Sommer-Interview

"Landesvater ist in Ordnung"

Portätfoto von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Garten der Villa Reitzenstein.

Im Sommer-Interview mit den Stuttgarter Nachrichten spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann über seine Arbeit, über Bildung, Haushaltssanierung und die EnBW. „Vertrauen wieder aufzubauen, zumal in Zeiten großer Unsicherheiten, zählt für mich zu den wichtigsten Aufgaben“, so Kretschmann.

Herr Ministerpräsident, eine Frage an den Opern-Liebhaber: Sind Sie ein Richard-Wagner-Fan?

Kretschmann: Wagner-Fan würde ich jetzt nicht sagen. Ich hab’ lange gebraucht, bis ich mich eingehört habe. Die Ouvertüre zu „Lohengrin“ gehört sicherlich zu den großartigsten Stücken der Musikgeschichte. Dass man die Texte von Wagner-Opern nicht so richtig versteht, ist andererseits nicht schlimm . . . (lacht)

Sie haben in Bayreuth gerade den „Fliegenden Holländer“ gesehen. Wie wichtig ist eine solche Auszeit für Sie?

Kretschmann: Ob man es als Auszeit betrachten kann, möchte ich mal in Frage stellen. Es war dann aber doch vergnüglich, diesen Prominenten-Rummel mal mitzumachen.

Mit rotem Teppich . . .

Kretschmann: Ja. Das war schon gewöhnungsbedürftig.

Wie kommen Sie damit zurecht, wenig Zeit zu haben? Was fehlt Ihnen am meisten?

Kretschmann: Am meisten fehlen mir Zeitfenster für Kreatives. Ich habe jetzt allerdings damit begonnen, mir wieder Zeit freizuschaufeln. Mir ist es wichtig, ab und zu mal einen Abend mit interessanten Menschen zu verbringen, die mir etwas zu sagen haben.

Was sind das für Menschen?

Kretschmann: Ich hatte zuletzt einen Abend mit Kunstschaffenden, einen Abend mit Wirtschaftsvertretern, einen Abend zum Thema intelligente Stromnetze. Solche Begegnungen in­spirieren mich und bringen neue Impulse.

Sie ringen um Zeitfenster. Was gibt Ihnen umgekehrt Ihr Job? Kann man überhaupt von Job sprechen?

Kretschmann: Job würde ich auf keinen Fall sagen, es ist ein Mandat, mit dem man an führender Stelle gestalten kann. Nach 30 Jahren Opposition ins Staatsministerium zu kommen und das Land zu führen, hätte ich mir nie erträumt. Ich habe das Gefühl, jetzt wesentliche Dinge umsetzen zu können wie die Energiewende, für die ich 30 Jahre gekämpft habe.

Rätselfrage: Sie wollten keiner sein, jetzt sind Sie einer? Kennen Sie die Antwort?

Kretschmann: (zögert, lacht). Nein.

Landesvater!

Kretschmann: . . . (lacht)

Was stört Sie an dem Begriff?

Kretschmann: Nichts mehr. Er war mir am Anfang zu paternalistisch und zu altmodisch. Jetzt finde ich ihn in Ordnung, weil es bei den Bürgern ein starkes Bedürfnis danach gibt. Darin spiegelt sich der Wunsch nach einer Politik der Besonnenheit und der langen Linien.

78 Prozent der Baden-Württemberger sind der Meinung, dass Sie Ihre Sache gut machen. Wie erklären Sie sich das? Mit Sachpolitik alleine doch wohl nicht . . .

Kretschmann: Nein, die Zustimmung zeigt, dass die Politik des Gehörtwerdens angenommen wird. Ich denke, damit habe ich bei den Leuten den Kern der Befindlichkeit getroffen. Das heißt ja nicht, dass man immer erhört wird, es bedeutet aber, dass man nicht mehr überhört wird. Mein persönliches Gefühl ist, dass das für die Leute heutzutage das allerwichtigste Thema ist. Der Vertrauensschwund gegenüber den politischen Institutionen ist groß. Vertrauen wieder aufzubauen, zumal in Zeiten großer Unsicherheiten, zählt für mich zu den wichtigsten Aufgaben.

Ihre Zustimmungswerte übertreffen die Ihrer Partei deutlich. Ein starkes Argument, bei der nächsten Landtagswahl 2016 nochmals anzutreten . . .

Kretschmann: Das kann man so sehen. Aber sich nach einem Regierungsjahr von fünf schon zu überlegen, ob man nochmals antritt, wäre ­etwas verwegen. Der richtige Zeitpunkt ist ein Jahr vor der Wahl. Ich halte es für wichtig, dass man Politik macht, ohne immer auf die nächste Wahl zu schielen. Man kommt sonst schnell in ein taktisches Gehabe hin­ein. Davon haben die Leute genug. Wir sind ja schließlich da, um Probleme zu lösen und nicht nur immer ans Wiedergewähltwerden zu denken. Das tut man in der Politik ohnehin viel zu viel.

Haben Sie sich persönlich schon entschieden?

Kretschmann: Nein. Dazu gehört, dass man gesund bleibt und den Willen hat, so eine große Herausforderung nochmal anzunehmen. Ich guck jetzt mal, dass ich die Zeit, die mir der Wähler gegeben hat, gut ausfülle.

Spielt bei dieser Entscheidung der Faktor Familie eine große Rolle – wie das beim scheidenden Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster der Fall war?

Kretschmann: Meine Kinder sind erwachsen, die gehen jetzt ihre eigenen Wege. Meine Frau ist dieses Leben seit 30 Jahren gewohnt. Also das ist es sicher nicht.

Das Terrain des Landesvaters sind die Heckenbeerlesfeschtle. Haben Sie sich das so vorgestellt?

Kretschmann: Diesen Vorwurf, den ich an meinen Vorvorgänger Günther Oettinger gerichtet habe, fällt mir regelmäßig auf die Füße. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff hat mal treffend gesagt, ein Ministerpräsident sei Bundeskanzler und Bundespräsident in einem. In der Tat gehört zu meinen größten Problemen, das richtig sortiert zu bekommen – so banal das klingt. Ich hatte bisher an die 600 Außentermine, Kabinetts- und andere Sitzungen nicht mitgerechnet. Terminanfragen muss ich etwa im Verhältnis eins zu sieben absagen.

Sind Heckenbeerlesfeschtle Freude oder Last?

Kretschmann: Das ist keine Last. Wer die Leute nicht mag, darf so ein Amt nicht anstreben. Für viele Menschen ist es einfach wichtig, dass man da ist. Solange dieser Wunsch so groß ist, gibt es noch ein Grundvertrauen in die Institutionen. Ich halte es für einen Ausdruck demokratischer Gesinnung, dass man sich für nichts zu schade sein darf. Das macht ein Stück Nähe der Landesregierung zur Bevölkerung aus. Es ist nur die Zeit, die das begrenzt.

Im Herbst übernehmen Sie turnusmäßig das Amt des Bundesratspräsidenten. Wie sehen Sie Ihre Rolle in Berlin?

Kretschmann: In wichtigen Punkten habe ich die Initiative ergreifen können. Denken Sie an die Debatte über den Länderfinanzausgleich, oder an die Endlagersuche. Das geht auf meinen Einsatz zurück und das wird auch allgemein anerkannt. Wir haben Baden-Württemberg wieder als starkes Land auf Bundesebene sichtbar gemacht.

Kommt es zu einer ergebnisoffenen Suche nach einem Atomendlager?

Kretschmann: Davon bin ich fest überzeugt. Wir sind da sehr nah an einem nationalen Konsens.

Wie nah?

Kretschmann: Ich glaube, dass wir nach der Sommerpause einen Knopf daran machen werden.

Zum Thema Haushaltssanierung. Sie haben einmal gesagt, sie hätten sich niemals vorstellen können, dass man ein so großes und reiches Bundesland finanzwirtschaftlich so freihändig führen kann, wie es Vorgänger­regierungen getan haben. Was haben Sie daran geändert?

Kretschmann: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die Ressourcensteuerung im Bildungsbereich. Wir haben bis heute nicht mal eine Software, mit der wir feststellen können, an welcher Schule gerade wie viele Lehrer mit welcher Besoldungsstufe und welchem Deputat sind. Wie man so etwas jahrzehntelang zulassen kann, ist mir vollkommen schleierhaft. Wir werden jetzt – zugegeben etwas verspätet – mit regionalen Schulentwicklungsplänen beginnen, um zu einer besseren Ressourcensteuerung zu kommen. Die Vorgängerregierung hat bei ihrer Bildungsoffensive nach dem Gießkannenprinzip gearbeitet, aber so kommen wir nicht weiter. Es geht nicht nach dem Motto: „Viel hilft viel.“ Wir brauchen mehr Qualität. Die Kunst besteht darin, den Haushalt zu sanieren und die notwendigen Investitionen tätigen, denn wir dürfen ja nicht die Grundlagen unseres Reichtums für die Zukunft untergraben. Deshalb muss man in allen Bereichen zielgenau steuern.

Bei der Kultusministerin erkennt man bisher nicht, wie sie die qualitativen Kerne schaffen will, die Sie beschreiben.

Kretschmann: Innerhalb eines Jahres lassen sich keine messbaren Erfolge erzielen. Strukturveränderungen brauchen Zeit. Wir haben jetzt mit der Einführung der Gemeinschaftsschule begonnen und parallel dazu mit der Reform der Lehrerausbildung.

Als gelernter Lehrer sind Sie in der Situation, in den nächsten Jahren Tausende Lehrerstellen abbauen zu müssen. Schmerzt das?

Kretschmann: Nein, das schmerzt überhaupt nicht. Das ist ja immer nur die halbe Botschaft. Die andere Botschaft ist, dass wir einen gravierenden Schülerrückgang haben werden – voraussichtlich von 2012 bis 2020 um knapp 20 Prozent, das ist fast jeder fünfte. Wir haben mit Abstand die beste Schüler-Lehrer-Relation aller deutschen Länder. Das an sich führt aber noch nicht zu guten Bildungserfolgen. Und es hilft alles nichts: Wir müssen strukturell sparen. Der jungen Generation ist ja auch nicht geholfen, wenn wir weiter Schulden auftürmen. Durch den zielgenauen Einsatz von Ressourcen werden mehr Lehrerstunden in den Unterricht fließen. Da braucht sich keiner Sorgen zu machen. Wir alle wissen, gute Bildung ist das A und O für die Prosperität unseres Landes.

Sie wollen das Geld besser einsetzen, gleichzeitig wird das Bildungssystem durch Ihre Reformen immer unübersichtlicher. Verzettelt sich Ihre Regierung in der Bildungspolitik?

Kretschmann: Strategisch gebe ich Ihnen vollkommen recht. Einerseits ist Vielfalt gut, andererseits darf das Bildungssystem nicht zersplittern. Man muss sich auf wenige Schultypen konzentrieren. Die gravierende demografische Entwicklung zwingt uns dazu, unser Schulsystem in Richtung Zweigliedrigkeit umzubauen.

Wie lange wird die Phase der Unübersichtlichkeit dauern?

Kretschmann: Mindestens zwei Legislaturperioden; da muss schon eine Schülergeneration die Schule durchlaufen. Schneller geht’s nicht.

Thema CDU. Sie selbst haben einst deutliches Interesse an einer Koalition erkennen lassen. Wie groß ist Ihr Interesse an der CDU heute noch, auch vor dem Hintergrund des EnBW-Komplexes?

Kretschmann: Ich hab’ mit Oettinger verhandelt. An mir lag’s nicht. Die CDU wollte nicht und jetzt isch der Zug naus, auf gut Schwäbisch gesagt. Und wenn ich heute die Politik der CDU anschaue, stelle ich fest, ihr fehlt die Orientierung. Es gibt kein relevantes politisches Feld mehr, wo die Union führt. Sie begradigt immer wieder ihre Linien gegenüber uns – ob in der Energiepolitik, bei der Gleichstellungspolitik, bei der ökologischen Modernisierung der Wirtschaft oder bei der Frage, wie man mit Homosexuellen umgeht. Da tut Opposition gut. Die Oppositionsbänke sind hart und regen das Denken an.

Wann wird sich das Land wieder von den EnBW-Anteilen trennen?

Kretschmann: Auf absehbare Zeit nicht. Wir haben das Unternehmen in einer schwierigen Markt­lage übernommen, wir haben einen neuen Vorstandsvorsitzenden bestellt, und jetzt wollen wir die Chance nutzen, mit der Professionalität der 20.000 EnBW-Mitarbeiter die Energiewende auch professionell zu gestalten. Das Ganze stemmen wir gemeinsam mit den Stadtwerken, der Wirtschaft und der Bürgerschaft.

Wenn jemand auf Sie zukäme und sagen würde, ich gebe Ihnen 4,7 Milliarden Euro. Sagen Sie dann trotzdem Nein?

Kretschmann: Nach jemand, der mit einem solchen Angebot auf uns zukäme, müssten Sie aber lange suchen. Im Übrigen haben das Land und die OEW (die anderen Hauptanteilseigner, d. Red.) zwischenzeitlich das Kapital um 800 Millionen Euro aufgestockt.

Die Energiewende verzögert sich. Wollen Sie EnBW-Eigentümer bleiben, um besser mitsteuern zu können?

Kretschmann: Ja, obwohl dieser Zusammenhang nicht zwingend ist. Bei der Frage des Netzausbaus, der Abstimmung von Erzeugungskapazitäten oder der Preisentwicklung liegen die Versäumnisse bei der Bundesregierung. Das hängt nicht davon ab, ob man an einem Unternehmen beteiligt ist. Klar ist: Baden-Württemberg und Bayern hatten den höchsten Atomstromanteil. Wir brauchen während des Übergangs neue Gaskraftwerke. Sie lohnen sich derzeit betriebswirtschaftlich nicht, weshalb wir für Kapazitätsmärkte eintreten, denn bei der Versorgungssicherheit hört bekanntlich der Spaß auf. Hier müssen wir sehr schnell zu Entscheidungen kommen. Ich stehe mit dem Kollegen Horst Seehofer in engem Kontakt, um das auch durchzusetzen.

Wir führen ein Sommer-Interview. Eine Frage mit Blick auf den Winter: Müssen die Bürger Stromengpässe befürchten?

Kretschmann: Nein, in keiner Weise. Wir haben das gut durch Verträge und Kaltreserven abgesichert. Die sichere Energieversorgung hat alleroberste Priorität.

Quelle:

Stuttgarter Nachrichten
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