Flüchtlingshilfe

„Sternstunde des humanitären Engagements“

Ministerpräsident Kretschmann (l.) und Staatsekretär Murawski (2. v.l.) mit zwei Franziskanern-Schwestern beim Helferempfang für das Sonderkontingent.

Rund 1.100 jesidische Frauen und Kinder aus dem Nordirak finden dank des Sonderkontingents der baden-württembergischen Landesregierung in Deutschland Schutz vor dem Terror des sogenannten Islamischen Staats. Ministerpräsident Winfried Kretschmann empfing die am Sonderkontingent beteiligten Helferinnen und Helfer und dankte ihnen für ihr besonderes Engagement. Für den Leiter der Internationalen Organisation für Migration im Irak, Thomas Weiß, ist das Sonderkontingent eine „Sternstunde des humanitären Engagements“.

Es herrschte eine andere Stimmung als bei üblichen Empfängen. Wo normalerweise bei Besuchen von Wirtschaftsvertretern oder ausländischen Staatsgästen staatstragende oder ernste Mienen zu sehen sind, gab es ausgelassene Gesichter, frohes Lachen und lautes Klatschen. Oder, wie eine Besucherin passend feststellte: „Alle strahlen!“

Ein großes Dankeschön an die Helfer

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte alle Haupt- und Ehrenamtlichen eingeladen, die am Sonderkontingent für jesidische Frauen und Kinder der baden-württembergischen Landesregierung beteiligt waren und sind. Rund 400 Gäste aus Baden-Württemberg, Deutschland und dem Ausland waren ins Neue Schloss in Stuttgart gekommen.

Die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ministerien, der Landesverwaltung, der Kommunen sowie die Beteiligten des Flüchtlingsgipfels hätten zusätzliche Arbeit, Ärger und Risiken auf sich genommen, um Leben zu retten, sagte Kretschmann. Davon sei er sehr beeindruckt und dankbar.

Auch den Haupt- und Ehrenamtlichen in den Kommunen und Kreisen, in denen die Frauen und Kinder untergebracht sind und versorgt werden, dankte Kretschmann. „Letztlich werden Flüchtlinge nicht von Staaten aufgenommen, sondern von Menschen. Jeder gesetzliche und auch finanzielle Rahmen bleibt wirkungslos, wenn er nicht durch Mitmenschlichkeit ausgefüllt wird.“

Rund 1.100 Frauen und Kinder wurden gerettet

Kretschmann sagte, zusammen habe man es geschafft, bereits 929 jesidische und christliche Frauen und Kinder aus dem Nordirak vor dem Genozid durch den sogenannten Islamischen Staat zu retten. Mit dem nächsten Flug werden es insgesamt rund 1.100 sein, die über das Sonderkontingent nach Deutschland kommen. Angesichts von Krieg und Gewalt sage die Politik und Verwaltung zu häufig ‚Wir können hier nichts tun‘, so Kretschmann, dieses Mal aber habe die Antwort gelautet ‚Ja, wir können etwas tun‘. „Es gibt keine Entschuldigung für sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder. Und es gibt auch keine Entschuldigung dafür, den Opfern nicht zu helfen“, betonte der Ministerpräsident.

Das religiöse Oberhaupt der Jesiden, Baba Sheikh, dankte der Landesregierung für ihren Einsatz und überreichte Winfried Kretschmann eine Ehrenmedaille. Sein Volk habe bisher 73 Pogrome erleiden müssen, so der Sheikh, Baden-Württemberg habe zu den ersten Ländern gehört, die ihnen geholfen hätten. Auch der Leiter der Internationalen Organisation für Migration im Irak, Thomas Weiß, bedankte sich im Namen der im Irak tätigen humanitären Organisationen. Das Sonderkontingent sei eine „Sternstunde des humanitären Engagements“ und einmalig in der Geschichte Deutschlands und des Iraks.

Helfen ist Gebot der Nächstenliebe

Für die Schwestern eines Franziskanerinnen-Ordens war es ein Gebot der christlichen Nächstenliebe, den Frauen und Kindern zu helfen. „Wir wurden einmal gegründet, um benachteiligten Frauen und Kindern zu helfen“, sagte Schwester Karin Berger. Zudem habe Papst Franziskus dazu aufgerufen, Flüchtlinge aufzunehmen. In ihrem Kloster werden bald 19 Frauen und Kinder untergebracht sein, Jesidinnen wie auch Christinnen.

„Es ist sehr wichtig, den Frauen zu helfen“, fand auch Schwester Elsbeth Bischof, denn diese hätten Traumatisches miterlebt. Das Sonderkontingent sei eine sehr gute Idee, es sei toll, dass sich das Land um die humanitären Belange Anderer kümmere. Sie habe große Hochachtung vor allen Beteiligten.

Die Dankbarkeit der Frauen sei sehr hoch, anfängliche Fremdheit sei zu Vertrauen geworden. „Wir werden immer eingeladen, wenn wir vorbeikommen, direkt ins Wohnzimmer. Das Sofa sollte in den Mittelpunkt der internationalen Diplomatie gestellt werden“, brachte es Schwester Bischof auf den Punkt. Einzig die fehlenden Deutschkenntnisse der Frauen bereiteten Probleme, aber mit Händen und Füßen sowie einer Übersetzungs-App kämen sie zurecht.

Frauen sind Spiegelbild der Gesellschaft

Die Frauen, die nach Baden-Württemberg gebracht worden sind, seien ein Spiegelbild der Gesellschaft, stellten zwei hauptamtliche Betreuerinnen fest. „Die Frauen haben die unterschiedlichsten Bildungshintergründe und Charaktere, jede Frau ist zudem unterschiedlich stark traumatisiert. Deshalb brauchen alle unterschiedliche aber trotzdem intensive psychologische Betreuung“, sagte eine Psychologin. Eine feste Alltagsstruktur durch Sprachkurse helfe dabei viel.

Es sei beeindruckend, wie lernbereit viele Frauen sind. „Man kann richtig dabei zusehen, wie manche Frauen daran arbeiten, sich eine eigene berufliche und persönliche Zukunft aufzubauen“, so die Betreuerin. Über die Integration der Kinder wiederum mache sie sich keine Sorgen, hier seien die sprachlichen Fortschritte besonders zu sehen.

Besserer Austausch der Ehrenamtlichen gewünscht

Den Wissensdurst der Kinder konnte Anita Z. bestätigen. Die ehemalige Lehrerin aus einer Aufnahmestadt bringt ihnen bei, mit Ton zu arbeiten. „Das ist eine gute Möglichkeit, den Menschen auf nichtsprachliche Weise ihren Empfindungen Ausdruck zu verleihen“, erklärte sie. Dabei sei es sehr schön, die Kinder in ihrem Tatendrang zu erleben. „Die reißen sich darum, die wollen gar nicht mehr aufhören, das ist mein größtes Problem“.

Sie sei sehr betroffen von der ganzen Flüchtlingsproblematik, das habe sie dazu bewogen sich zu engagieren. Außerdem habe sie bereits vor 30 Jahren eine jesidische Familie begleitet, so die Ehrenamtliche. Das Sonderkontingent mache Sinn und sei zu begrüßen, allerdings müsse der Austausch zwischen den im ganzen Bundesland verteilten Ehrenamtlichen weiter verbessert werden. Der Empfang habe hier schon zu ersten Kontakten und gegenseitigem Austausch geführt.

Ministerpräsident Kretschmann hat zugesagt, dass das Engagement des Landes für die Vernetzung der Aufnahmekommunen und ihrer Haupt- und Ehrenamtlichen fortgesetzt wird.  

Mediathek: Bilder vom Empfang

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