Das InnoLab_bw hat Start-ups und Verwaltung zu einem gemeinsamen Austausch eingeladen. Neben den Förderprogrammen des Landes, spielt die Verwaltung auch eine wichtige Rolle, bei der Beschaffung innovativer Technik. Hier sehen die Start-ups noch Potential Ausschreibungsverfahren innovationsfreundlicher zu gestalten.
In Vorbereitung auf weitere umfangreiche Bemühungen der Landesregierung zur Stärkung von Start-ups in Baden-Württemberg hat das InnoLab_bw Expertinnen und Experten aus Start-ups sowie Vertreterinnen und Vertreter mehrerer Landesministerien zu einer Austauschrunde eingeladen.
Ziel der Veranstaltung war es, den Dialog zwischen den verschiedenen Stakeholdern weiter zu stärken, Maßnahmenvorschläge zur Verbesserung des Marktzugangs von Start-ups in der Interaktion mit der Landesverwaltung zu diskutieren und hierfür neue Impuls aus der Praxis zu erhalten. Die Landesregierung und -verwaltung sind nicht nur durch Rahmensetzung und Förderprogramme wie Pre-Seed oder ProTect (ausgelaufen) wichtige Impulsgeber für das Start-up-Ökosystem, sondern auch in ihrer Beschaffungsrolle eigenständige Validierer für innovative Lösungen von Start-ups und kleine und mittlere Unternehmen (KMU).
In ihren Beiträgen gingen die Start-ups GovMind, Vialytics und Convaise darauf ein, welche Herausforderungen sich bei der Zusammenarbeit mit Auftraggebern aus der Verwaltung stellen und welche Maßnahmen hierbei Abhilfe schaffen können. Insbesondere Vergabevorschriften und gestreute Kompetenzverteilungen in den Landesstellen sind demnach vielfach Hürden für junge Unternehmen. Als besonders hilfreich wurden zentrale Koordinations- und Ansprechstellen für Start-ups auf Landesebene bewertet. Ebenfalls zur Debatte standen Innovations- und Digitalisierungsgutscheine für Kommunen und Landeseinrichtungen sowie die Einrichtung eines Innovationsfonds zur Ko-Finanzierung von innovativen Lösungen für die Verwaltung.
Start-ups bieten auch innovative Lösungen für alle Verwaltungsbereiche
Anna Alles von GovMind wies in ihrem Statement auf das große Potenzial marktfähiger Lösungen mit Relevanz für Staat und Verwaltung hin. Mit derzeit knapp 500 GovTech (Technologien für die Zukunft von Staat und Verwaltung) Start-ups allein aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wird eine Vielzahl innovativer Lösungen für alle Verwaltungsbereiche bereitgestellt. Interessant ist zudem, dass sich die Anzahl der GovTech Gründungen in Europa von 2015 bis 2019 im Vergleich zu 2010 bis 2014 um 73 Prozent erhöht hat.
In einer offenen Diskussionsrunde tauschten sich die Teilnehmenden über die Effektivität und Umsetzbarkeit verschiedenster Maßnahmen aus. Als „Flaschenhals“ wurde dabei unter anderem die Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den dezentral organisierten Bedarfsstellen des Landes benannt. Die Motivation in den Vergabestellen, innovativen Lösungen mehr Raum zu geben, sei groß, jedoch fehle es häufig an Expertise, die durch Fortbildungsmaßnahmen verbessert werde.
Jungen Unternehmen Zugang zur Vergabe ebnen
Anja Theurer, Vorständin bei Staat-up e.V., sagte dazu: „Die Beschaffung innovativer Technologien bei Start-ups wird nicht signifikant vorankommen, solange die Leitungsebenen von Behörden und Ämtern das Thema nicht als Transformations- und damit als Führungsaufgabe begreifen. Es braucht daher ein dediziertes Commitment der Führungsebene, strategische Vorgaben und vor allem auch Transparenz über das Geschehen, um Entwicklung und Fortschritt erst möglich zu machen. Leitfäden zur innovativen Beschaffung für die Mitarbeitenden in Vergabestellen allein werden es nicht richten.“
Aufgrund hoher Komplexität bemühen sich lediglich 31 Prozent der Start-ups um öffentliche Aufträge. Damit Start-ups und Staat zusammenfinden, müsse daher Komplexität reduziert und jungen Unternehmen der Zugang zur Vergabe geebnet werden. Hierbei könne die Einführung einer innovationsfreundlichen Vergabe bis 100.000 Euro helfen, innovative Ideen zu fördern und den Staat weiter zu digitalisieren, betonte Daniel Breitinger, Leiter Startups beim Digitalverband Bitkom.
Expertenbeiträge
Neun Thesen für (deutlich) mehr staatliche Beschaffung von Innovationen von Anja Theurer, Vorständin Staat-up e.V.
- Innovative Lösungen für die private und staatliche Bedarfsdeckung stammen heute in exponentiell steigendem Maße von Start-ups, die aber angesichts der Komplexität und Dauer von Beschaffungsverfahren häufig keinen Zugang zum öffentlichen Auftraggebermarkt finden. Die führt zu einem insgesamt eingeschränkten Wettbewerb und damit zu schlechterer Bedarfsdeckung bei der öffentlichen Hand.
- Dieser Stau muss gelöst werden. Eine probate Maßnahme ist es, die Grenze, bis zu der eine Beschaffung von Innovationen durch Direktkauf möglich ist, signifikant anzuheben. Die Blaupause hierfür liefert ein vor vier Jahren in Frankreich eingeführte Regelung.
- Mit dem sogenannten Dekret Nr. 2018-1225 vom 24. Dezember 2018 (PDF) wurde es öffentlichen Auftraggebern (ÖAG), zunächst befristet auf drei Jahre, ermöglicht, einen öffentlichen Auftrag über innovative Leistungen, der einen geschätzten Auftragswert von 100.000 Euro netto nicht überschreitet, direkt zu vergeben. Nach einer Evaluierung mit positivem Ergebnis wurde die Regelung mit Dekret Nr. 2021-1634 vom 13. Dezember 2021 (französisch) verstetigt.
- Ein Rückgriff der ÖAG auf bekannte und bewährte Marktteilnehmer, wie das teilweise bei der Einführung allgemein erhöhter Wertgrenzen für die freihändige Vergabe beobachtet wurde, steht aufgrund der Anknüpfung der Regelung an den Begriff der Innovation nicht zu befürchten.
- Wegen der Einengung des Wettbewerbs im Bereich der Direktvergabe ist der Markterkundung besonderes Gewicht beizumessen. Dies wird ÖAG heute durch zwischenzeitlich zur Verfügung stehende digitale Recherchetools – auch diese aus dem Start-up Bereich – signifikant erleichtert.
- Generell wird die Beschaffung von Innovationen bei Start-ups erst dann vorankommen, wenn sich die Leitungsebene der Behörden und Ämter des Themas aktiv annimmt. Denn aus Beschaffersicht stellt Beschaffung bei Start-ups ein riskantes Unterfangen an. Notwendig sind daher strategische Vorgaben als Richtschnur für die Beschafferebene sowie tätiges Mitanpacken der Leitungsebene, etwa bei Fragen der Incentivierung oder der Krisenkommunikation.
- Als strategische Vorgabe kommen etwa Zielvorgaben zur Vergabe einer Mindestanzahl von Aufträgen an Start-ups innerhalb eines bestimmten Zeitraums infrage.
- Zielführend ist zudem die Schaffung von Transparenz über den Status quo der Beschaffung bei Start-ups und dessen Entwicklung. Neben klassischen regelmäßigen Reportings an die zuständigen Stellen der Verwaltung bietet sich hier eine Teilnahme am sogenannten. „Start-up Beschaffungsindex“ an, einem Projekt, das vom Kompetenzzentrum innovative Beschaffung (KOINNO) gemeinsam mit Staat-up e.V. auf allen Ebenen (Staat, Land, Kommunen, Sonstige) umgesetzt wird.
- Im Rahmen des Index verpflichten sich ÖAG freiwillig, die Teilnahme von Start-ups an ihren Vergaben zu messen. Hintergrund ist ein unternehmerischer, datenbasierter Ansatz für Change: wenn Neues begonnen oder Bestehendes verbessert werden soll, benötigt die Entscheiderebene zunächst Transparenz über die Ausgangslage. In der Folge können Ziele gesteckt und deren Erreichung nachgehalten werden. Werden die Ziele nicht erreicht, wird das frühzeitig erkannt, und zweckdienliche Maßnahmen können ergriffen werden.
Innovationen sind nicht nur ein wichtiger Faktor für die Privatwirtschaft, sondern auch für den öffentlichen Sektor. Durch die stärkere Berücksichtigung von Startups bei der Vergabe öffentlicher Aufträge profitieren Land und Wirtschaft. Startups können neben der Digitalisierung der Verwaltung auch Projekte wie die Verkehrs- und Energiewende voranbringen. Gleichzeitig kann das Land als großer IT-Einkäufer bei der Förderung von Startups eine entscheidende Rolle spielen – eine echte Win-Win-Situation. Doch es bemühen sich nur 31 Prozent der Startups um öffentlich Aufträge. Hauptgrund ist häufig die Komplexität der Ausschreibung (PDF).
Innovationsfreundliche Vergabe
Die Einführung einer innovationsfreundlichen Vergabe für Lösungen unter 100.000 Euro wäre ein richtiger Schritt, um Startups und ihren innovativen Ideen den Weg in die Vergabe-Welt zu ebnen und Komplexität zu reduzieren. Hierbei muss jedoch auf die spezielle Situation von Startups eingegangen werden.
Um Startups echte Wettbewerbschancen einzuräumen, müssen etwa Anforderungen an Projektreferenzen abgesenkt sowie Wirtschaftlichkeitskriterien verhältnismäßig angesetzt werden. Im nächsten Schritt sollten zudem Startups auch stärker an großen Ausschreibungen partizipieren. Da die Einteilung in Teil- und Fachlose Startups den Zugang erleichtert, müssen innovative Vergabeinstrumente wie die „Mittelstandsklausel“ stärker genutzt werden. Die Einführung eines Digitalisierungsgutscheins würde ebenso helfen, die Zusammenarbeit zwischen Startups und der Verwaltung zu intensivieren und letztere weiter zu digitalisieren.
GovTech Accelerator
Wichtig ist, Beschaffer für die Anwendung innovativer Vergabeverfahren zu sensibilisieren und sie entsprechend fortzubilden. Hier gilt es entsprechende Angebote zu fördern. Zudem müssen Startups das nötige Know-how erlangen, um erfolgreich an öffentlichen Vergaben teilzunehmen. Ein GovTech Accelerator kann Startups dabei unterstützen, mit der Welt der Vergabe rechtlich und kulturell vertraut zu werden, die Vernetzung zwischen Startups, Ministerien und Behörden zu stärken und Transparenz zu schaffen. Ein Gründungsstipendium für Verwaltungsangestellte würde zudem zusätzliche Anreize schaffen, aus der Verwaltung heraus zu gründen und den Wissenstransfer in die Startup-Szene zu stärken.
Abfrage zu Startup-Vergaben
Die Durchführung einer systematischen Abfrage zu Startup-Vergaben bei den Landesministerien und ihren nachgeordneten Behörden, um die Entwicklung der Berücksichtigung von Startups bei öffentlichen Ausschreibungen zu erfassen und zu evaluieren, ist zu begrüßen. Die jährliche Veröffentlichung des Startup-Atlas-BW (PDF), kann ebenfalls dabei unterstützen, neue Initiativen und Gesetzesvorhaben auf Erfolg zu untersuchen und bei Fehlentwicklungen frühzeitig Anpassungen zu unternehmen.
Wichtig für GovTech-Start-ups: Vergabe und Vernetzung
Von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde die Wichtigkeit des Beschaffungswesens und die erfolgreiche Teilnahme an Vergaben für junge Unternehmen betont. Hier habe der Staat die direkte Möglichkeit, Innovation gezielt zu fördern. Auf breite Unterstützung der Akteure stießen Maßnahmen wie das französische Modell einer erhöhten Direktvergabe-Schwelle von 100.000 Euro für innovative Lösungen von KMUs/Start-ups oder selbstverpflichtende Vergabeziele an Start-ups für Landeseinrichtungen.
Herausgestellt wurde zudem die Vernetzung und Verständigung zwischen Staat und Start-ups.
Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Anhörung steht fest, dass sich gerade mit dem verstärkenden Fachkräftemangel ein immer größer werdendes Potenzial für innovative Angebote von Start-ups ergibt, das von der Verwaltung gezielt genutzt werden kann.
„Die öffentliche Hand ist der größte Beschaffer Deutschlands. Es wird Zeit, dass sie diese Rolle ausfüllt und massiv in innovative Technologie investiert, indem sie diese beschafft. Das würde einerseits die Herausforderungen der Verwaltung lösen und andererseits ein Momentum für die ganze Technologiebranche erzeugen“, so Danilo Jovicic-Albrecht von Vialytics.
Tushaar Bhatt von Convaise sagte im Anschluss an die Veranstaltung: „Als Reaktion auf die Diskussionsimpulse würde ich gerne die Rolle der IT-Dienstleister bei der Zusammenarbeit zwischen Staat und Start-ups hervorheben. IT-Dienstleister können ebenso wie die Kommunal- und Landesorganisationen von der Zusammenarbeit mit Start-ups profitieren, indem das Lösungsportfolio erweitert und Erfahrungen und Arbeitsweisen geteilt werden.
IT-Dienstleister sind darüber hinaus auch in einer besonderen Situation, da sie durch bestehende Strukturen die technischen Herausforderungen und Möglichkeiten kennen und zur Skalierung gemeinsamer Lösungen wesentlich beitragen können. Es gilt ein System zwischen der öffentlichen Hand, IT Dienstleistern und Start-ups zu finden, in dem die Zusammenarbeit nachhaltig incentiviert und eine Win-Win-Win Situation geschaffen wird.“
Quelle:
/red