Katholikentag 2012

Biblischer Impuls

Winfried Kretschmann spricht am der Jugendkirche Samuel in Mannheim beim 98. Katholikentag bei einem biblischen Impuls (Bild: dpa)

Sehr geehrte Damen und Herren,

erst einmal herzlichen Dank, dass Sie hierhergekommen sind, um sich meine Gedanken zum sogenannten Apostelkonzil anzuhören. Bitte berücksichtigen Sie, ich bin kein Theologe. Ich habe Biologie und Chemie studiert. Und ich bitte Sie deshalb einzuordnen: Was ich hier sage, das können nur Denkanstöße sein. Ich habe schließlich nur eine Laienstola. Auch das Amt des Ministerpräsidenten befähigt mich nicht in besonderer Weise, die Schrift auszulegen – auch das bitte ich Sie einzuordnen. Mit dieser Vorbemerkung darf ich Ihnen jetzt erst mal die Perikope aus der Schrift vorlesen. Etwas länger als vorgesehen, da im Vorspann wichtige Dinge enthalten sind, die meiner Ansicht nach für die Auslegung wichtig sind.

„Da kamen einige von Judäa herab nach Antiochia und lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst, nach der Sitte des Mose, könnt ihr nicht gerettet werden.

Als nun Paulus und Barnabas mit ihnen deshalb in heftigen Zwist und Streit gerieten, beschloss man, dass Paulus, Barnabas und einige andere aus der Gemeinde zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem wegen dieser Streitfrage hinaufgehen sollten.

Darauf traten die Apostel und Ältesten zusammen, um sich mit dieser Angelegenheit zu befassen.

Als es aber auch hier zu heftigen Meinungsverschiedenheiten kam, erhob sich Petrus und sprach zu Ihnen: ‚Brüder, ihr wisst, dass Gott unter euch seit alten Tagen seine Wahl so getroffen hat, dass durch meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hören und zum Glauben kommen sollten.

Und Gott, der die Herzen kennt, hat für sie Zeugnis abgelegt, indem er ihnen den heiligen Geist ebenso gegeben hat wie uns.

Und er hat keinen Unterschied zwischen ihnen und uns gemacht, indem er durch den Glauben ihre Herzen gereinigt hat.

Wie kommt ihr nun dazu, Gott dadurch zu versuchen, dass ihr ein Joch auf den Nacken der Jünger legen wollt, das weder unsere Väter, noch wir selbst zu tragen im Stande waren?

Vielmehr glauben wir, durch die Gnade des Herrn Jesus gerettet zu werden, nicht anders als jene.‘ Da wurde die ganze Versammlung still und sie hörte zu, wie Barnabas und Paulus darlegten, welche Zeichen und Wunder Gott durch sie unter den Heiden getan hatte.

Ich lasse jetzt ein Stück aus.

Deshalb bin ich der Meinung man sollte den Heiden, die sich zu Gott bekehren, keine Schwierigkeiten machen, sondern ihnen lediglich vorschreiben, sie sollten sich enthalten von den Befleckungen der Götzen, von Unzucht, von Ersticktem und von Blut.

Mose hat nämlich von alters her in jeder Stadt seine Verkünder, da er in den Synagogen jeden Sabbat verlesen wird.

Da beschlossen die Apostel und Ältesten samt der Gemeinde, Männer aus ihren Reihen auszuwählen, um sie mit Paulus und Barnabas nach Antiochia zu senden: Nämlich Judas, genannt Barsabbas, und Silas, führende Männer unter den Brüdern und durch sie folgendes Schreiben überbringen zu lassen: Die Apostel und Ältesten, eure Brüder, grüßen die Brüder aus den Heiden in Antiochia, Syrien und Zilizien.

Nachdem wir vernommen haben, dass einige von uns, mit ihren Reden euch beunruhigt und Verwirrung in euren Seelen ausgelöst haben, ohne dass sie von uns dazu einen Auftrag gehabt hätten, haben wir einmütig beschlossen, Männer auszuwählen und zu euch zu senden zusammen mit unseren Lieben, Barnabas und Paulus, Männer, die ihr Leben für den Namen unseres Herrn Jesus eingesetzt haben.

So haben wir Judas und Silas abgeordnet, die sollen euch dasselbe mündlich erläutern, nämlich: Der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen, außer diesen notwendigen Dingen, dass ihr euch enthaltet von Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktem und Unzucht. Wenn ihr euch davor bewahrt, werdet ihr Recht tun. Lebt wohl!“

Soweit der etwas verkürzte Bibeltext. Wie Sie vielleicht wissen, handelt es sich bei diesem sogenannten Apostelkonzil, nicht um ein Konzil im Sinne der Repräsentanz der ganzen Kirche, sondern um eine Vereinbarung zwischen zwei Gemeinden. Dennoch war sie gesamtkirchlich verbindlich und durch die Autorität der Beteiligten abgesichert.

Worum geht es?

Nun, es gab Streit, heftigen Streit zwischen der Gemeinde in Antiochia in Syrien und der Gemeinde in Jerusalem. Es ging dabei um eine Grundfrage der jungen christlichen Gemeinden: Was muss mit Heiden passieren, die sich zu Jesus bekennen? Können sie einfach so Christen werden oder müssen sie einen Umweg über das Judentum machen, sprich sich beschneiden lassen und die jüdischen Kultgesetze einhalten? Und was ist mit den Juden, die sich zu Jesus bekennen? Dürfen sie einfach alle bisherigen Speisegesetze und andere Vorschriften sein lassen?

Was uns heute vielleicht etwas haarspalterisch vorkommt, war eine fundamentale Krise der jungen Kirche. Und erst die Lösung dieser Krise hat das Wachsen der versprengten Gemeinden zu einer Weltkirche überhaupt möglich gemacht. Insofern ist es ein ganz fundamentaler Konflikt, um den es zu Beginn unserer Kirche ging.

Natürlich waren die ersten Jünger alle Juden, wie Jesus selbst. Die christliche Gemeinde entstand sozusagen als jüdische Sekte. Das hat jetzt für uns so einen negativen Beiklang – nennen wir es vielleicht besser Strömung, also eine jüdische Strömung. Lukas berichtet ausführlich über die Auseinandersetzungen mit dem jüdischen Establishment, dem Hohen Rat.

Nach der Steinigung des Stephanus flohen viele Anhänger Jesu aus Jerusalem in andere Städte, nach Phönizien und Zypern, auch nach Antiochia in Syrien. Es war mit 500.000 Einwohnern nach Rom und Alexandria die größte Stadt des römischen Reiches. Die jüdische Gemeinde hatte etwa 50.000 Mitglieder.

Auch dort blieb das Christentum zunächst eine rein jüdische Strömung. Aber die Diasporasituation der Juden in der Großstadt – wir wissen, dass in Großstädten die Tendenz immer liberaler ist als in der Provinz – weichte die festen Grenzen zwischen Juden und Heiden auf. Hier predigten einige auch den Griechen, also den Heiden, das Evangelium. Und Lukas hält fest, dass hier, in Antiochien, diese jüdische Strömung zum ersten Mal Christen genannt wurde.

Natürlich blieb der Gemeinde in Jerusalem die Missionstätigkeit unter den Heiden nicht verborgen. Deswegen wurde Barnabas als Sendbote ausgeschickt. Er fand alles wohlgeraten. Auch Paulus, den er nach Antiochien holte, war zufrieden. Die beiden blieben in der antiochenischen Gemeinde.

Die Frage nach dem Umgang mit Heidenchristen schwelte weiter und verlangte nach Klärung. Strenge Vertreter des Judenchristentums aus Judäa, also wohl aus Jerusalem, forderten von den Antiochenern, dass auch die Heidenchristen sich der Beschneidung und der Gesetzestreue der Tora unterziehen müssten. So schickten sie dann etwa im Jahr 48/49 Paulus und Barnabas nach Jerusalem. Es war einfach die Gemeinde mit der höchsten Autorität. Hier war das Zentrum des Judentums, der Tempel mit seiner Geistlichkeit, hier war Jesus gestorben und wieder auferstanden und hier war aus der Jüngerschaft die erste Gemeinde entstanden.

Also wir können sagen, dass nicht ohne Grund die Erzählung des Apostelkonzils den Wendepunkt von einer jüdischen Urgemeinde zur christlichen Kirche prägte. Und deswegen setzt Lukas, er ist ja ein genialer Erzähler und Literat, die Geschichte in die Mitte der Apostelgeschichte.

Hier wurde schließlich der Kompromiss ausgehandelt, der den Zusammenhalt der Gemeinden auf der einen und ihr weiteres Wachstum auf der anderen Seite gewährleisten sollte: Die Heidenchristen müssen sich nicht beschneiden lassen, aber sie dürfen bestimmte Dinge nicht tun. Unzucht – damit ist wohl gemeint, in verbotenen Verwandtschaftsgraden zu heiraten –, sie müssen sich an einen Kern der Speisegebote halten und dürfen keinen Götzendienst leisten.

Beides hängt eng zusammen, denn es war ja Sitte, dass in den antiken Tempeln das Opferfleisch, das den Göttern geopfert wurde, der Bevölkerung verkauft wurde. Und davon sollten sie sich fern halten. Sozusagen als Symbol eines heidnischen Ritus.

Andererseits, die Regel, dass der Fremde, der unter den Juden wohnte, sich an deren Speisegesetze zu halten hatte, gab es schon in der Tora.

Von Jesus ist zwar nicht überliefert, dass er sich nicht an die kultischen Speisegebote gehalten hätte, aber die Unterscheidung von Rein und Unrein hat er durchaus in Frage gestellt. Etwa in seinen Heilsgeschichten ist das überliefert.

Jetzt gab es also Stimmen, die wollten das noch radikaler haben: Zum Beispiel erzählt Lukas von der Vision des Petrus mit allerlei unreinem Getier, das ihm zu essen befohlen wird. Denn „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten“ (Apg 10,15). Und auch Paulus argumentiert in seinen Briefen an die Galater und die Römer mit der Rechtfertigung „…allein aus Glauben, ohne Werke des Gesetzes…“ (Gal 2,16; Röm 3,21f).

Die abschließende Entscheidung des Apostelkonzils trägt einerseits der theologischen Einsicht Rechnung, dass das Gesetz den Heiden nicht auferlegt werden darf, weil Gott sie ohne Gesetz in sein Volk aufgenommen hat.

Wir haben hier also einen klassischen Kompromiss, der dazu angelegt ist, Judenchristen und Heidenchristen und deren Gemeinschaft nicht zu gefährden. Damit war für das Wachsen der christlichen Gemeinde und für die Ablösung einer jüdischen Strömung von der christlichen Kirche, eine wichtige Weiche gestellt.

Dieser Kompromiss hat aber nicht nur menschliche Väter, denn es heißt wörtlich: „Der Heilige Geist und wir haben befunden“. Damit wird dieser menschliche Kompromiss in das Licht des Wirkens Gottes gestellt. Lukas verweist immer wieder auf das Wirken des Heiligen Geistes, den der auferstandene Jesus seinen Jüngern zusagt wie ein Vermächtnis (Apg 1,8). Nirgendwo wird so oft vom Heiligen Geist geredet wie in der Apostelgeschichte.

Liebe Gemeinde, wie in einem Brennglas wirft die Stelle fundamentale Fragen unseres Glaubens, unseres Kirchenverständnisses und des Umgangs miteinander in der Kirche auf.

Dabei geht es um einen Kerngehalt der christlichen Kirche. Sie ist eine Gesinnungsreligion. Das sollten wir uns übrigens immer wieder bewusst machen. Die Kirche ist katholischer, wie es im Glaubensbekenntnis heißt, sie ist also universal und ökumenisch heißt übrigens dasselbe. Sie ist universal, wendet sich an die ganze Welt und sie ist ökumenisch, das heißt dasselbe. Sie wendet sich an den ganzen Erdkreis und an alle Menschen. Also auch an die Heiden oder „Völker“, wie es manchmal übersetzt wird.

In dieser Situation sind wir zunehmend auch in Deutschland. Wo in früheren Zeiten fast 100% einer christlichen Kirche angehört haben – wir also eine Volkskirche waren –, sind wir eine Kirche in der säkularen Welt, in der immer mehr Menschen gar nicht religiös sozialisiert werden oder ihren Glauben verlieren, wie wir aus den vielen Kirchenaustritten wissen. Wir werden zu einer Kirche im Volk.

Ich habe heute auf der Herfahrt in der Zeitung gelesen, dass auch Kardinal Kasper dieser Meinung ist. Wir kommen von der Volkskirche in eine Situation, so hat er es wohl genannt, die der Urkirche nicht unähnlich ist. Die Frage ist natürlich: Was sind heute Heiden? Atheisten, Agnostiker, Gleichgültige, Konfessionslose, Zweifler, Andersgläubige?

Wovon ist die Welt heute geprägt in ihrem Denken? Von wissenschaftlich-rationalen, von naturwissenschaftlich-technischen und von ökonomischen Denken.

Also was sind Heiden? Natürlich sind wir immer wieder alle Heiden, weil wir unterwegs auch mal unseren Glauben verlieren. Und an allem zweifeln und manchmal denken: Was soll´s noch?

Es ist sozusagen immer zu überlegen: Was sind Heiden heute? Andererseits ist die Frage, die die Stelle aufwirft: Was ist der Kernbestand unseres Glaubens und unserer Kirche? Es war ja in der Schriftstelle die Frage aufgeworfen, wodurch wir gerettet werden? Ist die Beschneidung dafür entscheidend oder nicht? Heißt es, nur der kann gerettet werden, der…? Da geht es sozusagen ums Ganze, um wirklich fundamentale Fragen und keine Petitessen.

Wodurch werden wir gerettet? Durch die Befolgung religiöser Vorschriften oder durch Gnade? Das wirft diese Stelle auf. Und das ist immer wieder umstritten.

Immer wieder umstritten, denn die einen sagen: Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst nach der Sitte des Mose, dann könnt ihr nicht gerettet werden. An anderer Stelle heißt es dagegen: „Ein Gott, der die Herzen kennt, hat für sie Zeugnis abgelegt, indem er ihnen den Heiligen Geist ebenso gegeben hat wie uns.“

Also, ich würde mal so sagen, das Christentum ist eine Gesinnungsreligion. Das wird hier ganz deutlich. Es ist eine Gesinnungsreligion versus eine Religion der sakralen Vorschriften: dass wir Gott dienen, indem wir einfach diese Vorschriften erfüllen, so wie es orthodoxe Strömungen uns vorleben, besonders im Judentum.

Ich muss Ihnen sagen, ich hab den großen jüdischen Gelehrten Jeshajahu Leibowitz kennengelernt. Er war politisch links, aber ein orthodoxer Jude. Und ich habe seine Schrift gelesen über die Sprüche der Väter und dadurch auch das tiefe Verständniserlangt vor einer Religion, die Gottesdienst einfach im Vollzug der Weisungen der Tora sieht. Ich habe gelernt, auch davor Respekt zu haben

Aber das das Christentum ist meiner Auffassung nach eine Gesinnungsreligion, die sich nicht durch die Erfüllung sakraler Vorschriften erfüllt. Aber natürlich auch wieder nicht. Denken Sie an das Hauptgebot: Gott zu lieben aus ganzem Herzen und ganzer Kraft und unseren Nächsten, wie uns selbst.

Aber das ist ja ein zentrales Gebot, sozusagen der Imperativ unseres Glaubens. Ich denke, was wir aus der Konferenz aus dem Apostelkonzils mitnehmen, wir müssen bei Vorschriften unserer Kirche immer abschichten: Was ist unveränderlich? Was gehört zum Kernbestand unseres Glaubens? Was ist untergeordnet? Was ist nur zeitgebunden? Was ist unwichtig? Was ist überholt und was ist hinderlich?

Damit müssen wir uns dauernd auseinandersetzten. Heute wäre es die Frage, etwa nach der Zugangsberechtigung zu den Ämtern in der Kirche. Welchen Charakter hat diese Vorschrift? Gehört sie zum unveränderlichen Bestand? Ist sie Kernbestand, ist sie zeitgebunden, ist sie unwichtig, ist sie hinderlich? Was ist mit ihr? Das müssen wir also fragen.

Oder die Zulassung zu den Sakramenten, etwa wiederverheirateter Geschiedener oder anderer Christen. Das sind fundamentale Fragen, wo wir entscheiden müssen, wie wichtig ist das und für wie wichtig halten wir es? Gehört es zum Kernbestand des Evangeliums oder nicht?

Ich will nochmal als Exkurs sagen, dass es immer so ist. Es ist auch in einer bürgerlichen Ordnung so. Auch unsere Rechtsordnung unterscheidet da ganz klar. Artikel 1 unserer Verfassung, wo es um die Unantastbarkeit der menschlichen Würde geht, das ist ein Ewigkeitsartikel. Der kann nicht geändert werden, durch keinerlei Mehrheit.

Ebenso, dass wir ein föderales Gemeinwesen sind, was mich natürlich als Ministerpräsident besonders freut. Die zentralistischen Begierden der Bundespolitiker haben irgendwo ihre Grenzen. Und uns gibt’s immer, da können die sich ärgern wie sie wollen.

Dann, dass wir ein demokratischer, sozialer Bundestaat sind, dass Volksouveränität herrscht. Wahlen, Abstimmungen, Gewaltenteilung, dass wir an die Verfassung, an Recht und Gesetz gebunden sind, das ist alles unveränderlich. Das können wir nicht ändern: Ewigkeitsartikel.

Aber auch die Grundrechte in ihrem Wesensgehalt sind nicht veränderlich. Den Rest können wir mit zwei Drittel Mehrheit ändern. Und dann gibt es den Rest der Gesetze mit einfacher Mehrheit. Mal darf der Bundesrat zustimmen, mal nicht.

Sie sehen also, wir kommen nie umhin, in einer guten Ordnung der Dinge zu entscheiden. Was ist entscheidend wichtig und was ist nicht so wichtig?

Grundsätzlich warne ich allerdings davor, jetzt die bürgerliche Ordnung mit einer christlichen einfach zu vergleichen. Das ist schon ein Unterschied, weil die Gesetze in der bürgerlichen Ordnung machen wir schließlich selbst.

In der Schrift steht natürlich auch, dass wir der Obrigkeit gehorchen müssen. Und daran sehen Sie, weil es in der Demokratie keine Obrigkeit mehr gibt, sind diese Schriftworte obsolet geworden. Da können Sie sich also ganz beruhigen. Es gibt keine Obrigkeit mehr in der Demokratie.

Wie sollen wir nun entscheiden, was entscheidend ist und was nicht? Nun, das gibt der Text ganz klar her: Indem wir diskutieren. Diskurse, Dialoge führen, also durch Kritik. Und wenn es um wichtige Fragen geht: durch Streit. Sogar heftigen Streit. Das heißt, wenn es um sehr wichtige Dinge geht, wird heftig gestritten zwischen den Gemeinden. Ich meine, das tun wir ja alle zur Genüge. Da herrscht kein Mangel. Dafür ist ja der Katholikentag ein Beispiel, da wird gestritten.

Aber auch in der Hierarchie. Wenn man den Text liest: Auch als es den Ältesten vorgetragen wurde, den Aposteln, entstand ein heftiger Streit unter ihnen. Das wünsch ich mir endlich mal von der Hierarchie, dass auch sie streitet.

Es kann doch nicht sein, dass Dinge, die uns – ich sag mal „unten“, obwohl ich dieses Bild nicht so mag – immer heftig bewegen und über die wir streiten, „oben“ zu keinem Streit führen. Das kann nicht sein.

Und ich finde, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, da wurde heftig gestritten, hab ich keinen richtigen öffentlichen und offenen Streit mehr erlebt in der Hierarchie. Und mir scheint das angstbesetzt zu sein.

Es gehört zu meinen wichtigsten Kritikpunkten an der Kirche. Streit und Kritik sind kein Ausdruck von Illoyalität, sondern von Besorgnis um wichtige Fragen.

Denn wenn man Kritik mit dem Unterton der Illoyalität vorbringt oder aufnimmt, dann kann das kein fruchtbarer Streit werden. Also die erste Voraussetzung: Es ist ganz normal und wichtig, dass wir in wichtigen Dingen auch streiten. Denn Streit im Gegensatz zu einer Diskussion ist ja etwas, wo es heftig wird und leidenschaftlich, weil es da um tiefe Überzeugung geht. Das ist ganz normal und das ist gut. Und daran möchte ich wieder erinnern.

Wenn etwa das ZDK sagt: Wir brauchen das Diakonat der Frau. Und die Bischofskonferenz darauf antwortet: So etwas belaste die Gesprächsatmosphäre. Meine Damen und Herren, das kann nicht sein.

Wenn sie anderer Ansicht ist wie das ZDK, dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, dann soll sie mit uns streiten oder wenigstens diskutieren.

Die nächste Frage ist natürlich: Wie streiten wir, ohne uns zu zerstreiten? Das ist eine ganz fundamentale Frage. Das ist vielleicht auch der Grund der Hierarchie, die Angstbesetztheit. Dass sie Angst hat, dass aus dem Streit sozusagen zentrifugale Kräfte entstehen, die die Kirche auseinandertreiben. Das ist deren Besorgnis. Das müssen wir sehr ernst nehmen.

Also, wie streiten ohne sich zu zerstreiten? Was ist denn das Ziel der Debatte auf dem Apostelkonzil? Das Ziel ist die Heidenmission. Was heißt das für heute übersetzt? Wie legen wir in Wort und Tat ein überzeugendes Zeugnis des Evangeliums in der Welt und für die Welt ab? Was fördert diesen Missionsauftrag und was behindert ihn?

Streiten ist kein Selbstzweck und keine binnenkirchliche Beschäftigungstherapie. Sondern wir müssen uns klar machen, um was es geht, um welche Ziele. Und es geht hier wie heute um Heidenmission, darum Zeugnis abzulegen in Wort und Tat, in einer säkularen Welt. Das ist das Ziel, um das es geht.

Das zweite Entscheidende, damit wir streiten und uns nicht zerstreiten, ist die Haltung, die wir im Streit einnehmen. Es heißt hier nochmal: Und Gott, der die Herzen kennt, hat für sie Zeugnis abgelegt, indem er ihnen den Heiligen Geist ebenso gegeben hat wie uns. (Apg. 15,8)

Das heißt, wir sollten uns nicht immer gegenseitig gleich den rechten Glauben abstreiten. Das ist ganz entscheidend wichtig. Es gilt natürlich für beide Seiten. Da komme ich später noch drauf.

Nächster Punkt: Man muss natürlich irgendwann entscheiden. Man muss den Streit zu einer Entscheidung führen und ihn nicht immer unentschieden lassen.

Also ich denke, wenn so ein Dokument wie die „viri probati“ – also die Zulassung bewährter Männer zum Priesteramt in der Würzburger Synode – bis heute nicht beantwortet worden ist, wenn ich das richtig weiß, dann ist es keine Haltung einen Streit zu beenden, sondern ihn immer schwelen zu lassen. Darauf muss man schon mal eine offizielle Antwort geben.

Also wer entscheidet hier im Text? Eindeutig die Hierarchie. Da machen wir uns bitte nichts vor. Es entscheidet auch hier die Hierarchie. Gut, ich will jetzt nicht über die Hierarchie diskutieren. Wie wird sie gewählt? Und so weiter und so fort. Das Fass kann ich jetzt in der kurzen Zeit nicht aufmachen. Darüber kann man ja nicht Abende, sondern wie wir wissen, Jahrhunderte lang diskutieren.

So, was steht da weiter?  Dass wir uns streiten und nicht zerstreiten. Keine Joche auferlegen, die man selbst erfahrungsgemäß nicht tragen kann, steht da. Joche heißt es da, die weder wir noch unsere Väter in der Lage waren zu tragen? Also ich finde, das ist ein ganz wichtiger Hinweis.

Also bestimmte Dinge, bestimmt Joche, wie es hier genannt wird, können wir nicht zur Bedingung der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft machen. Das ist das Entscheidende, um das es ja hier geht. Dass niemand aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird, der sich an die Speisegesetze hält oder nicht hält.

Jetzt nochmal zu meiner elementaren Frage bei der Zulassung Wiederverheirateter zu den Sakramenten. Ist so etwas, wenn jemand in seiner Beziehung gescheitert ist und eine neue eingeht, Grund ihn aus der vollen Gemeinschaft auszuschließen und ihm diese Last aufzuerlegen? Das ist die entscheidende Frage.

Also, welche Lasten, welche Joche laden wir auf? Ich würde mal sagen, jedenfalls keine, die nicht im Evangelium stehen. Damit haben wir eine gute Leistung Richtung? Leitschnur?. Das ist nochmal eine wichtige Frage, und auch das müssen wir natürlich immer streitig debattieren.

Schließlich, das ist ja ganz eindeutig in dem Text, Kompromisse machen. Und es zeigt sich, das hier war wohl ein guter Kompromiss. Ex post ist das ja dann oft nur eine Übergangsregelung. Wir halten uns alle nicht mehr an diese Vorschriften. Sie haben sich überholt. Der Kompromiss ist sozusagen durch die Entwicklung der christlichen Gemeinde, also der Kirchen, überholt worden. Der spielt in unserem Leben ja gar keine große Rolle mehr. Also Kompromisse machen.

Es heißt nämlich zum Schluss: Dann wurde die Gemeinde still. Dieser Streit muss nach Kriterien erfolgen, so dass wir zum Schluss einfach ruhig sind, zufrieden und es akzeptieren.

Das muss das Ziel sein. Ich nenne mal so einen möglichen Kompromiss. Ich persönlich bin natürlich ein überzeugter Anhänger des Zugangs der Frau zu allen kirchlichen Ämtern. Andere in der Kirche sind das nicht. Jetzt wäre doch eigentlich ein schöner Kompromiss das Diakonat der Frau.

Ich darf schließen. Es geht hier ja schon etwas um Kirchenpolitik. Politik jetzt in einem ganz weiten Begriff. Politik meint ja eigentlich, dass wir sozial zusammenleben, friedlich zusammenleben, friedlich streiten, nicht in Fanatismus abgleiten, damit wir nicht zum Schluss, wie Kant es so schön gesagt hat, einander mit Gewalt eine Verfassung aufzwingen.

Hannah Arendt hat mal sehr schön gesagt: „Die Grundlage der Politik ist die Pluralität des Menschen.“ Und das gilt generell für jede Gemeinschaft und deswegen glaube ich, kann es immer nur Einheit in der Vielfalt geben. Nur das ist eine Einheit, die man ertragen kann. Denn meine persönliche Ansicht ist die: Wir haben den rechten Glauben nie, wenigstens nie ganz. Und das gilt für uns Laien, die wir gerne immer alles besser wissen, genauso wie für die Hierarchie, die zuweilen glaubt, dass sie immer alles schon weiß.

Ich glaube, wir haben den Glauben nie ganz, und deswegen halte ich es mit dem Spruch aus Jeremia: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, dann werde ich mich finden lassen.“

Ich denke mit dieser Haltung, als „pilgerndes Volk Gottes“ (II. Vatikanisches Konzil), können wir doch viele auf dieser Pilgerschaft aus der säkularen Welt mitnehmen und dann erleben wir vielleicht wieder denselben Aufbruch wie die Pilger auf dem Jakobsweg, der heute Fromme und weniger Fromme anzieht. So stelle ich mir den Aufbruch in der Kirche vor.

Vielen Dank

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