Rede

Europaminister Friedrich zu BIG DATA und Datensicherheit

„Wirtschaftsgespräch am Tiergarten“ in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin

Sehr geehrte Frau Kurz,
sehr geehrte Frau Weddeling,
sehr geehrter Herr Kaldenhoff,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller-Quade,
sehr geehrter Herr Dr. Zinell,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ganz herzlich begrüße ich Sie zu einer weiteren Diskussionsrunde im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Wirtschaftsgespräche am Tiergarten“ in der Landesvertretung Baden-Württemberg.

Die jüngsten Enthüllungen zu den Spionage-Aktivitäten verschiedener Geheimdienste haben den Debatten über die Themenfelder BIG DATA und Datensicherheit in Europa ein neues Gewicht verliehen. Der Begriff BIG DATA beschreibt die Fähigkeit, sehr große Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen durch die Verwendung umfassender Analyseverfahren auszuwerten und zu völlig neuen Erkenntnissen oder Zusammenhängen zu gelangen. 

Um welche Datenmengen es sich dabei handelt, lässt sich anhand einiger Beispiele leicht illustrieren: In jeder einzigen Minute werden mehr als 100 Stunden neues Videomaterial auf Youtube hochgeladen, mehr als 695 Mio. Google-Suchanfragen gestellt oder mehr als 3,3 Mio. Einträge auf Facebook geteilt. Es gibt Expertenschätzungen, nach denen allein im Zeitraum 2011 bis 2013 mehr Datenvolumen angefallen ist als jemals zuvor. Und jede Sekunde wächst dieser riesige Datenberg mit dem freiwilligen oder unfreiwilligen Zutun von jeder und jedem Einzelnen von uns weiter.

BIG DATA-Analysen können dazu beitragen, verborgene Schätze in diesen Daten zu bergen, und Unternehmen dabei helfen, ihre Abläufe zu optimieren, Planungen zu verbessern, Einsparpotentiale zu realisieren und dadurch Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Die neuen Erkenntnisse spielen bereits heute in vielen Anwendungsgebieten eine bedeutende Rolle, z.B. im Bereich Industrie 4.0 – Thema unserer letzten Podiumsdiskussion im Herbst 2013 – aber auch im Gesundheitswesen, der Logistik, in der Finanzwirtschaft und im Verkehrsbereich.

Noch steht dieses Geschäftsfeld erst am Anfang seiner wirtschaftlichen Bedeutung. Doch schon heute verspricht BIG DATA „Big Business“ für die Unternehmen. BIG DATA kann aber millionenfache Verletzung des Datenschutzes bedeuten. Schon die Erfassung von Telekommunikations- und Internetdaten in Verbindung mit Profilen aus sozialen Netzwerken erlauben Rückschlüsse auf Einkommen, Vermögen, Aktivitäten, berufliche Tätigkeit sowie das soziale, religiöse und politische Engagement einer bestimmten Person.

Darüber hinaus kann BIG DATA tief in die Lebensverhältnisse von Bürgerinnen und Bürgern eingreifen, wenn beispielsweise Scoring-Bewertungen von Auskunfteien dazu führen, dass Kredite nicht oder nur zu höheren Zinsen gewährt werden. Die jüngsten Enthüllungen über Geheimdienstskandale, Schlagzeilen zu Cybermobbing, Identitätsdiebstahl und Internetkriminalität vermitteln einen deutlichen Eindruck von der Sprengkraft, die im ungezügelten Wachstum personenbezogener Daten liegen.

Der verantwortungsvolle und gesellschaftlich vertretbare Umgang mit personenbezogenen Daten und den daraus gewonnenen Informationen stellt Unternehmen und Verwaltung vor große Herausforderungen. Wie werden unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes diese Daten gespeichert, verarbeitet, analysiert, interpretiert und schließlich genutzt?

Gleichzeitig ist die Politik gefordert, für mehr Schutz vor Datenmissbrauch in unserer zunehmend digitalisierten Welt zu sorgen. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen den Sicherheitsbedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger sowie anderer Betroffener (z.B. Konkurrenzunternehmen) auf der einen Seite und Innovationsdruck auf Unternehmen auf der anderen Seite.
 
Klar ist aber auch, dass die Potentiale von BIG DATA sich nur entfalten können, wenn die Technologie von allen Markteilnehmerinnen und -teilnehmern akzeptiert wird.

Baden-Württemberg als führender Industriestandort

Baden-Württemberg ist ein führender Industrie- und Innovationsstandort in Deutschland und Europa. Als Landesregierung haben wir das klare Ziel, Baden-Württemberg als Innovationsland weiter zu stärken. Unsere Wirtschaftspolitik haben wir konsequent auf die vier Wachstumsfelder nachhaltige Mobilität, Umwelttechnologien, Erneuerbare Energien und Gesundheit ausgerichtet.

Als Querschnittstechnologie hat die Informations- und Kommunikationstechnologie (kurz IKT genannt) auf alle diese Felder der Wirtschaft einen entscheidenden Einfluss. Sie ermöglicht die zunehmende Flexibilisierung von innovativer Hardware und ist ein essentieller Schlüssel für die intelligente Vernetzung von technischen Systemen.    

Im Südwesten hat sich IKT zum treibenden Wirtschaftsmotor entwickelt. Gerade für Anwenderbranchen etwa im Dienstleistungssektor steht die Nutzung des Potentials von BIG DATA jedoch erst am Anfang. Mit der Initiative FORWARD >> IT fördert die Landesregierung die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie, um die Wettbewerbsfähigkeit der baden-württembergischen Wirtschaft zu sichern und weiter zu stärken.

Hierzu hat die Landesregierung mit Beteiligten aus Wirtschaft und Wissenschaft im Herbst letzten Jahres die IKT-Allianz Baden-Württemberg gegründet. Diese Allianz hat inzwischen einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, aus dem von den zuständigen Landesministerien derzeit Handlungsvorschläge abgeleitet werden, die geeignet sind, Baden-Württemberg vor allem im Bereich IKT-Sicherheit voranzubringen.

Initiativen im politischen Raum

Auf nationaler Ebene bietet Deutschland und insbesondere Baden-Württemberg exzellente Voraussetzungen im Hinblick auf einen hohen Datenschutz und Datensicherheit. Zentral ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Europaweit hingegen divergieren die nationalen Regelungen und Gesetze zum Datenschutz stark.

Die Datenschutzrichtlinie der EU aus dem Jahr 1995 erlaubt nationale Gestaltungsspielräume. Durch die unterschiedliche Auslegung in den 28 EU-Mitgliedsländern sind Schlupflöcher entstanden, die von den großen IT-Unternehmen aus den USA genutzt werden. Sie siedeln sich gezielt dort an, wo der Datenschutz schwach ist, zum Beispiel in Irland.

Von dieser Lücke profitieren vor allem Anbieter web-basierter Dienste wie Google, Facebook, Amazon und Apple, die sich durch das Sammeln insbesondere personenbezogener Daten ihrer Nutzerinnen und Nutzer inzwischen zu „kommerziellen Datenbanken“ entwickelt haben. Und der Datenhunger dieser Unternehmen ist noch lange nicht gestillt, wie das Beispiel von Google mit seinen neuesten Projekten, der Datenbrille „Google Glass“ und dem selbstfahrenden „Auto der Zukunft“, zeigt.

Es ist also an der Zeit, dass Europa mit einer europäischen Regelung für mehr Sicherheit und Klarheit sorgt. Die europäische Datenschutz-Grundverordnung, die derzeit in Brüssel diskutiert wird, soll einen einheitlichen Rechtsrahmen für den Datenschutz in der gesamten Europäischen Union bilden und auch den heutigen digitalen Anforderungen besser gerecht werden.

Wann die Datenschutzreform allerdings kommen wird, ist noch offen. Die Verhandlungen zwischen dem Parlament, der EU-Kommission und dem Rat der Europäischen Union sollen nach den Wahlen zum Europäischen Parlament  erneut beginnen, nachdem die Reform in der laufenden Legislaturperiode bereits verhandelt wurde.

Die Anpassung des europäischen Rechtsrahmens ist ein wichtiger Baustein, um zu einer Balance zwischen Datenschutzerwägungen und wirtschaftlichen Interessen in Europa zu kommen. Gleichzeitig wird es aber bereits jetzt darauf ankommen, das Geschäftsfeld BIG DATA nicht allein den etablierten globalen Internetgiganten zu überlassen. Unsere Unternehmen, sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Anwenderseite, sollten von den Chancen, die BIG DATA bietet, profitieren können.

Meine Damen und Herren, Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. BIG DATA wird in Zukunft daher weiter an Bedeutung gewinnen, nimmt doch die Datenflut unaufhaltsam zu und gewinnt deren Ausbeutung als wirtschaftlicher Rohstoff in unserer Dienstleistungsgesellschaft einen unausweichlich immer höheren Stellenwert.

Über dieses aktuelle Themenfeld wollen heute Abend Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft diskutieren. Ich freue mich, dass mit Herrn Ministerialdirektor Dr. Herbert Zinell der Spiritus Rector der baden-württembergischen Datensicherheit und Spionageabwehr heute Abend zu uns als Podiumsteilnehmer gekommen ist. Herr Dr. Zinell ist Amtschef im Innenministerium und der Vertreter Baden-Württembergs im IT-Planungsrat sowie Ländervertreter im nationalen Cyber-Sicherheitsrat. 

Desweiteren freue ich mich sehr, als Gäste auf dem Podium begrüßen zu dürfen: Herrn Mathias Kaldenhoff, der Leiter Unternehmensentwicklung von Europas größtem Softwarehaus SAP aus dem badischen Walldorf. SAP ist der weltgrößte Anbieter von Software zur Steuerung und Verwaltung von Unternehmen. Gemessen am Börsenwert zählt SAP zu den fünf größten Unternehmen Deutschlands.

Frau Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Darüber hinaus ist Frau Kurz Projektleiterin am Forschungszentrum für Kultur und Informatik in Berlin. Von 2010 bis 2013 war sie Sachverständige der Enquéte-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages.

Herrn Prof. Dr. Jörn Müller-Quade, Direktor am Forschungszentrum für Informatik (FZI) in Karlsruhe und Sprecher des Kompetenzzentrums KASTEL am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das Kompetenzzentrum für angewandte Sicherheitstechnologie KASTEL ist eines von deutschlandweit drei Forschungszentren für Cybersicherheit und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Als Moderatorin des heutigen Abends haben wir Frau Britta Weddeling vom Hauptstadtbüro des FOCUS gewinnen können. Dort beschäftigt sie sich mit Technologiethemen.

Ich bedanke mich, dass Sie heute in die Landesvertretung gekommen sind. Uns allen wünsche ich ein interessantes und spannendes Gespräch und übergebe nun das Wort an die Moderatorin Frau Weddeling.

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Quelle:

Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund
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