Interview

Wir tun alles, damit sich Paris nicht bei uns wiederholt

Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei einem Interview

Im Interview mit der BILD-Zeitung spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann über die Maßnahmen der Landesregierung gegen die Terrorbedrohung. Weitere Themen sind die Flüchtlingssituation und sein Weihnachtswunsch.

BILD-Zeitung: Herr Kretschmann, das Land braucht dringend mehr Unterbringungsmöglichkeiten. Was plant die Regierung?

Kretschmann: Wir sind ständig auf der Suche nach neuen Liegenschaften. Derzeit prüfen wir mit den Kommunen den Bau von großen Holz-Unterkünften. Die kosten nicht mehr als Wohncontainer aus Stahlblech, sparen aber bei den Betriebskosten, da sie besser Wärme dämmen.

Viele Flüchtlinge kritisieren ihre Unterbringung. Verstehen Sie das?

Kretschmann: Ist das so? Wenn dem so wäre, kann ich diese Kritik nicht nachvollziehen und hätte dafür auch kein Verständnis. Wir bringen die Flüchtlinge ordentlich unter und versorgen sie auch ordentlich. Wo wir sie unterbringen, das ist kein Wunschkonzert. Niemand ist obdachlos oder wird nicht mit dem Notwendigen versorgt. Das ist angesichts des Ansturms eine große Leistung. Ich erwarte, dass das auch die Menschen, die zu uns kommen, anerkennen. Die meisten Flüchtlinge tun das übrigens auch.

Zehntausende Flüchtlinge sind nicht registriert und untergetaucht. Was tun Sie dagegen?

Kretschmann: Untergetaucht sind die nicht. Manche verlassen die Unterbringung und gehen zu Freunden oder Verwandten. Unser System im Land funktioniert. Bis spätestens Dezember werden alle erkennungsdienstlich behandelt sein. Wer Unterkunft und Leistung will, muss sich ja irgendwo melden.

Laut EU-Kommissar Oettinger wirkt das deutsche Asylrecht mit all seinen Annehmlichkeiten wie ein Magnet auf Flüchtlinge. Stimmen Sie ihm zu?

Kretschmann: Nein. Der EU-Kommissar Oettinger sollte besser dafür sorgen, dass Solidarität in Europa entsteht. Das ist das Problem und nicht unser Asylrecht. Im Übrigen haben alle EU-Staaten die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben. Daran sollen sie sich auch mal halten.

Die Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel. Kann der Flüchtlingszustrom dieses Problem lösen?

Kretschmann: Wir haben 85 Mangelberufe, insbesondere der Bereich der Altenpflege ist dramatisch unterbesetzt. Wieso sollten wir Menschen aus Vietnam oder China einfliegen, die hier dann im Pflegeberuf ausgebildet werden, wenn wir viele Flüchtlinge bei uns haben, die Arbeit suchen. Auch der Tourismus und die Gastronomie können von den Flüchtlingen profitieren.

Wovor haben Sie im Moment am meisten Angst?

Kretschmann: Dass bei uns auch so ein Terroranschlag wie in Paris passiert. Wir tun alles, damit das nicht passiert, aber die letzte Gewissheit können wir in einer freien Gesellschaft nicht haben.

Was tun sie gegen die terroristische Gefahr?

Kretschmann: Wir haben nach dem Anschlag in Januar gegen die Zeitschrift Charly Hebdo in Paris sofort ein Antiterrorpaket aufgelegt. Wir werden das jetzt nochmal ausweiten. So soll zum Beispiel das Landesamt für Verfassungsschutz weitere 30 Stellen bekommen. Auch die Polizei wird besser ausgestattet werden. Mitte Dezember eröffnen wir ein Kompetenzzentrum zur Prävention gegen islamistischen Extremismus im Land. Hier geht es unter anderem darum, Aussteigerprogramme aufzulegen und zu betreuen.

Was erwarten Sie von der muslimischen Gesellschaft angesichts des Terrors im Namen des Islam?

Kretschmann: Es genügt nicht, dass sich Muslime von den Terroranschlägen distanzieren. Alle Muslime müssen aktiv dem sich ausbreitenden Fundamentalismus in ihrer Religion entgegentreten. Eine Religion muss sich von solchen radikalen Auswüchsen reinigen.

Fast jeder zweite Deutsche sagt, man könne seine Meinung zur Flüchtlingskrise nicht offen sagen. Sind die Deutschen insgeheim ausländerfeindlicher als sie zugeben?

Kretschmann: Das überrascht mich. Wir leben doch in einem freien Land, in dem jeder sagen kann, was er für richtig oder falsch hält. Aber wenn jemand fremdenfeindliche Meinungen hat, ist es in der Tat besser, er behält die für sich.

Wie verbringen Sie die Weihnachten?

Kretschmann: Dieses Jahr ist ganz besonders für uns. Es ist unser erstes Weihnachten als Großeltern. Deshalb werden wir zum ersten Mal nicht bei uns zuhause, sondern bei unserem Sohn und Enkel feiern. Wenn man den im Arm hat, vergisst man alle Probleme.

Und was wünschen Sie sich zu Weihnachten?

Kretschmann: Immer das Gleiche: Ruhe.

Die Fragen stellte Silke Walter.

Quelle:

BILD Stuttgart
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