Baden-Württemberg geht bei der konsequenten Nutzung von Gesundheitsdaten voran. Das Potenzial der Digitalisierung soll bestmöglich für die Medizin und die Versorgung der Patienten genutzt werden. Das war eines der Themen beim Vierten Jahrestreffen des Forums Gesundheitsstandort in Heilbronn.
„Wir müssen gerade in der Medizin unsere Daten sowohl vor Missbrauch schützen, als auch stärker für Therapien nutzen. Dahin müssen wir zum Wohle der Patienten kommen, die mit diesen Daten eine bessere Versorgung erhalten. Ärztinnen und Ärzte verpflichten sich mit dem hippokratischen Eid, den Menschen bestmöglich zu helfen. Als Land wollen wir ermöglichen, das Potenzial der Digitalisierung bestmöglich für die Medizin zu nutzen“, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Deshalb sei es gut, dass das Land bei der konsequenten Nutzung von Gesundheitsdaten nun vorangehe.
Am vierten Jahrestreffen des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg am 24. November 2022 im Heilbronner Konzert- und Kongresszentrum Harmonie nahmen für die Landesregierung die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Petra Olschowski sowie die Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut teil. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration war durch Staatssekretärin Dr. Ute Leidig vertreten und das Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen durch Ministerialdirektor Reiner Moser. „Das Forum Gesundheitsstandort ist eines der wichtigsten Arbeitsformate des Landes“, unterstrich Ministerpräsident Winfried Kretschmann. An der Veranstaltung beteiligen sich außerdem knapp 300 Akteurinnen und Akteure aus Forschung, Industrie, Verbänden und Gesundheitsversorgung. „Wir kommen gut voran am Gesundheitsstandort Baden-Württemberg“, so Winfried Kretschmann.
Roadmap zur Gesundheitsdatennutzung beschlossen
Baden-Württemberg hat im Frühjahr 2022 eine Roadmap Gesundheitsdatennutzung beschlossen und Maßnahmen definiert, um die Standardisierung, Vernetzung und den besseren Zugang zu Gesundheitsdaten voranzutreiben. Damit möchte das Land den Erfahrungsschatz heben, der entsteht, wenn viele Daten zu vergleichbaren Krankheitsverläufen und Therapien zusammengeführt werden können. „Wir sind im Bundesrat initiativ geworden, um auf Bundesebene eine bessere Nutzung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken zu erreichen“, so Winfried Kretschmann weiter. Daneben gehe das Land selbst voran mit der Prüfung relevanter Landesgesetze, der Entwicklung eigener Datenräume und der Kampagne Gemeinsam für Gesünder, um mit den Menschen zur digitalen Medizin ins Gespräch zu kommen und sie dafür zu sensibilisieren.
Als Fazit waren sich die Beteiligten darin einig, dass der geplante Europäische Gesundheitsdatenraum der Europäischen Union ähnlich ambitioniert und grenzüberschreitend die Digitalisierung des Gesundheitsbereichs vorantreiben muss. Um dieses Vorhaben auf Basis der bisherigen Erfahrungen zu unterstützen, will sich das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg mit der Roadmap künftig auch auf europäischer Ebene einbringen.
Forschungsergebnisse schneller in die Versorgung einfließen lassen
Neben den Chancen und Herausforderungen von digitaler Medizin für eine flächendeckende bestmögliche Gesundheitsversorgung und den Wirtschaftsstandort nahm die diesjährige Jahresveranstaltung auch die Frage in den Blick, wie Forschungsergebnisse schneller in die Versorgung einfließen und zum Wohle der Patienten verwendet werden können. Dafür hat das Land eine Standortanalyse in Auftrag gegeben, um Hürden zu identifizieren, die an den Schnittstellen des Translationsprozesses von der Grundlagenforschung bis zur gesundheitlichen Versorgung bestehen.
Was mit gezielter Förderung erreicht werden kann und welche Potenziale Innovationen ermöglichen, wurde vor Ort an drei Ausstellungsstände exemplarisch vorgeführt: Vorgestellt wurden drei vom Land geförderten Modellprojekte zur Entwicklung des digitalen Krankenhauses, sektorenübergreifender Telemedizin und der digitalen Ausbildung von medizinischem Personal.
Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg
Auf Initiative von Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde 2018 das „Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg“ gegründet. Mit ihm soll eine engere Vernetzung der Bereiche Forschung, Gesundheitsversorgung und -wirtschaft zu erreicht und Baden-Württemberg zum führenden Gesundheitsstandort zu entwickelt werden. Das Forum vereint aktuell mehr als 500 Expertinnen und Experten aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, Krankenkassen, Forschungsinstituten und Universitäten sowie Biotech-, Pharma- und Medizintechnikfirmen aus Baden-Württemberg. Die Landesregierung hat in zwei Runden mit insgesamt rund 100 Millionen Euro über 60 Projekte gefördert, die den Gesundheitsstandort in insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Personalisierte Medizin und Aus- und Weiterbildung voranbringen.
Stimmen zur Jahresveranstaltung des Forums
„Unsere traditionell starke Gesundheitsindustrie in Baden-Württemberg mit den Branchen Medizintechnik, Pharma und Biotechnologie ist bestens aufgestellt, das Potenzial von Gesundheitsdaten zum Wohle der Menschen zu nutzen. Um diese dabei zu unterstützen, liegen mir nicht nur die Rahmenbedingungen für Standortresilienz und -attraktivität unserer Unternehmen am Herzen, sondern auch die gezielte Förderung von innovativen Forschungsprojekten. Zu nennen ist hierbei das Test- und Entwicklungszentrum für Digitale Anamnesesysteme, kurz TEDIAS, und den in diesem Projekt entwickelten Anamnesestuhl. Eine hervorragende Innovation, denn die Digitalisierung der Anamnese ist ein grundlegender Schritt, um darauf basierend ein digitales Krankenhaus schrittweise aufzubauen und eine Grundlage für das Digitale Krankenhaus der Zukunft zu schaffen.“
„Das Forum Gesundheitsstandort bündelt die landesweit vorhandene Expertise in Forschung, Gesundheitswirtschaft und -versorgung. Gemeinsam entwickelte Strategien stärken Medizin sowie Gesundheitswesen und damit auch den Standort Ba-den-Württemberg. Eine herausragende Rolle spielt die Universitätsmedizin: An unseren Universitätsklinika werden Innovationen in Krankenversorgung sowie medizinischer Ausbildung umgesetzt – und vielversprechende wissenschaftliche Forschungsergebnisse in Therapieverfahren überführt. Um weiterhin auf höchstem Niveau forschen zu können, muss insbesondere die Nutzung von Gesundheitsdaten weiter ausgebaut werden. Ermöglichender Datenschutz ist das Stichwort.“
„Die Nutzung von Gesundheitsdaten bietet enorme Chancen für die Wissenschaft und die Produktentwicklung im Gesundheitsbereich und damit für die Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger. Der Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdaten wird dabei zunehmend zum entscheidenden Standortfaktor. Gleichzeitig handelt es sich bei Gesundheitsdaten um besonders sensible Daten, die einen besonderen Schutz erfordern. Ziel der Landesregierung und des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg ist es deshalb, die verschiedenen Interessen im Blick zu halten und die zielgerichtete digitale Nutzung von Gesundheitsdaten in Baden-Württemberg und auf Bundesebene unter Berück-sichtigung von Datenschutz und Datensicherheit voranzutreiben. Als ersten Aufschlag hat das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration für die Landesregierung eine Bundesratsentschließung auf den Weg gebracht. Mit der Ent-schließung wird der Bundesrat aufgefordert, die aus Sicht Baden-Württembergs zentralen Anforderungen an das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz festzustellen. Dazu gehören der Ausbau der Infrastruktur für Gesundheitsdaten, die Vereinheitlichung und Vereinfachung der Zugangsverfahren sowie die Patientenzentrierung und sichere Gestaltung. Unter diesen Vorzeichen werden wir die Normsetzungsprozesse weiter begleiten.“
„Die Digitalisierung verändert die Welt. Mit ihr entstehen ganz neue Chancen, die wir schätzen: Daten können Leben retten. Die medizinische Forschung lebt davon, Daten digital zu erheben und auszuwerten. Denn je mehr Daten vorhanden sind, desto besser können va-lide Forschungsergebnisse erzielt werden. So können wir den Gesundheitsstandort Baden-Württemberg weiter stärken. Dabei gilt es im sensiblen Bereich der Medizin umso mehr, Daten vor Missbrauch zu schützen. Dafür setze ich mich als Digitalisierungsminister aktiv ein. Mit dem Forum geht Baden-Württem-berg voran, um länderübergreifend die datenschutzkonforme Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung zu verbessern.“
Beispielhafte Projekte, die vom Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg gefördert werden
Ziel des Projekts TEDIAS ist die Digitalisierung der Anamnese – also der medizi-nischen Bestandsaufnahme von Patientinnen und Patienten – als primärer und grundlegender Schritt, um darauf basierend schrittweise ein digitales Krankenhaus aufzubauen. Dazu hat das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) ein Testzentrum für die Patientenaufnahme und die digitale Anamnese etabliert und einen mobilen „safe check-in“ entwickelt, der bereits vor dem ersten Patientenkontakt eine Risikobeurteilung durchführt. Auf Basis dieser Bewertung kann das Klinikpersonal bei Bedarf, etwa im Falle einer anste-ckenden Erkrankung, direkt entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen.
Mit TEDIAS können Kranke, die mit einem akuten Anliegen selbstständig in die Notaufnahme kommen, bereits in der Wartezone über ein personalisiertes Tablet Angaben zu ihrem gesundheitlichen Zustand machen. Viele Fragen, die zur me-dizinischen Aufnahme gehören, werden so bereits im Vorfeld digital beantwortet. Die Informationen werden über das Tablet in Echtzeit in ein System überspielt, auf das das medizinische Personal Zugriff hat.
Ein speziell designter Stuhl mit moderner Messtechnik soll zusätzlich helfen, der Ärztin oder dem Arzt medizinisch relevante Informationen zu übermitteln. Auf Wunsch können sich Patientinnen und Patienten bereits im Vorfeld des Arztge-sprächs auf den Stuhl setzen. Über integrierte Elektroden lassen sich so die Herzfrequenz, die Sauerstoffsättigung des Blutes, Körpergewicht, Kraft oder Temperatur messen. Auch für die korrekte Benutzung des Stuhls ist gesorgt:
Während des Messvorgangs kommuniziert ein Avatar mit der Patientin oder dem Patienten. Dieser soll individuell auf den Gesprächsverlauf eingehen können. Mit TEDIAS nutzen Patientinnen und Patienten ihre Wartezeit also aktiv zur Gewinnung relevanter Gesundheitsdaten und sorgen damit innerhalb des Aufnah-meprozesses für einen Zeitgewinn. Dadurch bleibt mehr Zeit für das anschließende Arztgespräch und die Behandlung. Auf diese Weise leistet TEDIAS einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Digitalen Krankenhauses der Zukunft.
Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg: Mehr Zeit für ärztliche Behandlung
Mit dem Projekt „Sektorübergreifende Telemedizinplattform 2025 in Baden-Württemberg" sollen kleinere und größere Krankenhäuser, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Einrichtungen im Gesundheitswesen wie etwa Reha-Kliniken sektorenübergreifend vernetzt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei TeleKonsile und der telemedizinische Austausch von Expertenwissen. Ärztinnen und Ärzte sollen über dieses telemedizinische Netzwerk unter Einbeziehung der Patientinnen und Patienten miteinander kommunizieren können.
Ziel des Projektes ist es, den Patientinnen und Patienten unabhängig vom Wohnort und medizinischen Portfolio des jeweiligen Krankenhauses die bestmögliche Behandlung zu ermöglichen und damit die Versorgung gerade im ländlichen Raum zu stärken, indem Expertenwissen ortsunabhängig zur Verfügung gestellt wird. Zunächst wurde das Netzwerk mit einem ausgewählten Kreis externer Partnerinnen und Partner aus Kliniken, Praxen und Pflegeheimen begonnen. Perspektivisch soll es flächendeckend ausgebaut werden.
Träger des Projekts sind die RKH Kliniken Ludwigsburg-Bietigheim gGmbH unter Beteiligung des Diakonie-Klinikums Schwäbisch Hall, des Klinikverbunds Südwest Sindelfingen, des Marienhospitals Stuttgart, der SLK Kliniken Heilbronn GmbH und der Oberschwabenklinik Ravensburg.
Das praktische Training von Fertigkeiten – sogenannter Skills – spielt in der akademischen Ausbildung in der Medizin und in anderen Gesundheitsfachberufen eine bedeutende Rolle. Zur Vorbereitung und Entlastung der praktischen Ausbil-dung hat sich in den vergangenen Jahren das simulationsgestützte Lernen in sogenannten Skills Labs als Lernform etabliert, die psychomotorische Fähigkeiten und implizites Kontextwissen durch wiederholtes praktisches Üben vermitteln.
Dafür werden je nach Anwendung Schauspielpatientinnen und -patienten sowie verschiedene Varianten von Patientenpuppen eingesetzt – bis hin zu digital-interaktiven Simulationspuppen mit Vitalfunktionen und Sprachinteraktion. Diese Form des simulationsgestützten Lernens erfordert jedoch einen hohen Raum-, Zeit-, Personal- und Finanzbedarf.
Virtual-Reality (VR) gestütztes Training bietet in diesem Kontext erhebliche Mehrwerte: VR-Training kann orts- und zeitunabhängig durchgeführt werden und ist mit vergleichsweise geringen Kosten verbunden. Zusätzlich bietet VR-Training durch eine hohe Immersivität, direktes Feedback sowie eine automatische Dokumentation und Leistungsmessung hohe Potentiale für eine Verbesserung des Lernerlebnisses.
Daher haben die am Projekt beteiligten Hochschulen in Kooperation mit dem Unternehmen imsimity für ausgewählte Lernfelder zunächst VR-Anwendungen und hybride Augmented-Reality (AR)-Anwendungen zum Skills-Training entwickelt. Zur Evaluation sollten in einem Mixed-Methods-Ansatz die Akzeptanz des VR-gestützten Lernens, das subjektive Lernerlebnis, sowie (subjektiver) Kompetenz-zuwachs oder -veränderung durch die Anwendung mit Studierenden und Fachkräften in der Berufspraxis untersucht werden. Darüber hinaus gingen die Projektbeteiligten der Frage nach, wie sich die Immersion und Präsenz der jeweiligen Anwendungen auf den Lernerfolg auswirken.