Bund-Länder-Finanzen

Unser Finanzausgleich kann allen schmecken

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Winfried Kretschmann, Ministerpräsident (Bild: © dpa)

2015 haben sich alle 16 Bundeländer auf eine Neuordnung des Finanzausgleichs geeinigt. Jetzt fehlt allein noch die Zustimmung des Bundes. Diesen Kompromiss haben Wissenschaftler des „Kronberger Kreises“ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisiert. An gleicher Stelle verteidigt Ministerpräsident Kretschmann das Modell der Bundesländer: In der Politik geht es nicht ums Prinzip, sondern um Kompromisse. 

Ludwig Erhard, der erste Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, sagte es so: „Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen.“ In der Politik gilt es immer wieder, verschiedene Interessen unter einen Hut zu bekommen und dabei zum Teil weit auseinanderliegende Wünsche zu berücksichtigen. Das war zu Erhards Zeiten so, und es ist heute nicht anders.

Seit mehr als drei Jahren haben wir über die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern verhandelt, denn 2019 laufen die geltenden Gesetze aus. Wenn wir uns in diesem Jahr nicht einigen, wird es eng, rechtzeitig die neuen Regelungen auf den Weg zu bringen. In zähen und schwierigen Gesprächen haben sich alle 16 Länder vor einem halben Jahr auf ein Reformmodell verständigt. Als Ministerpräsident von Baden-Württemberg saß ich in vielen Runden mit am Tisch. Es war kein einfaches Unterfangen. Aber wir haben es geschafft.

Ausblenden der politischen Wirklichkeit

Jetzt gilt es mit dem Bund einig zu werden. Der ziert sich noch. Nachdem sich bei diesem schwierigen Thema alle Länder einig sind, wäre es verantwortungslos, wenn er einfach sagt: so nicht!

Genau dafür haben die Wissenschaftler des „Kronberger Kreises“ vor einer Woche in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung plädiert. Bei allem Respekt vor den Fachleuten: Sie blenden dabei die politische Wirklichkeit einfach aus. Aus dem universitären Elfenbeinturm blicken sie professoral auf unser mühsam gefundenes Ergebnis. Der von den Ländern gefundene Konsens ist Ausdruck der Disparitäten im bundesdeutschen Föderalismus – einem Föderalismus, der uns mehr als 60 Jahre Stabilität garantiert hat.

Unser Modell tariert filigran die unterschiedlichsten Interessen der Länder aus, die nun mal aus sehr unterschiedlichen Strukturen und sehr unterschiedlicher Wirtschaftsstärke herrühren. Es berücksichtigt die finanzielle Überlastung der Südländer im derzeitigen Finanzausgleich ebenso wie die strukturell bedingte Wirtschaftsschwäche der fünf neuen Länder. Es berücksichtigt das Problem der Länder mit überschuldeten Kommunen ebenso wie die besondere Rolle der Stadtstaaten und die schwierige Situation der Länder mit einer Haushaltsnotlage. Vor allem berücksichtigt das Modell die Grundvoraussetzung: Keinem Land darf es schlechter gehen als heute.

Reformmodell sieht keine Steuererhöhungen vor

Zunächst einmal kritisiert der Kronberger Kreis, der Ländervorschlag gehe zu Lasten eines Dritten, nämlich des Bundes. Damit drohe ein Kuhhandel auf Kosten der Steuerzahler, weil der Berliner Finanzminister entweder Steuern erhöhen oder Ausgaben reduzieren müsse.

Doch das Reformmodell der Länder sieht keine Steuererhöhungen vor. Wir wollen lediglich das Geld, das der Steuerzahler ohnehin Monat für Monat an den Staat gibt, anders auf die drei Ebenen verteilen: Bund, Länder und Kommunen. Durch die Schuldenbremse, die ab 2020 auch für die Länder gilt, wird die Quote der Staatsverschuldung sinken. Damit müssen die öffentlichen Haushalte weniger Geld für Kredite und Zinsen zahlen. Gerade deshalb muss es nicht zu Steuererhöhungen kommen.

Die Feststellung der Wissenschaftler, der Bund müsse pro Jahr künftig 9,6 Milliarden Euro zusätzlich an die Länder zahlen, stimmt so nicht. Denn im Gegenzug entfallen bisherige Bundesförderungen in Höhe von rund 5,4 Milliarden Euro. Unter dem Strich belastet unser Reformvorschlag den Bund also nur mit 4,2 Milliarden Euro. Das ist gerade mal ein halbes Prozent des Steueraufkommens in Deutschland, das für 2020 auf 808 Milliarden Euro geschätzt wird. Als einen „Kuhhandel zu Lasten des Steuerzahlers“ kann man das wahrlich nicht bezeichnen.

Weniger instrumentalisierbar

Zweitens bemängelt der Kronberger Kreis, der Ländervorschlag sei, wie schon die geltenden Regelungen, nicht transparent. Der bisherige Länderfinanzausgleich ist stets als zu komplex, unverständlich und politisch instrumentalisierbar angegriffen worden. Deshalb wollen wir ihn ja abschaffen. An seine Stelle tritt in unserem Modell ein Mechanismus, der die Einnahmen von Anfang an nach bestimmten Kriterien verteilt – statt dass die Einnahmen erst an die einen Länder fließen, damit sie das Geld dann in einem zweiten Schritt an die anderen verteilen. Auch das ist komplex. Aber es ist weit weniger instrumentalisierbar und mindestens so klar wie das alte System.

Die Wissenschaftler sagen zum Dritten, unser Vorschlag biete den Ländern nicht die Möglichkeit, autonom über die Höhe ihrer Steuern zu entscheiden. Für diese Forderung hat sich Baden-Württemberg eingesetzt. Aber die große Mehrheit der Länder lehnt das ab. Das war schon in den Föderalismuskommissionen des vergangenen Jahrzehnts ein Thema. Bereits damals gab es eine breite Ablehnungsfront. Und dabei ging es gar nicht um eine volle Steuerautonomie, sondern nur um das Recht, Zu- und Abschläge zu beschließen. Aber damit ein schwaches Land durch Zuschläge ein genauso hohes Aufkommen erzielt wie ein starkes, müsste es die Steuern siebenmal so stark erhöhen. Der wirtschaftliche Effekt liegt auf der Hand. Zugunsten eines Kompromisses haben wir davon abgesehen. Im Gegenzug sind andere Länder von Forderungen abgerückt, die wir als „Zahlerland“ nicht mittragen konnten.

Länderfinanzausgleich ist kein Selbstzweck

Und schließlich vermissen die Professoren in unserem Vorschlag bisher nicht vorhandene Anreize, die eigenen Steuereinnahmen zu steigern – etwa durch Neuansiedlungen von Unternehmen. Bei diesem nicht sehr neuen Vorwurf handelt es sich um eine theoretische Systemkritik. Alle Länder sind darum bemüht, neue Unternehmen anzusiedeln und bestehende zu halten oder zu fördern und damit Arbeitsplätze zu sichern oder zu schaffen sowie den Arbeitnehmern ein auskömmliches Einkommen zu ermöglichen. Auch die Kollegen aus Bremen oder Mecklenburg-Vorpommern haben nie eine Unternehmensansiedlung abgelehnt, weil sie fürchteten, weniger Geld aus dem Finanzausgleich zu bekommen.

Der Länderfinanzausgleich ist kein Selbstzweck. Er ist Ausdruck unseres Solidaritätsprinzips. Wenn wir uns heute zu weit davon entfernen, ist die Gefahr groß, dass wir morgen sehr viel größere Unterschiede zwischen den Ländern ausgleichen müssen. Dieses Prinzip gilt auch zwischen Bund und Ländern. Deshalb appelliere ich an den Bund, auf der Grundlage des Länder-Vorschlags konstruktiv zu verhandeln. Dessen Architektur grundsätzlich in Frage zu stellen ist ein Affront gegen alle 16 Länder, und es erschwert einen fairen Kompromiss.

Im Sinne von Ludwig Erhard setze ich darauf, dass am Ende nicht nur jede Regierungschefin und jeder Regierungschef sagt, sie oder er habe das größte Kuchenstück für das eigene Land bekommen. Sondern dass auch die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister sagen: Unser Kuchenstück ist ausreichend groß. Und es schmeckt, auch wenn es keine Schwarzwälder Kirschtorte ist.

Die Replik von Ministerpräsident Winfried Kretschmann erschien am 19. Juni 2016 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.