Trauerfeier

Rede von Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der Trauerfeier für Oberbürgermeister a. D. Prof. Dr. Manfred Rommel

Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht am 14.11.2013 in der Stiftskirche in Stuttgart bei der Trauerfeier zu Ehren des verstorbenen früheren Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel (Foto: dpa).

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat bei der Trauerfeier für den früheren Stuttgarter Oberbürgermeister a. D. Prof. Dr. Manfred Rommel in der Stiftskirche in Stuttgart folgende Rede gehalten:

„Liebe Frau Rommel, liebe Familie Rommel, liebe Trauergemeinde!

Der Tod ist ein unbarmherziger Gleichmacher. Seine Unbarmherzigkeit empfinden am schmerzlichsten die Familienangehörigen und der engere Freundeskreis.

Deshalb gelten in dieser Stunde des Abschieds von Manfred Rommel all unsere guten Gedanken nicht nur ihm, sondern auch Ihnen, liebe Frau Rommel, Ihrer Familie und all den Freunden, die er in großer Trauer hinterlässt.

Jedes einzelne Leben ist wichtig und wertvoll, jeder Tod bedeutet das jähe Ende einer einzigartigen und unwiederholbaren Lebensgeschichte.

Doch der Tod mancher Menschen erschüttert uns besonders stark, weil sie mit unserer eigenen Lebensgeschichte eng verflochten sind und weil uns gleichzeitig schmerzhaft bewusst wird, dass wir eine Person der Zeitgeschichte verloren haben.

So ein Mensch war Manfred Rommel.

Die Todesnachricht, die uns am letzten Donnerstag erreichte, machte uns alle stumm und ratlos.

Alte Weggefährten und Menschen auf der Straße konnten ihre Tränen nicht zurückhalten.

Aus aller Welt trafen bestürzte Beileidsbekundungen ein, die seine historische Bedeutung würdigten.

Das Land Baden-Württemberg, die Bürgerinnen und Bürger in Stadt und Land, haben in der Tat den Verlust einer Leitfigur zu beklagen.

Ich will versuchen, die Faszination zu beschreiben, die von dem Menschen Manfred Rommel ausging.

Manfred Rommel gehörte der Zwischengeneration der Flakhelfer an, die als junge Menschen am Aufbau der bundesrepublikanischen Demokratie maßgeblich beteiligt waren.

Als diese Lebensleistung in den Jahren nach 1968 durch eine neue Generation in Frage gestellt wurde, war Manfred Rommel schon über vierzig Jahre alt und arbeitete als Spitzenbeamter im Dienste des Landes Baden-Württemberg.

In seiner Zeit als Oberbürgermeister wurde er mit Forderungen zur Atomkraft, zum Umwelt- und Denkmalschutz, zur Frauenförderung und weiteren damals exotischen Themen konfrontiert, zuweilen auch in ungestümer Form.

War es wirklich die „behaglich-schwäbische Autorität“, die Helmut Schmidt an Manfred Rommel (wie auch an Theodor Heuss) wahrzunehmen glaubte, mit der er sich zahlreichen Konflikten stellte?

Woher hatte er die souveräne Gelassenheit, vor der die politischen Gegner immer Respekt hatten? Worin war seine Autorität begründet?

Max Weber beschreibt in seinem berühmten Vortrag „Politik als Beruf“ drei notwendige Qualitäten des Politikers.

Er braucht erstens die leidenschaftliche Hingabe an die Sache, zweitens ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und drittens das rechte Augenmaß, das man durch eine gewisse Distanz zu sich und der Politik gewinnt.

Die leidenschaftliche Hingabe für die Sache, für das Wohl des Landes und der Stadt, rang Manfred Rommel seinem Körper oft genug und zunehmend unter Schmerzen ab.

Er hat sich im Dienst für die Öffentlichkeit nie geschont, zeigte nach außen aber lieber Behaglichkeit als Überanstrengung.

Er war ein Mann fester Gesinnungen, aber doch letztlich ein überzeugter Verantwortungsethiker.

Er tolerierte Meinungen politischer Gegner auch dann, wenn er sie nicht akzeptieren oder aufnehmen konnte, was er aber oft versuchte.

Darin unterschied er sich von den Gesinnungsethikern der damals jüngeren Generation, der auch ich angehörte.

Wir fühlten uns eher dafür verantwortlich, „dass die Flamme der reinen Gesinnung nicht erlischt“.

Gesinnungsethiker, die sich an ihm abarbeiteten, erregten seinen milden Spott.

Aber weil der immer milde, versöhnlich und ohne Aggression war, trug er entscheidend dazu bei, die Ideologien auf allen Seiten in pragmatische Politik zu überführen.

So prägte er das Klima der Debatten in politisch unruhigen Zeiten und ermöglichte als Person den Dialog zwischen den Generationen und den politischen Kulturen.

Auf ethischer Verantwortung und auf menschlichen Lösungen bestand er auch gegenüber dem „schwäbischen Wirtschaftsgebrumm“, so, wenn Fremde ausgegrenzt werden sollten oder wieder einmal ein kurzer Prozess gefordert wurde.

Max Weber verlangt vom Berufspolitiker Augenmaß und Distanz.

Und er merkt an, dass die Eitelkeit der stärkste Feind des Politikers ist, wenn er sich der Sache verantwortlich hingeben will.

Manfred Rommel hat seine Machtbefugnisse uneitel und mit großer Gelassenheit ausgeübt. Er befolgte das Motto: „Ich regiere nicht, ich bilde Atmosphäre.“

Dieser Satz ist von Theodor Heuss, dessen Todestag sich am 12. Dezember schon zum 50. Male jährt.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Theodor Heuss und Manfred Rommel in enger Geistesverwandtschaft das demokratische Leben Baden-Württembergs in der Nachkriegsgeschichte entscheidend beeinflusst haben und ihm eine eigene, positive Qualität verliehen haben.

Die zahlreichen faktischen Verdienste und politischen Erfolge, die Manfred Rommel sich im Laufe seines langen politischen Lebens erworben hat, sind aktenkundig und oft zutreffend beschrieben worden.

Sie können aber seine Beliebtheit bei den Menschen noch nicht erklären, die er genoss.

Diese Volkstümlichkeit ist meiner Ansicht nach darin begründet, dass er als Politiker eine persönliche Haltung der Bescheidenheit eingenommen und vorgelebt hat, dass er dabei immer die nötige Distanz zu sich und den Aufgeregtheiten der Tagespolitik eingenommen hat.

Dafür stand ihm ein ganzes Arsenal von Distanzierungstechniken zur Verfügung, die er bewunderungswürdig beherrschte und auch listig einzusetzen wusste.

So ist sein berühmter Humor viel mehr als nur die richtige Platzierung von Aphorismen und Witzen, mit denen er jede beliebige Versammlung zum Lachen brachte.

Der Humor war vielmehr seine besondere Denkform, mit der er Ideale mit der Wirklichkeit oder Gesinnungen mit der Verantwortung konfrontierte und sich und den Zuhörern aus dem Zusammenprall der Gegensätze ein komisches und gleichzeitig immer lehrreiches Vergnügen bereitete.

Er selbst beschrieb das in seinen Erinnerungen unter dem Titel „Trotz allem heiter“: „Humor ist Distanz zu sich selbst. Darum lasst uns den Blick für Seltsames und Komisches ausbilden. Wir werden dadurch menschlicher.“

Einige Zeitgenossen haben anfänglich seine Rhetorik unterschätzt.

Sie baute sich jeweils langsam und zögernd auf, wollte nie glänzen, spielte mit der eigenen Un-vollkommenheit, griff bei Bedarf gern zum Dialekt und gewann am Ende das Publikum - auch gegen dessen Widerstand - grandios für sich.

Manche unterschätzen auch, welch wichtiger Kitt der Humor für den Zusammenhalt der politischen Gegensätze in der Demokratie ist.

Wo Manfred Rommel das Wort ergriff, da entfloh jedes Pathos, ganz besonders das falsche.

Und auch jetzt, wo wir in dieser traurigen Stunde versammelt sind, kann ich mich von der Vorstellung nicht befreien, dass ihm zu unserer Feier bestimmt ein kritischer Vers oder eine ironische Bemerkung eingefallen wäre.

Manfred Rommel war ein Mann des Wortes.

Die Liebe zum Wort und seine große Lust zu erzählen und Erzählungen zu hören halfen ihm, jene nötige Distanz zum politischen Alltag und zu sich selbst herzustellen.

Ein Mann des Wortes war er auch, weil er mit wenigen richtigen Sätzen mutig zur rechten Zeit Konflikte niedergeschlagen hat.

„Im Tod endet jede Feindschaft“, sagte er zur umstrittenen Beerdigung der RAF-Mitglieder.

Aufkeimende Ressentiments gegen einen dunkel häutigen Polizistenmörder brachte er mit dem einen Satz „Es hätte auch ein Schwabe sein können“ zum Schweigen.

„Deutschland ist ein Einwanderungsland“ war sein dritter berühmter Satz, mit dem er sich auch gegen die eigenen Reihen stellte und zudem vorbildlich und großzügig Flüchtlinge in seiner Stadt aufnahm.

Sein weltoffener integrativer Politikstil stieß auch international auf starke Beachtung und Resonanz.

Er selbst betrieb aktiv eine kommunale Außenpolitik, pflegte enge Freundschaft besonders mit Israel, Amerika und Frankreich.

„Wenn das Nachkriegsdeutschland ein Symbol braucht, sucht es in Stuttgart“, das schrieb der Corriere della Sera schon 1996.

Meine Damen und Herren,
die Stunde des Abschieds von Manfred Rommel ist gekommen.

Er war für viele Menschen in aller Welt und für uns Träger der Hoffnung darauf, dass Politik durchaus integer, wertbewusst und verantwortlich ausgeübt werden kann.

Er ermöglicht uns die Hoffnung auf eine politische Kultur, in der unterschiedliche Interessen und Meinungen sich annähern und ausgleichen lassen.

Er hat uns gelehrt, trotz Krankheit und Schmerz die Haltung der Heiterkeit zu bewahren.

Ich denke, wir Trauernden sollten gerade die Heiterkeit in der Erinnerung an ihn bewahren.

Manfred Rommel war ein großer, ja, ein begnadeter Integrator.

Diese seine Lebensleistung bleibt uns als Vorbild.

Vor allem wir politisch Tätigen sollten versuchen, seiner Bitte zu folgen, die er am Ende seiner Dienstzeit äußerte: „Haltet auch ein bissle zusammen.“

Wir sind Manfred Rommel über alle Maßen dankbar für sein Wirken und nehmen voller Respekt Abschied von einem bedeutenden Menschen. Er wird uns sehr fehlen."

(Es gilt das gesprochene Wort!)

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