Bis 2040 will Baden-Württemberg klimaneutral werden. Weil aber nicht alles mit grünem Strom zu betreiben ist, braucht es aus Sicht der Landesregierung grünen Wasserstoff. Warum und wie der ins Land kommen soll, hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei einer Regierungserklärung im Landtag erklärt.
Um Baden-Württemberg bis 2040 klimaneutral zu machen, setzt Baden-Württemberg nicht nur auf Energieeinsparungen und den Ausbau von erneuerbaren Energien, sondern auch auf grünen Wasserstoff. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält die Versorgung des Landes mit Wasserstoff für unverzichtbar, um das Klimaziel zu erreichen. „Ohne grünen Wasserstoff keine Klimaneutralität“, sagte Kretschmann am Donnerstag, 29. Juni 2023, bei einer Regierungserklärung im Landtag in Stuttgart.
Ohne grünen Wasserstoff keine Klimaneutralität
Das Potenzial des Energieträgers sei gewaltig, sagte Kretschmann. „Er ist ein echter Alleskönner.“ Mit Wasserstoff könne man Motoren und Kraftwerke betreiben, Stahl produzieren oder fossile Rohstoffe ersetzen, etwa in Kunststoffen, Medikamenten oder Düngemitteln.
Für die baden-württembergische Wirtschaft sei der Aufbau der Wasserstoffversorgung „eine Riesenchance“: „Unsere Wirtschaft kann als technischer Ausrüster von dem Hochlauf des grünen Wasserstoffs profitieren. Sie kann zu einem der führenden Exporteure von Wasserstofftechnik werden“, sagte Kretschmann.
Ausgangsposition des Landes ist ausgezeichnet
Schon heute seien Unternehmen in Baden-Württemberg „weltweite Technologieführer auf dem Feld der Wasserstofftechnologie“, sagte Kretschmann. Rund 90 Unternehmen seien auf dem Feld tätig, zudem gebe es 18 universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen. „Unsere Ausgangsposition ist ausgezeichnet.“ Die Landesregierung wolle deswegen die Schlüsseltechnologie gezielt besetzen und möglichst viele neue Arbeitsplätze schaffen.
Noch wird Wasserstoff wenig verwendet, es fehlt die notwendige Infrastruktur. „Sobald die Pipelines stehen, werden wir den grünen Wasserstoff in großen Mengen importieren, weil er anderswo günstiger produziert werden wird als bei uns“, sagte Kretschmann Es brauche ein örtliches, regionales, nationales und internationales Wasserstoffnetz. Die Dimension sei vergleichbar mit der Schiffbarmachung des Neckars oder dem Bau der ersten Eisenbahnstrecken.
Entscheidend sei aber auch, sich nicht wieder – wie beim russischen Gas – von einem Lieferanten abhängig zu machen. „Daher streben wir eine Wasserstoffversorgung aus allen vier Himmelsrichtungen an, aus dem Norden, dem Westen, dem Süden und dem Osten“, sagte Kretschmann.
Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft
Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Bei seiner Nutzung entstehen keine Treibhausgase. Doch muss zur Herstellung mit großem Energieaufwand Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Wird für die sogenannte Elektrolyse Strom aus erneuerbaren Energien verwendet, gilt der Wasserstoff als grün und CO2-frei.
Regierungserklärung durch
Ministerpräsident Winfried Kretschmann
Wasserstoffland Baden-Württemberg – Arbeitsplätze schaffen, Versorgung sichern, Klima schützen
am 29. Juni 2023 im Landtag von Baden-Württemberg
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,
blicken wir nach Osten, dann sehen wir einen Angriffskrieg, in dem Energie als Waffe gegen uns verwendet wird. Blicken wir nach Westen, sehen wir verbrannte kanadische Wälder, die ganz New York in einen grauen Smog getaucht haben, und einen atlantischen Ozean, der so warm ist wie nie zuvor. Blicken wir nach Süden, sehen wir Dürren, Wasserknappheit und Missernten. Und schauen wir zu uns nach Baden-Württemberg, dann sehen wir eine Trockenheit, angesichts derer wir nur hoffen können, dass sie sich nicht über den ganzen Sommer hinweg fortsetzen wird.
Der Krieg im Osten mahnt uns, nach Alternativen zum Gas aus Russland Ausschau zu halten und unsere Energieversorgung nie mehr von einem einzelnen Land abhängig zu machen. Die Brände im Westen, die Dürre im Süden und die Trockenheit bei uns selbst verlangen, die Erderhitzung zu stoppen und unseren Planeten nicht immer weiter mit Kohle, Öl und Gas aufzuheizen. Und wenn Sie mir diese Nebenbemerkung gestatten: Dass wir unsere Art zu Wirtschaften verändern müssen – das fordern nicht zuerst Parteien oder Aktivisten. Es ist der Klimawandel selbst, der das von uns fordert. Es sind die Dürren und Missernten, die das von uns fordern. Es sind die Überflutungen und Brände, die das von uns fordern. Und die uns alle und unsere Wirtschaft unter einen stetig steigenden Stress setzen.
Deshalb ist es in unserem ureigenen Interesse, dass wir uns hier im Land ein ehrgeiziges Ziel gesetzt haben: Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 – als eines der ersten Industrieländer der Welt. Das heißt: Schritt für Schritt klimaneutral werden und unsere Lebensgrundlagen schützen. Leitanbieter für die Schlüsseltechnologien der Zukunft werden. Industriestandort und Arbeitsplätze sichern. Und die Jobs der Zukunft schaffen.
Auf drei Säulen zur Klimaneutralität
Dabei stützen wir uns auf drei Säulen:
Erste Säule: Energieeffizienz, die kostengünstigste Art der Energiewende. Denn was man nicht verbraucht, muss man auch nicht bezahlen. Uns in Baden-Württemberg liegt das ganz besonders im Blut. Denn „aus nix was machen“ und „no nix verkomma lassa“ – das sind so etwas wie die speziellen thermodynamischen Hauptsätze unseres Landes. Und deshalb gehen wir hier voran: mit Rohstoffkonzept, Ressourceneffizienz- und Nachhaltigkeitsstrategie, mit der Umwelttechnik Baden-Württemberg, mit Think Tank und Unternehmensbündnissen – und haben uns auf diese Weise an die Spitze in Europa gesetzt.
Zweite Säule: Strom aus Erneuerbaren Energien. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung hier endlich die Bremsen gelöst. Und auch wir im Land haben noch einmal nachgelegt, meine Task Force hat dazu gerade ihren Abschlussbericht vorgelegt: Flächen für die Windkraft und Freiflächenphotovoltaik bis 2025 mehr als verdreifacht, Dauer Genehmigungsverfahren halbiert, Vergabeoffensive für Windkraft im Staatswald, Solarpflicht für Neubauten, große Dachsanierungen und größere Parkplätze. Inzwischen sehen wir die ersten Ergebnisse: Die Trendwende bei der Windkraft ist da, mit mehr als 400 Windkraftanlagen in der Pipeline. Im Staatswald haben wir Flächen für bis zu 340 weitere Windräder vergeben. Der Ausbau der Solarenergie hat sich verdoppelt. Allein von Januar bis Mai wurden gut 50.000 neue PV-Anlagen in Baden-Württemberg installiert, mit einer Leistung von mehr als 600 Megawatt. Und beim Zubau der Erneuerbaren insgesamt – Wind, Solar und Biomasse – liegen wir in Baden-Württemberg inzwischen auf Platz drei unter den Ländern.
Damit die Transformation gelingt und Baden-Württemberg bis zum Jahr 2040 klimaneutral ist, reichen Energieeffizienz und Grünstrom allerdings nicht aus. Wir brauchen noch eine dritte Säule, der ich mich in meiner heutigen Regierungserklärung widme: Grüner Wasserstoff, der mit der Hilfe von grünem Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt wird.
Potential des Grünen Wasserstoffs ist gewaltig
Das Potential des Grünen Wasserstoffs ist gewaltig, denn er ist ein echter Alleskönner. Mit grünem Wasserstoff und seinen Derivaten kann man Motoren in Gang setzen, Kraftwerke betreiben, Stahl produzieren oder fossile Rohstoffe ersetzen, zum Beispiel in Kunststoffen, Arznei- oder Düngemitteln -, und dies alles klimaneutral. Wichtig ist auch, dass man Wasserstoff über große Streckentransportieren und über lange Zeiträume speichern kann. All das macht ihn zu einem wichtigen Teil der Energiewende.
Es gibt nur eine Krux: Bis man ihn nutzen kann, sind mehrere Umwandlungsschritte nötig. Bei jedem dieser Schritte geht Energie verloren. Das macht ihn erst einmal knapp und teuer, weshalb ihn manche auch den „Champagner der Energiewende“ nennen. Doch dieses Bild trifft nicht den Punkt: Ja, grüner Wasserstoff ist erst einmal knapp und teuer. Aber ein Luxus ist er nicht. Champagner ist verzichtbar. Grüner Wasserstoff ist es nicht. Vor allem in der Industrie, im Flug- und im Schiffsverkehr wird grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen. In Baden-Württemberg betrifft das neben dem Mobilitätssektor zum Beispiel die Produktion von Papier, Glas, Zucker, Zement oder die Transformation der größten Raffinerie Deutschlands, der Mineralölraffinerie MiRO in Karlsruhe. Hier gilt: Ohne grünen Wasserstoff keine Klimaneutralität. Denn diese Bereiche sind – trotz aller Unsicherheiten – notwendiger Bestandteil aller Analysen und Szenarien zur klimaneutralen Energieversorgung der Zukunft.
Allein auf der Basis dieser Einsatzbereiche rechnen die Fachleute damit, dass der globale Markt für grünen Wasserstoff noch vor Mitte des Jahrhunderts die Billionen-Dollar-Grenze durchbrechen wird. Auch mehr ist möglich, wenn weitere Anwendungen hinzukommen. Das ist natürlich ein Wort, denn das bedeutet: Hier entsteht ein gewaltiger globaler Markt. Deshalb legt gerade ein Staat nach dem anderen seine eigene Wasserstoffstrategie auf und hinterlegt sie mit Milliardensummen. Und deshalb werden wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einen großen globalen Hochlauf von grünem Wasserstoff erleben: ambitionierte Förderprogramme, große Infrastrukturprojekte, massive Investitionen, und eine schrittweise wachsende Produktion im industriellen Maßstab.
Gleichzeitig wird grüner Wasserstoff günstiger werden: wegen des technischen Fortschritts, wegen großer Skaleneffekte, und weil grüner Strom als Basis von grünem Wasserstoff immer günstiger wird. Dabei, und auch das ist entscheidend wichtig, werden diejenigen Standorte einen Kostenvorteil haben, an denen es besonders windig oder sonnig ist. Ich denke zum Beispiel an die ersten Wüsten-Solarparks, die gerade die Kostengrenze von einem Cent pro Kilowattstunde Sonnenstrom knacken.
Schlussfolgerungen für Baden-Württemberg
Welche Schlussfolgerungen sind daraus für Baden-Württemberg zu ziehen?
Erstens: Unsere Wirtschaft kann als technischer Ausrüster von dem Hochlauf des grünen Wasserstoffs profitieren. Sie kann zu einem der führenden Exporteure von Wasserstofftechnik werden. Das ist eine Riesenchance.
Zweitens: Sobald die Pipelines stehen, werden wir den grünen Wasserstoff in großen Mengen importieren, weil er anderswo günstiger produziert werden wird als bei uns. Diesen Import von Wasserstoff und seinen Derivaten müssen wir sicherstellen. Und das ist für ein Binnenland wie Baden-Württemberg eine Herausforderung.
Gleichzeitig ist klar: Bis der Wasserstoff durch Pipelines zu uns fließt, müssen wir auch selbst bei uns in Baden-Württemberg Wasserstoff produzieren. Denn ohne heimische Produktion können wir in den kommenden Jahren keine regionalen Wertschöpfungsketten aufbauen. Und ohne regionale Wertschöpfungsketten keine Technologieführerschaft. Nur so können wir global mithalten.
Mit einem Wort: Exportweltmeister und Großimporteur werden, das ist unsere Aufgabe, wirtschaftliche Chancen nutzen und logistische Herausforderungen stemmen, lokal handeln und zugleich den nächsten Schritt in der Internationalisierung der Energiewende gehen – all das packen wir beherzt an!
Chancen für die Wirtschaft
Zunächst zu den Chancen für unsere Wirtschaft.
Unsere Unternehmen sind schon heute weltweite Technologieführer auf dem Feld der Wasserstofftechnologie. Und bringen – zusammen mit Wissenschaft und Forschung – einiges auf die Waage: Rund 90 Unternehmen beschäftigen sich in Baden-Württemberg mit Wasserstoff und Brennstoffzelle und können sich dabei auf die geballte Kompetenz von 18 exzellenten universitären und außeruniversitären Einrichtungen stützen. Unsere Ausgangsposition ist ausgezeichnet. Das grüne Wirtschaftswunder, von dem immer wieder die Rede ist, in diesem Bereich ist es konkret für unser Land greifbar. Für diejenigen, die Brennstoffzellen oder Elektrolyseure bauen genauso wie für unseren Maschinen- und Anlagenbau.
Und deshalb haben wir das klare Ziel: diese Schlüsseltechnologie der Energiewende gezielt besetzen, Baden-Württemberg zum Leitanbieter entlang der gesamten Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff machen, und auf diesem Wege möglichst viele neue Arbeitsplätze schaffen und viele bestehende Arbeitsplätze sichern. Diesen Weg gehen wir in einem breiten Schulterschluss mit unserer Wirtschaft, begleitet vom Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag, der unsere Aktivitäten mit einer eigenen „Task Force Wasserstoff“ unterstützt.
Als Schrittmacher nutzen wir den Mobilitätssektor. Denn zum einen bringen wir hier eine große Stärke und umfassende Kompetenz mit; bei der Entwicklung von Brennstoffzellensystemen und ihrer Anwendung für schwere Nutzfahrzeuge sind wir in Europa führend. Zum anderen liegt hier ein gewaltiger Hebel für die Dekarbonisierung des Verkehrs; ein Drittel des CO2-Ausstoßes des Verkehrs stammt von schweren Nutzfahrzeugen. Daher ist grüner Wasserstoff ein wichtiger Baustein, um den Schwerlastverkehr klimaneutral zu machen – bei uns in Baden-Württemberg, in Deutschland und darüber hinaus. Deshalb ist uns sehr wichtig, dass eine Tankstellen-Infrastruktur für grünen Wasserstoff entsteht. Beim Strategiedialog Automobilwirtschaft kümmern wir uns genau um diese Aufgabe. Und deshalb habe ich mich persönlich reingehängt, damit Cellcentric seine Brennstoffzellenfabrik bei uns im Land bauen kann. Mit Erfolg: Geplant sind eine hochmoderne, ökologisch durchdachte und in die Landschaft eingebettete Fabrik und 800 neue zukunftsfähige Arbeitsplätze. Ein Erfolg, über den ich mich sehr freue und über den wir uns alle freuen können. Denn es ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Technologieführerschaft.
EU, Bund und Land investieren kräftig
Darüber hinaus investieren wir kräftig, um im Wettbewerb mit Asien und den Vereinigten Staaten die Nase vorn zu haben, Hand in Hand mit dem Bund und mit der Europäischen Union. Europa steht uns im Land dabei mit insgesamt fünf sogenannten „IPCEI-Projekten“ zur Seite. IPCEI – diese Abkürzung steht für große, wichtige Europäische Förderprojekte, die in unserem gemeinsamen strategischen Interesse sind. Und der Bund investiert rund 900 Millionen Euro in den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Baden-Württemberg. Ein großes Engagement und wichtiges Bekenntnis von EU und Bund zum Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg, für das wir sehr dankbar sind. Wir im Land legen noch einmal 500 Millionen Euro für Forschung und Leuchtturmprojekte obendrauf, sodass insgesamt rund 1,4 Mrd. Euro bei uns in Baden-Württemberg wirksam sind.
Konkret geht es um rund 90 Projekte an unseren Hochschulen und rund 60 wirtschaftsnahe Projekte, in denen alle Komponenten gefördert werden, die für die Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff entscheidend sind, verstreut über das ganze Land, von Mannheim bis zum Bodensee, von Karlsruhe bis nach Ulm. Drei Beispiele:
An Rhein und Neckar arbeiten 13 Projektpartner in den Projekten „H2Rivers“ und „H2Rhein-Neckar“ an der Wasserstoffmobilität der Zukunft. Und zeigen, wie die wasserstoffgestützte Mobilität der Zukunft konkret funktioniert, von der Wasserstoffproduktion mit Hilfe der Elektrolyse über die Wasserstofftankstelle bis zu Brennstofffahrzeugen wie LKWs, Bussen, Gabelstaplern oder Müllwagen.
In Stuttgart wird derweil an der Luftfahrt der Zukunft gearbeitet. An einem Wasserstoff-Passagierflugzeug, das eine Reichweit von bis zu 2.000 Kilometern haben und 40 Menschen transportieren soll. Ein Anwendungsbereich, den das Land mit dem Aufbau eines Exzellenzzentrums für wasserstoffbasiertes Fliegen am Flughafen Stuttgart kraftvoll unterstützt.
Oder das Thema Brennstoffzelle, eine Schlüsseltechnologie der Wasserstoffwirtschaft. Hier arbeiten das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung gemeinsam daran, wie man Brennstoffzellenprodukte in einer Modellfabrik in Serie herstellen und skalieren kann.
Ein wichtiges Projekt gerade für unsere Zuliefererindustrie.
In weiteren Projekten geht es um die Zukunft der Raumfahrt, um große und kleine Elektrolyseure, die in regionalen Hubs lokale Akteure mit Wasserstoff versorgen, oder um die Erprobung des Pipelinebetriebs unter realen Bedingungen.
Auf diese Weise fördern wir eine ganze Kaskade von Innovationen und schaffen die Grundlage für den Hochlauf einer grünen Wasserstoffwirtschaft bei uns im Land und weltweit.
Versorgung des Landes mit grünem Wasserstoff vorbereiten
Nun zur zweiten großen Aufgabe, die sich für uns stellt. Ich habe es zu Anfang ja bereits angedeutet: Wir sind ein Energieimportland und wir bleiben ein Energieimportland. Daran besteht angesichts der Größenordnungen, um die es hier geht, nicht der geringste Zweifel. Deshalb ist es unsere Aufgabe und unsere Verantwortung, die Versorgung unseres Landes mit grünem Wasserstoff vorzubereiten.
Und um es mal in einen historischen Kontext zu rücken: Es geht hier um eine der großen, entscheidenden Weichenstellungen für die kommenden Jahrzehnte, vergleichbar mit der Schiffbarmachung des Neckars, mit dem Bau der ersten Eisenbahnstrecken, mit den ersten Strom- und Gasnetzen im Land. Genauso wie damals wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ein örtliches, regionales, nationales und internationales Wasserstoffnetz entstehen.
Dabei verfolgen wir drei Ziele:
Erstens: Der Wasserstoff muss da ankommen, wo er besonders gebraucht wird: in den industriellen Zentren der Republik, also hier bei uns in Baden-Württemberg. Wir sind eine der stärksten Industrieregionen Europas und wollen das auch bleiben. Wir werden nicht zulassen, dass der Süden benachteiligt wird. Deshalb haben wir uns mit Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland zusammengetan und fordern, dass für ganz Deutschland dasselbe Tempo für den Aufbau des Wasserstoffnetzes gilt. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Es ist eine Frage der ökonomischen Klugheit. Und es ist eine Frage der politischen Klugheit. Denn was passiert, wenn man seine industriellen Zentren nicht pflegt, kann man allenthalben beobachten. Und auf diese Erfahrung können wir gut und gerne verzichten.
Zweitens: Der brutale russische Angriffskrieg zeigt, dass man sich nicht von einem Lieferanten abhängig machen und die Energieversorgung diversifizieren sollte. Daher streben wir eine Wasserstoffversorgung aus allen vier Himmelsrichtungen an, aus dem Norden, dem Westen, dem Süden und dem Osten.
Drittens: Baden-Württemberg liegt im Herzen Europas. Deshalb setzen wir auf eine enge Abstimmung mit dem Bund und der Europäischen Union und auf neue Energiepartnerschaften, mit denen wir unsere Versorgung zusätzlich zu den Anstrengungen des Bundes absichern. Ich denke dabei an die Wasserstoffallianz, die wir mit Bayern vereinbart haben. Ich denke an unsere neue Energiepartnerschaft mit Schottland und unsere Energiepartnerschaft mit den Niederlanden. Und ich denke an Regionen in Spanien, mit denen wir im engen Austausch sind, um nach der Sommerpause eine neue Energiepartnerschaft zu vereinbaren. Doch dabei bleiben wir nicht stehen. Weitere Energiepartnerschaften werden folgen.
Wie geht es nun ganz konkret weiter?
In den kommenden Monaten wird eine entscheidende Phase für die Planung der Wasserstoff-Infrastruktur eingeläutet. In der ersten Stufe geht es um die konkrete Vereinbarung des sogenannten Wasserstoff-Startnetzes, das bis zum Jahr 2032 in Betrieb genommen werden soll. In der zweiten Stufe soll bis Ende dieses Jahres eine Rechtsgrundlage für eine umfassende Planung des Wasserstoffnetzes geschaffen werden.
Doch das ist kein Selbstläufer für uns, denn als Binnenland haben wir einen natürlichen Nachteil gegenüber den windreichen Standorten im Norden. Deshalb unterzeichne ich morgen eine Erklärung mit sehr konkreten Forderungen an den Bund - gemeinsam mit rund 30 Akteuren aus Unternehmen und Gewerkschaften, Forschungseinrichtungen und Hochschulen, Energie- und Umweltverbänden, Wirtschaftsverbänden und Kammern. Wir begrüßen die Entscheidung der Bundesregierung für den Aufbau eines Startnetzes bis zum Jahr 2032. Und fordern, dabei von Beginn an die folgenden sechs Leitungen zu berücksichtigen: die 10 wasserstofffähige süddeutsche Erdgasleitung „SEL“, die Nord-Süd-Pipelineverbindung vom Rheintal nach Baden-Württemberg und deren Fortführung bis zur Schweizer Grenze, den Anschluss des Bodenseeraums, das grenzüberschreitende Projekt „Rhyn Interco“ im Raum Freiburg sowie eine Leitung zur Ost- und eine Leitung zur Nordsee, die für die Versorgung unseres Landes von großer Bedeutung sind.
International wollen wir im Westen an Frankreich und Spanien angebunden werden, im Süden an Österreich, Schweiz, Italien und damit an den Mittelmeerraum und Nordafrika, im Norden an Norwegen oder Schottland und im Osten an Osteuropa.
Unser zukünftiger Wasserstoffbedarf muss dabei nicht nur unsere Industrie einbeziehen, sondern auch zukünftig notwendigen Backup-Kraftwerke und den Wasserstoff für den Schwerlastverkehr.
Neue Bedarfsabfrage
Um den voraussichtlichen Bedarf unseres Landes nochmals zu aktualisieren und die international stark veränderten Rahmenbedingungen einzubeziehen, führen wir gerade in einer konzertierten Aktion eine neue Bedarfsabfrage durch. Wir gehen dabei von deutlich höheren Werten als vor dem Angriffskrieg Russlands aus. Das Ergebnis der Abfrage werden wir im dritten Quartal dieses Jahres vorlegen und in die Planung des Netzausbaus einbeziehen.
Wir sind uns einig, dass die Realisierung des Netzausbaus mit einem klaren, verlässlichen Zeitplan verbunden werden muss, um Planungssicherheit für die Abnehmerinnen und Abnehmer zu schaffen. Und arbeiten bei alledem eng mit unserem Fernleitungsnetzbetreiber terranets bw zusammen.
Meine Damen und Herren,
wir bereiten uns seit Jahren gezielt auf den Wasserstoff-Hochlauf in unserem Land vor. Mit der Wasserstoff-Roadmap aus dem Jahr 2020 und ihrer Aktualisierung vor wenigen Wochen geben wir den Kurs vor. Mit unserer Plattform H2BW, unserem Wasserstoffbeirat, mit dem Cluster Brennstoffzelle und unserem Strategiedialog Automobilwirtschaft bringen wir die entscheidenden Akteure zusammen und genug Gewicht auf die Waage, um uns in Baden-Württemberg an die Spitze des Hochlaufs zu setzen. Mit unserer Konferenz und Messe hy-fcell werden wir international sichtbar und vernetzen uns. Wir investieren in unsere Technologieführerschaft und bereiten unsere Marktfähigkeit vor. Wir schließen national und international Kooperationen, um unsere Interessen zu sichern, um gemeinsame Projekte zu verfolgen und unsere Belieferung sicherzustellen.
So machen wir Wasserstofftechnologie Made in Baden-Württemberg zum Exportschlager und sichern unseren Energiebedarf für die kommenden Jahre und Jahrzehnte. So stellen wir die Weichen für das Baden-Württemberg von morgen. Für ein klimaneutrales Land, in dem wir in Wohlstand und Freiheit zusammenleben. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.
Pressemitteilung vom 9. Mai 2023: Fahrplan für Wasserstoffversorgung fortgeschrieben
Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft: Wasserstoffwirtschaft
Plattform H2BW: Wasserstoffaktivitäten in Baden-Württemberg
Erster Fortschrittsbericht Wasserstoff-Roadmap Baden-Württemberg, Mai 2023 (PDF)
Pressemitteilung vom 30. Juni 2023: Zweites Spitzengespräch Wasserstoffinfrastruktur