Wirtschaft

„Man bleibt nur gut, wenn man besser wird“

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bild: dpa).

Baden-Württemberg steht wirtschaftlich sehr gut da, gilt als die innovationsstärkste Region in ganz Europa.  Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagt im Interview mit der Stuttgarter Zeitung, wie er die Spitzenstellung des Landes erhalten will.

Stuttgarter Zeitung: Herr Ministerpräsident, unser benachbartes Bundesland Bayern und andere Staaten in Europa wachsen stärker als Baden-Württemberg. Besteht Handlungsbedarf oder sind die Sorgen übertrieben?

Winfried Kretschmann: In der Summe liegen wir mit Bayern auf Augenhöhe. Nach einer aktuellen Veröffentlichung haben wir zum Beispiel die meisten Weltmarktführer. Ich betrachte das ein wenig als sportlichen Wettkampf. Eines darf man nicht vergessen: Unser Vorteil gegenüber Bayern ist, dass es bei uns keine strukturschwachen Regionen gibt. Wir haben im Südwesten viele Zentren, wohingegen sich in Bayern alles sehr stark auf den Münchner Raum konzentriert. Diese Multipolarität ist unser Pfund, mit dem wir gegenüber Bayern wuchern, auch gegenüber Hessen. Da brauchen wir uns keine Sekunde zu verstecken. Aber wir ruhen uns nicht auf den Erfolgen aus. Man bleibt nur gut, wenn man besser wird.

Ist es realistisch, sich eine Rückkehr zu den Wachstumsraten der Vergangenheit auf die Fahnen zu schreiben?

Kretschmann: Wir haben eine hohe Beschäftigungsquote, und einzelne Betriebe klagen schon über Fachkräftemangel. Wir wissen, dass das zu einer Wachstumsbremse zu werden droht. Aber andererseits können wir den demografischen Wandel nicht einfach stoppen. Wir müssen damit umgehen und haben deshalb etwa in der Bildung Erstarrungen aufgebrochen. Die Vorgängerregierung hat dazu geneigt, sich auf den Erfolgen auszuruhen, weil man der Ansicht war, dass Baden-Württemberg sowieso immer spitze in der Bildung ist.

Wer bestimmt die Wirtschaftsstruktur eines Landes? Letztlich sagt doch zum Beispiel Daimler, ob eine Aktivität in der Elektromobilität im Südwesten oder anderswo angesiedelt wird. Können Sie da Einfluss nehmen?

Kretschmann: Selbstverständlich, und zwar indem wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Deshalb baut Bosch jetzt in Renningen ein großes Forschungszentrum. Daimler erhält in Immendingen seine Teststrecke. Da habe ich mich 14 Tage lang persönlich reingehängt. Hier in Stuttgart haben wir vom Bund das Schaufenster Elektromobilität mit erheblichen Bundesmitteln bekommen. Das ist ein Leuchtturmprojekt, das bundesweit das größte und gehaltvollste ist. Bei Car2Go arbeiten der Energieversorger, Daimler, Land und die Stadt eng zusammen, denn es werden ja nicht nur entsprechende Autos gebraucht, also die Elektro-Smarts, sondern auch Tankstellen und Parkplätze, zudem müssen Vorschriften geändert werden. Das Land war gefragt mit der Agentur E-Mobil BW, die die Aktivitäten vernetzt. Mit solchen Aktivitäten halten wir die Betriebe am Standort, so dass sie hier investieren und nicht anderswo.

Setzen Sie wirtschaftspolitisch andere Schwerpunkte als die Vorgängerregierung?

Kretschmann: Wir können durchaus aufbauen auf dem, was sie schon in Gang gesetzt hat. Insofern herrscht Kontinuität. Es sind nun einmal die bekannten und wichtigen Unternehmen wie Daimler und Bosch sowie viele innovative Mittelständler, um die sich vieles dreht. Ich selbst führe viele Gespräche, nehme mir immer viel Zeit, um Betriebe zu besuchen. Ich will mir selbst einen Eindruck verschaffen, damit ich immer weiß, wo die Weichen gestellt werden müssen, so dass es auch flutscht. Das ist Chefsache.

McKinsey schlägt die Konzentration auf bereits sehr starke Branchen wie die Autoindustrie vor. Führt das nicht zu einer gefährlichen Abhängigkeit?

Kretschmann: Diese Branchen sind nach wie vor unser Rückgrat. Eines ist doch klar: Autos werden nicht aus der Welt verschwinden, weltweit werden noch Millionen Fahrzeuge hinzukommen. Die Gefahr, dass das Auto außer Mode kommt, die sehe ich wirklich nicht. Wichtig ist, dass wir den Elektroantrieb und die Übergänge wie zum Beispiel den Hybrid forcieren. Andererseits wird der konventionelle Antrieb noch lange eine überragende Rolle spielen. Deshalb habe ich vor der strategischen Leistung der Unternehmen großen Respekt, die das alles gleichzeitig fortentwickeln.

Geht es immer nur um Fabriken?

Kretschmann: Nein. Bessere Mobilität ist das Ziel, damit wir hier keine Stauregion werden. Wir haben jetzt Unternehmen, die nicht mehr nur Autos verkaufen, sondern auch Dienstleistungen – Stichwort Car2Go –, und Menschen, die ein Auto nicht mehr unbedingt besitzen, aber nutzen wollen. Hier kommt der Softwarebereich der Mobilität ins Spiel. Da geht es um die intelligente Vernetzung, um Bezahlsysteme über die Handys, um eine satellitengestützte Pkw-Maut mit unterschiedlichen Preisen je nach Ort, Zeit und Fahrzeug und um bessere Stauvorhersagen. Da muss noch viel geschehen, und das sind unsere Herausforderungen. Wir brauchen eine intelligente Vernetzung der Verkehrsträger auch deshalb, weil wir – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – nicht den Staus hinterherbauen können. Zu sagen, das sind alles die falschen Branchen, wir brauchen andere, ist verfehlt.

McKinsey empfiehlt, die Wirtschaftspolitik auf die Branchen Maschinenbau, IT, Autoindustrie sowie Pharma, Biotech, Medizintechnik zu konzentrieren. Stimmen Sie zu?

Kretschmann: Das ist doch gar keine Frage. Wenn früher gesagt wurde, wir hätten zu viel industrielle Produktion und zu wenig Dienstleistungen, dann hat man in der Zwischenzeit wohl doch einiges dazugelernt. Sehr viele Dienstleistungen hängen an der Industrie, das kann man am Beispiel SAP gut ablesen. Denken Sie an das Konzept Industrie 4.0, in dem Maschinen mit Maschinen kommunizieren. Dienstleistungen und gewerbliche Wirtschaft verschmelzen eher. Dazu kommt dem Maschinenbau mit Sicherheit auch die Energiewende zugute, auch hier entwickelt sich ein Zukunftsmarkt, der das Land im Export stärkt.

Der regionale Proporz spielt im Land immer eine große Rolle. Könnte die Landesregierung eine Branche in Württemberg fördern, ohne das Gleiche in Baden tun zu müssen?

Kretschmann: Solche Schwerpunkte, auf Neudeutsch: Cluster, kann die Politik nicht bilden, schließlich haben wir eine Marktwirtschaft. Wir müssen schauen, dass die Infrastruktur stimmt, von der Breitbandverkabelung über die Verkehrsinfrastruktur bis hin zur Bildung, und zwar im ganzen Land. Das haben wir übrigens gar nicht erfunden, darauf haben alle Regierungen in Baden-Württemberg geachtet.

Ist das Geld für die Weiterentwicklung der Infrastruktur da?

Kretschmann: Bei uns wird keine Region abgehängt, aber das erfordert enorme Investitionen, zum Beispiel in den Schienenverkehr. Es ist an der Zeit, dass wir die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu ordnen, damit in Zukunft die Mittel dahin fließen, wo die Notwendigkeiten sind. Baden-Württemberg liegt mitten in Europa, wir brauchen eine Super-Infrastruktur. Aber wenn ich an die Rheintal-Trasse denke, dann ist das doch ein Bild des Jammers. Die Schweiz unternimmt riesige Anstrengungen. Wir haben einen Vertrag, dass die Strecke bis 2020 mit vier Gleisen aufgerüstet sein soll. Wir werden das aber nicht schaffen, weil eine der wichtigsten europäischen Güterzugtrassen vernachlässigt wurde. Das geht eigentlich nicht. Wir schießen schon außerhalb unserer Zuständigkeiten zu, obwohl in erster Linie der Bund gefordert ist.

Mit großen Infrastrukturmaßnahmen im Land ist es ja nicht ganz einfach . . .

Kretschmann: Na klar, es fehlen Mittel.

Nicht nur. Die Bevölkerung steht dem ebenso wie Firmenansiedlungen kritisch gegenüber. Das birgt die Gefahr, dass Baden-Württemberg als Land der Bremser wahrgenommen wird und nicht als Technologieland. Brauchen wir eine neue Aufbruchstimmung?

Kretschmann: Das wollen wir durch eine neue Kultur der Bürgerbeteiligung, durch mehr direkte Demokratie und Planungsleitfäden hinkriegen. Wir beziehen die Leute jetzt sehr viel früher ein und beteiligen sie, damit Blockaden aufhören und Entscheidungen schneller fallen. Stuttgart 21 war ja ein Symbol über unsere Grenzen hinweg. Aber eine Bürgergesellschaft lässt es sich nun einmal nicht mehr bieten, dass hinter den Kulissen Vorentscheidungen gefällt werden, egal was es kostet, egal was der Sinn ist. Übrigens muss nicht nur der Staat die Bürger einbinden, auch die Wirtschaft muss das tun. Es gibt zum Beispiel Vorschläge, dass Unternehmen bei Großprojekten ein Prozent der Investitionen für die Bürgerbeteiligung einplanen müssen. Unser Nachbar Schweiz macht diese Bürgerbeteiligung seit 150 Jahren und ist trotzdem eine erfolgreiche Industrienation.

Ist das zu finanzieren – Stichwort Schuldenbremse – oder überfordert sich der Staat?

Kretschmann: Ich glaube nicht, dass das so weitergehen kann wie bisher. Wir müssen die Finanzmassen zwischen Bund und Ländern neu verhandeln. Es gibt einen Beschluss der Konferenz der Ministerpräsidenten zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Jahr 2008, wonach zehn Prozent der Wirtschaftsleistung in Bildung, Wissenschaft und Forschung fließen sollen. Davon sind wir noch ein ganz schönes Stück entfernt. Es gibt enorme Erfordernisse, was den Ausbau der großen Autobahntrassen in Baden-Württemberg betrifft. Der Aus- und Neubau mit dem Geld, das wir vom Bund bekommen, dauert 112 Jahre – bezogen auf die vordringlichen Projekte. Ohne zusätzliche Mittel geht es nicht. Wir sparen bereits enorm, um die Schuldenbremse einhalten zu können. Hätten wir übrigens keine Schulden, dann könnten wir zwei Milliarden Euro mehr investieren. Insgesamt brauchen wir sicher einen zweistelligen Milliardenbetrag.

McKinsey behauptet, Baden-Württemberg habe trotz sehr guter Lebensverhältnisse ein Imageproblem. Für Studierende und Berufsanfänger scheint Baden-Württemberg weniger attraktiv als andere Regionen zu sein.

Kretschmann: Wir haben uns am Tag der Deutschen Einheit, am 3. Oktober, als ein absolut modernes Land präsentiert. Was wir da gemacht haben, ist auf eine unglaublich positive Resonanz gestoßen. Aber es mag sein, dass sich ein Image einfach nicht so schnell ändern lässt. Es gibt diese Klischees wie die Kehrwoche einfach. Wir dürfen aber auch nicht immer nur nach Stuttgart schauen, obwohl, wenn man die Stadt mal entdeckt hat, entfaltet sie eine unglaubliche Attraktivität. Dazu kommt Freiburg, nach München die zweitbeliebteste Stadt Deutschlands. Vielleicht ist das aber auch der Preis unseres Erfolgs. Stuttgart ist zwar nicht das große Oberzentrum, dafür haben wir aber auch andere attraktive Oberzentren – unter anderem – Heidelberg, Karlsruhe; Konstanz, Ulm, um nur einige zu nennen.

Das Interview  führte Harry Pretzlaff.

Quelle:

Stuttgarter Zeitung
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