines mit auf den Weg geben: Die geänderte Grundschulempfehlung ist ausdrücklich kein kategorisches Aussieben nach Klasse 4. Denn auch der Weg über die Realschule oder die Gemeinschaftsschule bietet eine gleichwertige Möglichkeit zum Abitur, die wir jetzt nochmal stärken.

Bildungspaket stellt Schulsystem auf gute, stabile, zukunftsfähige Basis

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin überzeugt, dass wir mit unserem großen Bildungspaket unser Schulsystem auf eine gute, stabile, zukunftsfähige Basis stellen, von Kita und Grundschule über die Schulen der Sekundarstufe I bis hin zu den allgemein bildenden und beruflichen Gymnasien. Und diese Einigung ist alles andere als selbstverständlich. Im Koalitionsvertrag ist dieser Weg nicht vorgezeichnet. Dort ist sogar festgehalten, dass wir die Schulstruktur nicht antasten. Aber als sich im Winter plötzlich ein Möglichkeitsfenster geöffnet hat, da haben wir als Koalition nicht lange gezögert oder parteitaktische Spielen gemacht, sondern haben diese Chance entschlossen angepackt und gemeinsame Lösungen gefunden, die weit in Zukunft reichen und die uns viele so nicht zugetraut hätten. Dabei haben wir den Bürgerinnen und Bürgern zugehört und ihre Ideen und Forderungen einbezogen – also genau das, was ich unter einer Politik des Gehörtwerdens verstehe. Deshalb möchte ich mich auch bei allen bedanken, die direkt oder indirekt mitgeholfen haben, ganz besonders auch bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Bürgerforums und der G9-Elterninitiative.

Am Ende steht nun ein großer Wurf – die Stuttgarter Zeitung hat ganz pathetisch von einem „politischen Wunder“ gesprochen. Ob mit oder ohne Pathos – entscheidend ist: Mit dem Bildungspaket machen wir unsere Schullandschaft leistungsstärker, attraktiver und gerechter. Und das ist eine gute Nachricht für die Kinder und Jugendlichen in unserem Land.

Vielen Dank.

Meldung vom 2. Mai 2024: Koalition bringt großes Bildungspaket auf den Weg