In der Diskussion um die Ermittlungen zur Stuttgarter Krawallnacht Ende Juni wurden Fragen grundsätzlicher und konkreter Art durcheinander geworfen. Ein so nicht gefallener Begriff hat zu einer vergifteten Debatte geführt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann bringt sich mit einigen Klarstellungen in die Debatte ein.
„In der aktuellen Debatte über die Ermittlungen zu der Stuttgarter Krawallnacht werden verschiedene Fragen grundsätzlicher und konkreter Art durcheinandergeworfen. Daraus ist eine toxische Mischung entstanden. Hier müssen wir wieder sortieren. Deutsch-Sein ist keine Frage des Stammbaums, sondern eine Frage der Staatsbürgerschaft. In einer Republik, einem demokratischen Rechtsstaat ist nicht entscheidend, woher jemand kommt, sondern wie er handelt und wohin er will. Das sieht man schon daran: die Menschen werden bei uns eingebürgert und nicht eingedeutscht, daran wird das schon deutlich. Das heißt, der Migrationshintergrund selbst und die Nationalität stellt an sich überhaupt keinen kausalen Zusammenhang zu irgendeinem kriminellen Verhalten her.
Der Begriff „Stammbaumforschung“ hat zu einer völlig vergifteten Debatte geführt, da er gefährliche Assoziationen weckt. Dieser Begriff ist nicht gefallen und darum ist das so ärgerlich. Die Stuttgarter Zeitung, die den Begriff zuerst in die Debatte gebracht hat, hat in ihrer heutigen Printausgabe nochmal klargestellt, dass der Begriff nicht gefallen ist und so nicht hätte in der Berichterstattung erscheinen dürfen.
Als Verantwortliche und als Gesellschaft aus den Vorfällen lernen
Ich habe nach den Ausschreitungen gesagt, dass wir eine umfassende Aufklärung der Vorfälle und ihrer Hintergründe brauchen. Denn wenn wir als politisch Verantwortliche und als Gesellschaft aus den Vorfällen lernen und die richtigen Maßnahmen ergreifen wollen, um solch eine Wiederholung zu verhindern, müssen wir besser verstehen: Was ist da genau passiert? Warum ist es passiert? Und wer waren die Beteiligten? Das heißt, wir müssen über diese jungen Männer, das waren sie ja vor allem und ihre Hintergründe mehr wissen, ohne Ansehen der Person. Das gilt in jede Richtung. Nur so können wir dann auch erreichen, dass wir präventiv arbeiten und das sollte das Ziel von uns allen sein: Straftaten verhindern, bevor sie entstehen. Dabei kann auch wichtig sein zu wissen, ob dieser junge Mann einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Genauso wichtig kann es sein: Wie ist die familiäre Situation? Wie ist er finanziell gestellt? Wie sieht es mit seiner sozialen Integration aus? All das zusammen gibt dann ein Bild der Lebensumstände. Möglichst viele seriöse, belastbare Fakten zu kennen ist immer hilfreich. Fakten die gewöhnlich vor allen in Jugendstrafprozessen erhoben werden.
Tatsachen an sich können überhaupt nicht schädlich sein, sofern sie den Gesetzen entsprechen. Entscheidend ist, wie man die Tatsachen bewertet oder welche Folgerungen man daraus zieht. Da ist dann wirklich gefragt, sensibel mit solchen Tatsachen umzugehen in ihrer Bewertung und den Folgerungen. Also daraus gerade keine pauschalen Verdächtigungen zu erzielen für irgendeine Gruppe, aus der da jemand stammt. Das ist nämlich gar nicht die Absicht solcher Untersuchungen. Die Polizei hat mitgeteilt, dass in elf Fällen der Migrationshintergrund von Verdächtigen der Stuttgarter Krawallnacht bei den Standesämtern abgefragt wurde, weil diese Personen sich in der Vernehmung nicht zu ihrer Herkunft äußern wollen. Informationen fließen in den Ermittlungsbericht ein und dienen dazu ein möglichst genaues Bild der Täter, dessen Sozialisierung zu erhalten und daraus Schlüsse zu ziehen, etwa für Präventionskonzepte. Ich kann in dem konkreten Fall hier kein Fehlverhalten der Polizei erkennen.
Keine Schnellschüsse und schnellen Urteile
Es ist wichtig mehr über die jungen Täter und ihre Lebensumstände, wie sie ticken, zu erfahren. Nur dann können wir gezielt Maßnahmen ergreifen, die auch solche Gewalttaten in Zukunft verhindern. Vor allem aber müssen wir solche Debatten besonnen führen, weil sie sonst zu gar nichts führen, sondern dazu beitragen, die Gesellschaft auseinander zu treiben. Wir untersuchen das genau und seriös und lassen uns da die notwendige Zeit. Denn es wird nichts besser, wenn man da Schnellschüsse macht und schnelle Urteile fällt, ohne genaue Kenntnisse der Vorgänge und der Tatsachen. Die Krawalle haben uns im hohen Maße verstört und beunruhigt und darum nehmen wir das ernst. Was sind strukturelle Ursachen, dass junge Männer sich so benehmen, woran liegt es – die Frage der ganzen Sozialarbeit, was damit zusammenhängt.“
Winfried Kretschmann