Namensbeitrag

„Föderalismus ist das Fundament unseres Landes“

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Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (Bild © dpa).

In seinem Namensbeitrag für „Der Neue Kämmerer” wiederholt Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Forderung an den Bund, Ländern und Kommunen einen auskömmlichen Anteil am gemeinsamen Steueraufkommen zur Bewältigung ihrer durch die Verfassung zugewiesenen Aufgaben zuzubilligen. Stattdessen wedelt der Bund mit Geld, um auf der anderen Seite Zuständigkeiten an sich zu ziehen. Kretschmann nennt dies „süßes Gift“ für die Länder.

Groß waren sie damals im Juni 2017, unsere Bedenken zum letztendlichen Vorschlag des Bundes zur Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Denn mit ihr würde sich die föderale Struktur zu Lasten der Länder verschieben. Trotzdem haben wir zugestimmt, aus der Überzeugung heraus, ab dem Jahr 2020 mit Inkrafttreten der Schuldenbremse auf ein gut funktionierendes Ausgleichssystem bauen zu können, welches Ländern und Kommunen Planungssicherheit für ihre Haushalte gibt.

Doch die Bundesregierung geht nun noch einen großen Schritt weiter in die falsche Richtung. Das zeigt der aktuelle Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes zur umfassenden Ausdehnung der Finanzhilfekompetenzen des Bundes in den Bereichen Bildung, sozialer Wohnungsbau und Verkehrswege. Damit soll die 2006 vorgenommene Entflechtung von Zuständigkeiten von Bund und Ländern nunmehr vollends zurückgenommen und die föderale Ordnung ein weiteres gutes Stück zu Gunsten des Bundes verschoben werden.

„Süßes Gift“ für die Länder

Der Bund gibt hier den Ländern nichts anderes als „süßes Gift“: Er wedelt mit Geld, Zuständigkeiten sollen dafür vermengt, Verantwortlichkeiten verwischt und der Bundeseinfluss auf die Aufgabenerfüllung der Länder und Kommunen sollen in einem bislang beispiellosen Umfang ausgedehnt werden. Mit dieser Aushöhlung des Föderalismus muss Schluss sein! Wir können nicht länger hinnehmen, dass in allen wichtigen Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder dem Bund – über Artikel 104b Absatz 2 Grundgesetz – ein Steuerungs- und Kontrollrecht über die Art und Weise des Mitteleinsatzes in den Ländern eingeräumt werden soll – bis hin zur Pflicht, die einzelnen Förderakten in Berlin vorzulegen! Die Länder (aber auch die Kommunen) werden damit faktisch der Fachaufsicht des Bundes unterworfen und zu bloßen Kostgängern des Bundes. Da wird nicht einfach irgendeine rote Linie überschritten. Hier wird die Verzwergung der Länder betrieben und ein Frontalangriff auf die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung gestartet.

Statt das Grundgesetz zum Erfüllungsgehilfen zentralstaatlicher Versprechen zu machen, sollte der Bund endlich das Grundproblem der mangelnden finanziellen Ausstattung der Länder und Kommunen angehen. Wir brauchen keine immer aufs Neue aufgelegten Programme des Bundes mit zeitlich befristeten finanziellen Almosen. Wir brauchen eine zuständigkeitskonforme Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, wie sie unsere Verfassung fordert. Und das heißt: Wir brauchen keine Programmmittel. Wir brauchen Steuermittel!

Das Grundgesetz sieht in Art. 106 Absatz 3 vor, den Ländern und Kommunen einen auskömmlichen Anteil am gemeinsamen Steueraufkommen zur Bewältigung ihrer durch die Verfassung zugewiesenen Aufgaben zuzubilligen.

Der Bund die Aufgaben überhaupt nicht besser

Statt das mit uns Ländern auszuhandeln, will der Bund Grundgesetzänderungen, in denen er in den Kompetenzbereich der Länder mit eigenen Programmgeldern Steuerungsfunktionen übernimmt. Diese Programmgelder, die er benennt, sind aber das Eingeständnis, dass die Länder in diesen Bereichen unterfinanziert sind, sonst würde er die Mittel ja gar nicht anweisen.

Dabei erfüllt der Bund die Aufgaben überhaupt nicht besser. Das sehen wir doch beim Netzausbau – der wurde zentralisiert, aber fast nichts ist passiert. Wenn man der Meinung ist, Bildung und sozialer Wohnungsbau seien unterfinanziert, und diese Meinung ist offensichtlich zutreffend, dann ist eben ein höherer Anteil am Steueraufkommen für Länder und Kommunen die richtige Lösung und nicht eine weitere Verlagerung von Länderkompetenzen zum Bund. Ansonsten werden die Länder zu bloßen „Verwaltungsprovinzen“ unter bundesgesetzlicher Bevormundung degradiert.

Der Bund muss daher endlich wieder zu dem Verfahren nach Artikel 106 Absatz 3 Grundgesetz zurückzukehren und Deckungsbeiträge für die großen Herausforderungen auf Landes- und kommunaler Ebene fair aushandeln.

Baden-Württemberg einigt sich mit seinen Kommunen

Wie es richtig gemacht wird, zeigen die jüngsten erfolgreichen Verhandlungen zwischen der Landesregierung Baden-Württemberg und den Kommunen im Land über deren finanzielle Ausstattung. Wir haben lange und intensive Gespräche mit den kommunalen Landesverbänden geführt. Am 24. Juli 2018 konnte eine aus meiner Sicht für alle Beteiligten gute und tragfähige Vereinbarung getroffen werden. Es waren harte Verhandlungen. Aber Verhandeln heißt, dass sich die Partner am Ende aufeinander zubewegen, und nicht, dass einseitige Forderungen übernommen werden. Und das ist uns am Ende gelungen. Es ging dabei um viele, komplexe Finanzthemen, die für beide Seiten, Land wie Kommunen, erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Herausgreifen möchte ich den Pakt für gute Bildung, der unter anderem die Förderung von Kindertagesstätten und Kindergärten sichert, die Krankenhausfinanzierung und der kommunale Sanierungsfonds.

Gleiches erwarte ich auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. So, wie es bis Anfang der 1990er Jahre praktiziert wurde – aus guten Gründen.

Hort der Stabilität in Europa und der Welt

Der Bund kann für viele drängende Probleme vor Ort nicht die passenden Antworten liefern. Glaubt jemand ernsthaft, dass der Bund zehntausende Schulen und hunderttausende Lehrer in ganz Deutschland besser verwaltet als die Länder? Schon in Baden-Württemberg sind die Unterschiede groß, etwa zwischen Großstädten und ländlichen Räumen. Es ist schon schwierig genug, eine Politik für so einen großen Flächenstaat zu gestalten. Dass der Bund das können soll, ist eine aberwitzige Vorstellung.

Vielmehr bedeutet Föderalismus den Wettbewerb einer Vielzahl unterschiedlicher, kraftvoller Projekte. Eigene Zuständigkeiten der Länder gilt es daher weiter mit Selbstbewusstsein wahrzunehmen und mit Leben zu erfüllen. Wir müssen in unserem ureigenen Wirkungskreis alles dafür tun, spezifische Lösungen für Probleme vor Ort zu entwickeln und dabei mit den anderen Ländern um die bestmögliche Lösung zu wetteifern. Dieses Prinzip hat sich seit der Gründung der Länder und des Bundes in allen Krisen bewährt. Wir haben damit die deutsche Einheit gestemmt und die Finanzkrise überwunden. Die aktuelle Situation in der Bundesrepublik als Hort der Stabilität in Europa und der Welt unterstreicht die Erfolge der föderalen Verfasstheit unseres Landes. Durch unser funktionierendes Mehrebenensystem bleibt unser Land gegenüber den Zentrifugalkräften, die an unserer Welt zerren, stabil.

Während beispielsweise das traditionell zentralstaatlich organisierte Frankreich jetzt mit seinen Reformnotwendigkeiten auch ein verstärktes Interesse für eine aufgegliederte Aufgabenverteilung entwickelt, geht die Bundesregierung wider besseren Wissens den falschen Weg.

Diese Erkenntnis wünschte ich mir auch von meinen fünfzehn Kolleginnen und Kollegen: Die Länder gab es vor dem Bund. Der Bund wurde von den Ländern gebildet – nicht umgekehrt. Daraus folgt aber auch, dass die Länderchefinnen und -chefs dem Bund selbstbewusst und auf Augenhöhe begegnen sollten, nicht aber als Bittsteller um finanzielle Almosen. Um unser Land auch künftig erfolgreich zu gestalten müssen wir den Föderalismus als Fundament unseres Landes stärken und nicht beerdigen.

Wir müssen der Bevölkerung wieder stärker klar machen, dass der Föderalismus als Grundpfeiler unseres Landes – gerade in Zeiten von Separatismus und um sich greifenden Populismus in Europa und der Welt – eine gute politische Ordnung der Dinge ist, die Identität schafft! Es wäre doch grotesk, den Föderalismus gerade dann zu schleifen, wenn eine wachsende Zahl von Menschen in ihrer Region Halt und Heimat sucht.

Quelle:

Der Namensbeitrag erschien am 21. September 2018 in „Der Neue Kämmerer“.