Flüchtlinge

Noch viele offene Fragen beim Asylpaket der Bundesregierung

Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Nach langen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung auf ein Asylpaket geeinigt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht im Interview mit aber noch viele offene Fragen und ist bei einigen Punkten skeptisch.

Wie bewerten Sie das, was Kanzlerin Angela Merkel, SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer gestern zur Bewältigung des Flüchtlingsandrangs beschlossen haben?

Ministerpräsident Kretschmann: Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass sich die drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD geeinigt haben. Angesichts der aktuellen Herausforderungen muss die Politik auf allen Ebenen Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen und darf sich die Bundesregierung nicht durch Streit selbst lahm legen. Klar ist und darüber besteht Einigkeit: Wir brauchen mehr Ordnung in den Verfahren und vor allem schnellere Entscheidungen. Dazu fehlt uns im Übrigen immer noch Personal vom Bund und da hat der Bund auch noch viele Hausaufgaben aus dem gerade erst verabschiedeten Asylpaket zu machen. Grundsätzlich finde ich es gut, dass Transitzonen die eine Inhaftierung von Flüchtlingen und Zäune benötigt hätten vom Tisch sind.

Das jetzt vorgeschlagene Modell für Registrierungszentren lehnt sich an das an, was wir in unserer zentralen Registrierungsstelle Heidelberg praktizieren. Insofern hat das von uns schon mit Erfolg praktizierte Modell in Heidelberg einen guten Einfluss auf die Auseinandersetzung gehabt. Aber: Im Gegensatz zu unserem Heidelberger Modell sollen in den Zentren des Bundes nur Flüchtlinge mit geringer Bleiberechtsperspektive behandelt werden, das halte ich für zu kurz gesprungen: Wir brauchen schnelle Verfahren für alle Flüchtlinge – das ist bei uns in Baden-Württemberg der Anspruch, den stellen wir auch schon unter Beweis und so soll es auch bleiben.

Wo sehen Sie kritische Punkte in dem Paket?

Kretschmann: Der Beschluss der Parteivorsitzenden muss jetzt erstmal in einen Gesetzentwurf gegossen werden – erst dann werden wir die Vorschläge wirklich und präzise bewerten können. Es wurde gestern im Kreise der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin auch nichts dazu beschlossen. Noch sind deshalb viele Fragen offen, da steckt der Teufel auch manchmal im Detail. Zum Beispiel in der Frage, wie diese Registrierungszentren am Ende ausgestaltet sind, mit welchen Maßnahmen man dafür sorgen will, dass die Flüchtlinge sich nicht aus den Zentren verabschieden – das ist alles noch sehr unkonkret. Bei der Überlegung, dass die Flüchtlinge in Zukunft einen höheren finanziellen Beitrag für die Integrationskurse leisten sollen, müssen wir abwägen, ob sie dadurch nicht von Teilnahme abgehalten werden. Auch die vorgesehene Verzögerung des Familiennachzugs sehe ich kritisch.

Konkret: Halten Sie die geplante Einschränkung des Familiennachzugs für Nichtasylberechtigte mit Abschiebehindernissen für rechtens?

Kretschmann: Das soll gelten für Menschen mit subsidiärem Bleiberecht, also für solche, die nicht über das Grundrecht auf Asyl oder die Genfer Flüchtlingskonvention einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel in Deutschland haben. Da bin ich grundsätzlich wirklich skeptisch – darüber wird auf jeden Fall noch zu reden sein. Schon heute bestehen übrigens für den Familiennachzug eine Vielzahl von Anforderungen die erbracht werden müssen, bis jemand seine Familie nachholen kann.

Wo sind Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede der geplanten Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge im Vergleich zu dem bereits bestehenden Zentrum in Heidelberg?

Kretschmann: Beide Modelle sind darauf ausgerichtet, durch die Bündelung von Kompetenzen die Verfahren erheblich zu beschleunigen. Ein wesentlicher Unterschied besteht, wie gesagt darin, dass wir in Heidelberg diese beschleunigten Verfahren für alle Flüchtlinge anwenden, also nicht nur für Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive. Das Modell der Großen Koalition sieht außerdem Sanktionen vor, um die Menschen anzuhalten in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu bleiben. Auf jeden Fall ist das besser als die Leute einzusperren – aber es muss rechtlich einwandfrei und praktikabel sein. 

Da müssen wir abwarten, was letztlich im Gesetzentwurf steht. Und wir müssen Menschen, die keine Bleiberechtsperspektive haben schnell über die Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr oder Alternativen der legalen Einwanderung wie beispielsweise über den Beschäftigungskorridor für Balkanflüchtlinge informieren. Genau das tun wir in Heidelberg. Natürlich ist es richtig, das die Flüchtlinge, die keinen Anspruch auf Schutz haben schnell wieder in ihre Heimatländer zurückkehren müssen, wenn es sein muss auch durch Rückführungen – am liebsten aber freiwillig – das spart Kosten und ist besser für beide Seiten.

Was passiert nun mit dem Zentrum in Heidelberg? Wird die Landesregierung dem Bund anbieten, es zu einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne des nun beschlossenen Paketes zu machen?

Kretschmann: Heidelberg ist für die unterschiedlichsten Flüchtlinge, die nach Baden-Württemberg kommen, sozusagen von Albanien bis Syrien, die zentrale Registrierungsstelle, dabei soll es auch bleiben. Das Registrierungszentrum ist bereits in Betrieb und es funktioniert. Derzeit dauert die ganze Prozedur zwei bis drei Tage und wir sind zuversichtlich, das noch schneller hinzubekommen. Der Vollbetrieb wird im Moment in der Praxis getestet und in den nächsten Wochen weiter ausgebaut. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung nicht von mir verlangen wird, etwas sinnvolles was funktioniert nicht weiter fortzuführen.

Beschluss der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD vom 5. November 2015 (PDF)

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