Kretschmann bezeichnete die Fluchtbewegungen aus der Ukraine als die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Zahlen geben ihm Recht. Insgesamt sind gut zehn Millionen Menschen aus der Ukraine auf der Flucht, davon haben bereits vier Millionen die Ukraine verlassen. Ein Großteil der Geflüchteten sind Frauen, Kinder und ältere Menschen. Dabei finden die meisten bisher Schutz in den direkten Nachbarstaaten wie Polen und Moldau. Alleine das arme Moldau hat, bei gerade mal 2,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, fast 400.000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen.
Angesichts dieser Zahlen sagte Kretschmann: „Es ist wirklich beeindruckend, was diese Länder gerade leisten. Sie verdienen unsere Hochachtung!“
Auch in Baden-Württemberg sei die Bereitschaft, den geflüchteten Menschen zu helfen, sehr hoch, betonte Kretschmann. „Über 90 Prozent der Baden-Württemberger finden es richtig, dass wir Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet aufnehmen. Und nicht nur das. Viele Menschen packen selbst mit an. Sie nehmen Flüchtlinge bei sich zu Hause auf und unterstützen sie und ihre Kinder. Herzlichen Dank dafür! Das ist ein Lichtblick in diesen dunklen Zeiten.“
Kretschmann mahnte aber gleichzeitig auch, dass diese Herausforderung kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf sei. „Diesen Zusammenhalt, diesen Bürgergeist und dieses gemeinsame Handeln werden wir in den kommenden Monaten noch dringend brauchen.“ Man werde für längere Zeit eine wachsende Zahl von geflüchteten Menschen unterbringen müssen.
Infobox Flüchtlingshilfe
Seit Beginn des Krieges sind in Baden-Württemberg bisher 50.000 Schutzsuchende registriert worden. Bisher haben 11.000 Menschen Aufnahme in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen gefunden. Dafür hat das Land in den bestehenden Erstaufnahmeeinrichtungen zusätzlich 2.500 Plätze und in der reaktivierten Unterbringung in Meßstetten weitere 800 Plätze geschaffen. Zudem hat das Land in Messehallen vorläufige Unterkünfte aufgebaut, in denen über 2.300 weitere Menschen unterkommen können. So hat die Landesregierung die Kapazitäten der Landeserstaufnahme von gut 6.000 auf 12.000 Plätze verdoppelt. Derzeit baut die Landesregierung daran, weitere Kapazitäten zu schaffen.
Das Land hat zudem sein Integrationsmanagement auf die aus der Ukraine geflüchteten Menschen ausgeweitet. Die rund 1.200 Integrationsmanager in den Städten und Gemeinden nehmen sich der Geflüchteten an, helfen ihnen, sich vor Ort zurechtzufinden, und unterstützen sie in allen Fragen des Alltags.
Das Sozialministerium finanziert gezielt Sprachkurse für die Schutzsuchenden aus der Ukraine. Darüber hinaus sind die psychosozialen Zentren des Landes auf die Geflüchteten aus der Ukraine vorbereitet, von denen viele traumatisiert sind. Die Zentren gewinnen bereits Traumahelferinnen und -helfer und suchen Dolmetscherinnen und Dolmetscher. Zudem bieten sie erste Gruppentherapien an.
Die Landesregierung hat sich mit den kommunalen Landesverbänden darauf verständigt, dass das Land die Kosten für die privat bei Freunden oder Bekannten untergebrachten Menschen übernimmt, und dass die Kommunen die Kosten für Wohnung und Lebensunterhalt erstattet bekommen.
Mit dem Bund ist das Land gerade in Verhandlungen über eine faire Verteilung der Kosten für die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten. Dies wird auch Thema bei der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am 7. April 2022 sein. Baden-Württemberg fordert, dass der Bund für 100 Prozent der Unterkunftskosten sowie für einen substantiellen Teil der Aufwendungen von Kommunen und Ländern für Kita, Schule und Integration aufkommt – denn die Hälfte der Flüchtlinge aus der Ukraine sind Kinder. Der Bund muss sich auch bei einem Wechsel vom Asylbewerber-Leistungsgesetz zu Hartz IV – auch für die ersten Monate bis zum Aufenthaltstitel finanziell bewegen.
Ministerpräsident Kretschmann hat einige Tage vor der Regierungserklärung die Landeserstaufnahme in Sigmaringen besucht und dort mit Geflüchteten gesprochen. Er machte klar, dass hinter jeder Zahl ein konkretes menschliches Schicksal stehe.
Er berichtete eindrücklich vom Schicksal einer aus Kiew geflüchteten Familie: „Nach Kriegsbeginn war die kleine Familie zunächst in Kiew geblieben. Mit ihrem vier Jahre alten Mädchen und ihrem neun Monate alten Baby hatten sie über eine Woche verzweifelt im Keller ausgeharrt, um sich vor den russischen Bomben zu schützen. Dann begann eine abenteuerliche Flucht. In den überfüllten Zug in Richtung Polen konnten sie nur durch ein Fenster einsteigen. Und nach einem Umweg über Italien hat die Familie nun Schutz in Sigmaringen gefunden. Der Bericht ging mir unter die Haut. Denn solche Erzählungen kenne ich noch von meinen Eltern: Die waren nach dem Zweiten Weltkrieg selbst Flüchtlinge. Und haben noch Jahrzehnte später über die Schrecken von Krieg, Flucht und Vertreibung gesprochen. Und über meinen älteren Bruder, den ich nie kennengelernt habe, weil er als Säugling auf der Flucht gestorben ist. Dass nun heute, im Jahr 2022, wieder Familien vor einem brutalen Krieg mitten in Europa fliehen müssen, ist nur schwer auszuhalten.“
Umso wichtiger sei es, dass Baden-Württemberg seiner humanitären Pflicht nachkomme, und man den Menschen hier Schutz biete, sich um sie kümmere und sie unterstütze.