Im Interview mit der Wirtschaftswoche spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann über Staatshilfen gegen die Autokrise, Klimaziele, autofreie Innenstädte und die Illusion vom autonomen Fahren auf dem Land.
Wirtschaftswoche: Herr Ministerpräsident, in Baden- Württemberg arbeiten namhafte Autohersteller und Zulieferer. Ist diese stolze Branche ein Klumpenrisiko geworden?
Kretschmann: Wir haben durch Corona leider einen gigantischen Nachfrageeinbruch in vielen Branchen, und natürlich hat es die Automobilwirtschaft ganz besonders hart getroffen. Sie ist zusammen mit dem Maschinenbau das Rückgrat unserer Wirtschaft, aber von einem Klumpenrisiko würde ich trotzdem nicht sprechen.
Um wen machen Sie sich denn mehr Sorgen: um die Autobauer oder die Zulieferer?
Kretschmann: Ich sorge mich sehr viel mehr um die Zulieferer. Der Löwenanteil der Wertschöpfung im Automobilsektor in Baden-Württemberg kommt von Zulieferern und Dienstleistern, für die ist die Transformation besonders schwierig. Und anders als bei großen Konzernen ist dort auch die Kapitaldecke oft ziemlich dünn.
Dialog zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft
Apropos Kapital: Es gibt Versuche, privates Geld in Fonds zu sammeln, um Zulieferer zu unterstützen. Wer investiert in kriselnde Firmen?
Kretschmann: Das hängt vom Vertrauen ab. Elon Musk und Tesla haben viele Jahre recht gut von der Börse gelebt, weil die Anleger seiner Strategie vertrauen, auch wenn es über lange Zeit nur Verluste gab. Nun haben unsere Hersteller durch den Dieselskandal viel Vertrauen verspielt, aber sie befinden sich jetzt wieder auf einem guten Weg. Wenn das Vertrauen wieder wächst, wird es auch privates Kapital für diese Fonds geben.
Seit über drei Jahren besteht zwischen Ihrer Landesregierung und der Autobranche ein Strategischer Dialog. Was ist bisher dabei herausgekommen?
Kretschmann: Wir wollen nicht mit temporären Gipfeln den Problemen hinterherrennen, sondern mit diesem Arbeitsformat auf mehreren Ebenen einen ständigen Dialog zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft schaffen, um die notwendigen Dinge voranzutreiben und gemeinsam Lösungen zu finden, von denen alle profitieren.
Konkret?
Kretschmann: Wir sprechen über Produktion, über notwendige Umstellungen, über Digitalisierung, Forschung – und anderes mehr. Das ist sehr konkret. Nehmen Sie die Ladesäulen. Wir haben bereits vor fast einem Jahr eine flächendeckende Infrastruktur geschaffen, sodass in Baden- Württemberg der nächste Ladepunkt nicht weiter als zehn Kilometer weit weg ist. Das ist unter Führung der EnBW und 80 weiteren Partnern geschafft worden. Jetzt kommen noch 16 Schnellladeparks in den größeren Städten dazu, der erste ist gerade mitten in Stuttgart eingeweiht worden.
So schnell wird das nicht gehen
Aber funktioniert das autonome Fahren, wenn im Auto die Mobilfunkverbindung immer wieder abreißt? Wir haben doch gar nicht die Netze, um eine mobile Echtzeitübertragung der enormen Datenmengen zu garantieren, die es dafür braucht?
Kretschmann: Bei den Netzen liegen wir in Deutschland weit zurück. Der Ausbau entlang der Autobahnen und Bundesstraßen wird aber jetzt forciert. Gleiches gilt für den Großraum Stuttgart, wo 40 Prozent der Landesbevölkerung leben.
Und was ist mit autonomem Fahren auf der Schwäbischen Alb oder anderen ländlichen Gebieten?
Kretschmann: So schnell wird das nicht gehen. Das autonome Fahren wird sich zunächst auf die Autobahn beschränken, und es wird langsamer gehen als gedacht. Dass wir irgendwann bei Überlandfahrten das Steuer aus der Hand geben und Zeitung lesen können, ist noch Zukunftsmusik, hier wie in anderen Ländern.
Auf welchen Antrieb setzen Sie eigentlich: batteriegetriebene Elektroautos oder auf Wasserstoff?
Kretschmann: Ich setze auf Technologieoffenheit, auch wenn der Markthochlauf im Pkw- Bereich jetzt erst einmal mit der Batterie und dem Elektroantrieb beginnt. Das ist aber weitgehend Sache der Unternehmen, die Politik kann nur unterstützen und vielversprechende Projekte und Forschungen fördern, egal, ob Batterie, Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe. Trotz der ganzen Transformation werden wir auch 2030 noch einen hohen Anteil an Verbrennern und Hybridfahrzeugen haben.
Bei Batterien nicht weiter von Asien abhängen
Bei Hybridautos können die Zulieferer sowohl Verbrenner- als auch Elektrotechnik verbauen. Ist das nicht ein Anreiz, das noch lange fortzuführen?
Kretschmann: Die Deckungsbeiträge beim Verbrenner sind eben ganz anders als beim Elektrofahrzeug. Und so lange wir bei den Batterien noch von Asien abhängen, ist es, industriepolitisch gesehen, ratsam, nicht nur auf einem Bein zu stehen. Der Plugin- Hybrid ist eine unverzichtbare Übergangstechnologie. Und wenn man bei Batteriereichweiten von 100 Kilometern möglichst viel elektrisch tankt und fährt, ist das ein relevanter Beitrag zum Klimaschutz.
In Wahrheit sind E-Autos doch eine Ökoillusion, denn der Strom ist höchstens zu 40 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen.
Kretschmann: Die Elektrifizierung des Verkehrs macht nur Sinn, wenn der Strom aus erneuerbaren Energiequellen kommt. Zumal wenn künftig auch Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe breiter eingesetzt werden, denn die brauchen ja noch viel mehr Energie in der Herstellung.
Bisher stammt aber noch nicht einmal die Hälfte des Stroms aus Ökoquellen.
Kretschmann: Ja, leider! Deutschland liegt mit der Energiewende zurück, und das kritisieren die Grünen zu Recht. Solange wir hier weiter Kohle verstromen, ändert sich nichts. Das gilt auch für das Öl. Die Opec-Staaten brauchen neue Perspektiven mit Solarparks und der Produktion und Lieferung von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen. Sonst bleibt alles beim Alten. Aber dazu höre ich nichts oder viel zu wenig von der Bundesregierung und Wirtschaftsminister Altmaier.
Jeden Tag neue Hiobsbotschaften zum Klimawandel
Trifft es nicht besonders die Autoindustrie, wenn EU das CO2-Minderungsziel von 40 auf 55 Prozent bis 2030 heraufgesetzt?
Kretschmann: Ich unterstütze das, denn ohne Ehrgeiz kann man die Pariser Klimaziele nicht erreichen. Wir hören jeden Tag neue Hiobsbotschaften, dass der Klimawandel sich beschleunigt. Aber man muss sich natürlich die einzelnen Emissionssektoren genau anschauen und entsprechende Rahmenbedingungen setzen.
Was meinen Sie genau?
Kretschmann: Beispiel: Das polnische Braunkohlekraftwerk Belchatów produziert jährlich 38 Millionen Tonnen CO2. Das ist so viel wie von allen Pkws in Baden-Württemberg in drei Jahren. Ob da die Balance zwischen Energie- und Verkehrssektor stimmt, stelle ich infrage. Die EU muss den Verkehrssektor in die CO2-Bepreisung hineinnehmen, und die Zertifikate müssen gehandelt werden. Und wenn die EU dann auch mehr Zertifikate aus dem Energiesektor herausnimmt, wird die Kohle schneller verschwinden als geplant.
Welchen Wagen fahren Sie überhaupt?
Kretschmann: Dienstlich fahre ich verschiedene Fahrzeuge der Marke Mercedes und Audi, einen Plug-in und auch ein vollelektrisches Auto. In meinen zehn Jahren als Ministerpräsident war auch schon mal ein Brennstoffzellenauto dabei. Privat fahre ich einen Mercedes-Diesel der neuen Generation, und als Zweitwagen haben wir im Februar einen Elektrowagen bestellt, der ist aber noch nicht geliefert worden.
Die Fragen stellte Daniel Goffart.
Strategiedialog Automobilwirtschaft BW
Virtuelle Ausstellung zur Zwischenbilanz des Strategiedialogs
Quelle:
Das Interview erschien am 25. September 2020 in der Wirtschaftswoche.