Zusammen einzigartig

Ansprache von Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit

Ministerpräsident und Bundesratspräsident Winfried Kretschmann bei seiner Rede

„Ich darf Sie ganz herzlich zum diesjährigen Festakt am „Tag der Deutschen Einheit" hier in der Stuttgarter Liederhalle begrüßen.

Das zuletzt eingeblendete Zitat des amerikanischen Präsidenten verweist auf den historischen Rang der Ereignisse, an die wir heute erinnern und die wir feierlich begehen.

Wir tun das wie jedes Jahr im Rahmen eines fröhlichen Bürgerfests.

Denn es waren einfache Bürger, die 1989 im Osten auf die Straße gingen, die die Mauer zu Fall brachten und den Weg zur Einheit ebneten.

Vor gut einem Jahr galt es, an ein anderes Ereignis zu erinnern - nicht hier in Stuttgart, sondern im nahe gelegenen Ludwigsburg, ebenfalls im Rahmen eines großen Bürgerfests.

Zu begehen war der 50. Jahrestag der „Rede an die deutsche Jugend" von Charles de Gaulle.

Wenige Monate nach dieser Rede wurde - im Januar 1963 - dann der deutsch-französische Élysée-Vertrag unterschrieben. Die deutsch-französische Freundschaft war besiegelt.

Die deutsche Einheit kam um einiges später.

Aber ihr voraus gingen - auf Länder diesseits des „Eisernen Vorhangs" beschränkt - erste weit-reichende Schritte der europäischen Integration.

Und das machte die wieder erlangte staatliche Einheit aller Deutschen zu dem seither ja auch vielfach so bezeichneten historischen Glücksfall:

  • dass sie nicht gegen, sondern im Einvernehmen mit unseren Nachbarstaaten gelang
  • und dass sie eingebettet war und ist in das Zusammenwachsen Europas.

Gerade für uns im deutschen Südwesten ist das ein wichtiger Aspekt!

Dafür reicht ein Blick auf die Landkarte: Eher am Rande Deutschlands gelegen, befinden wir uns in Europa ziemlich mittendrin.

Entsprechend leidgeprüft durch europäische Kriege über Jahrhunderte, teilen wir heute die Freiheits- und Bürgerrechte, profitieren wir von offenen Märkten mit offenen Grenzen, von Städtepartnerschaften, dem Schüleraustausch und vielfältigen menschlichen Beziehungen, die längst zum europäischen Alltag gehören.

Der Weg zur deutschen Einheit hat diesmal nicht über Schlachtfelder geführt, sondern über die Ereignisse einer friedlichen, bürgerlichen Revolution.

Man konnte ja mit vielem rechnen: Aber dass eine Diktatur gestürzt wird von Menschen, die aus Kirchen kommen mit brennenden Kerzen - zunächst in überschaubarer Zahl, dann von Woche zu Woche anwachsend -, das hat schon ans „Wunderbare" gegrenzt!

Es war jedenfalls eine Sternstunde der deutschen Geschichte.

Was die 48er - besonders aufrührerisch-aktiv im damals recht liberalen deutschen Südwesten - nicht geschafft haben, ist gut 140 Jahre später durch den Anstoß der 89er im Osten gelungen:

Nämlich Einigkeit und Recht und Freiheit zu erringen - auf friedlichem Wege - in einem sich einenden Europa.

Meine Damen und Herren, wenn das kein Grund zum Feiern ist – und Ansporn für ein kreatives Feuerwerk, wozu wir auch diesen Festakt gerne machen möchten!

"ZUSAMMEN EINZIGARTIG" heißt das Motto.

Man kann darin eine Reverenz sehen an die "Bunte Republik" und ihre bereichernde Vielfalt, aber auch an unseren föderalen Staatsaufbau.

Der Bund ist mehr als die Summe der Länder.

Aber auch umgekehrt gilt: Jedes einzelne der 16 Länder ist mehr als nur ein Teilgebiet des Bundes.

Das erfordert eine sorgfältige Balance.

Wie freiheitliche Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ökosoziale Marktwirtschaft muss auch die föderale Ordnung als konstitutives Merkmal der Bundesrepublik immer wieder neu bestätigt, errungen und mit Leben erfüllt werden…

…mit Worten, wie wir das ja gerne bei solchen Anlässen tun, aber wichtiger noch: mit Taten unter den Ländern und zwischen Bund und Ländern.

So steht das Thema Finanzbeziehungen bald unweigerlich auf der Tagesordnung.

Lassen Sie uns hier einen neuen Anlauf machen – wenn irgend möglich: gemeinsam!

Und lassen Sie uns dabei das zu beackernde Feld nicht zu eng und kleinmütig abstecken!

Ich finde, wir brauchen eine grundlegende Diskussion und nachfolgende Entscheidung im Rahmen einer dritten Föderalismuskommission.

Der Sinn des Föderalismus liegt in einer möglichst bürgernahen Politik und Verwaltung.

Aber dazu brauchen wir Verhältnisse, die es den Ländern auch ermöglichen, ihre Kompetenzen wahrzunehmen und ihre Aufgaben gut zu erfüllen.

Mechanismen, die gewährleisten, dass Nehmer-länder sich kräftigen und weiterentwickeln und Geberländer nicht dauerhaft überfordert werden.

Föderalismus heißt doch nicht Trägheit und Erstarrung!

Vielmehr sollte gerade eine föderale Ordnung immer lebendig und anpassungsfähig sein. Reformen sollten nicht nur dem Interessenausgleich dienen, sondern auch eine gute politische Ordnung der Dinge im Blick haben.

Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, was - meinem Eindruck nach - nicht immer gebührend beachtet wird: dass wir in Deutschland doch ein ausgesprochen konstruktives Verhältnis zwischen den Verfassungsorganen haben.

So ist der Bundesrat nicht - wie es häufig heißt - ein Blockadeinstrument, sondern eine Kammer, die in den allermeisten Fällen erfolgreich Konsensfindung ermöglicht. Andere Länder beneiden uns um  den gut funktionierenden Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat, in dem wir so erfolgreich Kompromisse finden und damit Kontinuität und Stabilität für Deutschland bewirken.

Mit anderen Worten: Ich finde, wir verfügen über gute institutionelle Voraussetzungen, um das bundesstaatliche Ziel - nämlich Einheit zu schaffen, ohne Vielfalt zu gefährden - auch in Zukunft zu erreichen.

Denken wir in diesem Zusammenhang auch an die anstehenden Herausforderungen in Europa!

Denn auch das weiter sich integrierende Europa, für das wir uns gemeinsam stark machen, muss weniger zentralistisch und mehr föderal-subsidiär gedacht und weiterentwickelt werden.

Und wenn wir das wollen, dann sollten wir bei uns zu Hause einen lebendigen Föderalismus nicht nur hochhalten, sondern so weiter entwickeln, dass er auch in Zukunft das hält, was wir in Feiertagsreden beschwören.

Da heißt es die nächsten Jahre gut schwäbisch „schaffe“, damit wir es schaffen.

Aber nicht heut.

Heute wollten wir feiern ganz gemäß dem Wahlspruch der Hohenzollernschen Lande, meiner Heimat – sie sehen es in der Wappenkrone des großen Landeswappens, dass Baden-Württemberg aus mehr besteht als aus den beiden großen Vorgängerstaaten Baden und Württemberg aus Schillers Wilhelm Tell: „Daheim regierten Sie sich fröhlich selbst, nach altem Brauch und eigenem Gesetz“

Die fröhliche Regierung wird jetzt von der Bundeskanzlerin gezimmert. Den Tag der Deutschen Einheit fröhlich zu feiern, dazu sind Sie schon heute in Stuttgart alle eingeladen.

Vielen Dank!"

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