Rede von Ministerpräsident Winfried Kretschmann
in der Sitzung des Bundesrats am 21. März 2025 in Berlin
TOP 34: Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich stehe hier als Verfechter der Schuldenbremse.
Es ist nun einmal eine Tatsache, dass die Politik immer wieder in Versuchung kommt, über ihre Verhältnisse zu leben.
Konsum, der heute durch Schulden finanziert wird, schränkt morgen die Gestaltungsspielräume der zukünftigen Generationen ein.
Bei Investitionen ist es anders, aber die Erfahrung lehrt, dass konsumtive Ausgaben immer wieder als Investitionen getarnt worden sind. Deshalb die Schuldenbremse. Aber auch für die Schuldenbremse gilt das Grundprinzip allen politischen Handelns: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.
Diese Wirklichkeit hat sich in den letzten Jahren radikal, in den letzten Monaten und Wochen noch einmal dramatisch, gewandelt – und erfordert außergewöhnlich große Investitionen, gerade auch aus Verantwortung für die zukünftigen Generationen.
Das gilt vor allem für die äußere Sicherheit:
Das immer aggressivere Agieren Russlands hat mit dem Überfall auf die Ukraine einen traurigen Höhepunkt erreicht.
Die Bereitschaft der USA, die Sicherheit Europas auf eigene Kosten, nimmt seit langem ab. Und mit der Wiederwahl Trumps und dem Agieren des Präsidenten ist dann schlagartig klargeworden: Europa muss seine Sicherheit in die eigenen Hände nehmen. Und Deutschland muss dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.
Dazu kommt ein riesiger Investitionsstau bei der Infrastruktur, der unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Wir brauchen eine große Modernisierungsoffensive beispielsweise für die Verkehrsinfrastruktur und die Energienetze, die Schritt für Schritt immer mehr bezahlbare, saubere Energie zur Verfügung stellen. Darum geht es jetzt.
Dabei ist klar: Wenn wir nicht selbst für unsere Sicherheit und für unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit sorgen, dann wird es keiner tun.
Es geht um nicht weniger als die Selbstbehauptung Europas – sicherheitspolitisch, wirtschaftlich und technologisch.
Und letztendlich: Es geht auch um die Selbstbehauptung unserer Werte und Prinzipien – von Frieden, Freiheit und Demokratie.
Auf so eine außergewöhnliche Herausforderung kann man nicht mit gewöhnlichen Mitteln reagieren. Deshalb sind die Grundgesetz-Änderungen richtig, über die wir heute abstimmen.
Das gilt angesichts des drohenden Endes der regelbasierten Weltordnung zuallererst für die Ausgaben für Verteidigung.
Und was das Sondervermögen für Investitionen angeht, bin ich der grünen Bundestagsfraktion sehr dankbar, dass sie das Finanzpaket wesentlich besser gemacht hat:
- Mehr Klimaschutz, einer Kernaufgabe dieses Jahrhunderts,
- und die Vereinbarung der Zusätzlichkeit beim Sondervermögen
Das war wichtig und richtig, damit nicht einfach die Spielräume für konsumtive Ausgaben im Kernhaushalt vergrößert werden und der Reformdruck unterlaufen wird.
Wobei ich betonen will: Wir beschließen hier und heute keine neuen Schulden. Wir beschließen erst einmal nur die Möglichkeit, den Rahmen und die neuen Regeln für eine Verschuldung. Ob und wie sie genutzt werden, ist dann eine politische Entscheidung der neuen Koalition im Bund.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bekenne ganz freimütig: Als in der Wolle gefärbter Förderalist stimme ich den Änderungen des Grundgesetzes nur mit einem erheblichen Störgefühl zu.
Zum einen, weil das Verfahren angesichts der gewaltigen Summen, um die es hier geht, eine Zumutung ist. Zum anderen, weil durch die Änderung des Grundgesetzes landesrechtliche Regelungen zur Schuldenbremse unmittelbar aufgehoben werden.
Ich will ganz ausdrücklich sagen: Das ist kein rechtliches Problem. Verfassungsrechtlich ist all das nicht zu beanstanden. Im Sinne einer guten föderalen Ordnung ist es aber ein politisches Problem. Und zwar ein fundamentales.
Denn auch wenn der eigentliche föderale Sündenfall die Änderung des Artikels 109 Grundgesetz im Jahr 2009 war, weichen wir doch den ursprünglichen Geist dieses Artikels mit der heutigen Verfassungsänderung weiter auf. Denn Artikel 109 Grundgesetz geht von der Haushaltsautonomie der Länder und des Bundes aus. Dort heißt es im Absatz 1:
„Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.“
Voraussetzung für eine echte Haushaltsautonomie ist aber
- eine klare und transparente staatliche Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen
- UND eine auskömmliche Finanzausstattung der Länder und Kommunen.
Deshalb geht von der heutigen Entscheidung auch ein Handlungsauftrag an uns alle aus. Und der lautet: Wir müssen in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen wieder für eine gute Ordnung der Dinge sorgen.
Wir müssen das Ganze aber noch größer denken. Denn was unser Land jetzt braucht, ist eine grundlegende Staatsreform.
Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“, die der Bundespräsident ins Leben gerufen wurde, hat dazu einen außerordentlich profunden und ambitionierten Zwischenbericht vorgelegt.
Da geht es um die Fragen, wie der Staat handlungsfähiger, effektiver und schneller wird und wie Reformen besser gelingen können?
Und genau da müssen wir ansetzen:
- Die Regelungsdichte reduzieren und vereinfachen.
- Den Erfüllungsaufwand der Gesetze verringern.
- Die Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen entflechten.
- Und neue Regeln für die digitale Bund-Länder-Zusammenarbeit schaffen.
Wir brauchen wieder klarere Zuständigkeiten – bei den Befugnissen und bei den Finanzen. Nur so werden die Abläufe schneller und transparenter.
Natürlich ist das ist ein sehr dickes Brett, dass es da zu bohren gilt. Aber das Momentum ist da! Und deshalb sollten wir Länder gemeinsam mit der künftigen Bundesregierung eine solche große Staatsreform anpacken und eine hochrangige gemeinsame Kommission mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Staatsreform einzurichten.
Das ist der richtige Weg. Und das muss schnell geschehen, wir dürfen nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Baden-Württemberg stimmt den Änderungen des Grundgesetzes aus den genannten Gründen zu.
Allerdings verbinden wir damit einen großen Anspruch an die künftige Bundesregierung:
Gehen Sie die nötige Staatsreform gemeinsam mit uns Ländern mutig an. Und treiben Sie auch die weiteren nötigen Strukturreformen zügig und beherzt voran!
Dann – und nur dann – können die heutigen Beschlüsse zum Fundament der politischen, wirtschaftlichen und technologischen Selbstbehauptung des Vereinten Europa werden.
Vielen Dank.
Bundesrat: Beschluss zu TOP 34 „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes“