Interview

"Ich bin mit ganzem Herzen Provinzpolitiker"

Portätfoto von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Im Interview mit der Bild-Zeitung spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann über seine politische Handschrift, die Euro-Krise und den Länderfinanzausgleich.

BILD: Ihr Vorgänger Stefan Mappus ist denkbar tief gefallen: Amt verloren, Strafverfahren wegen des Kaufs des Stromkonzerns EnBW, zuletzt Hausdurchsuchung. Tut er Ihnen ein bisschen leid?

Kretschmann: Nein, für seine Familie ist das sehr hart, sie tut mir leid.

BILD: Wieso sind Sie da so unerbittlich?

Kretschmann: Herr Mappus behauptet stur, er habe alles richtig gemacht. Er übt keinerlei Selbstkritik, deshalb fällt es mir schwer, Mitleid mit ihm zu haben.

BILD: Sie sind seit gut einem Jahr erster grüner Ministerpräsident. Wo erkennt man Ihre politische Handschrift?

Kretschmann: In einer Politik des Gehörtwerdens, indem wir nah am Menschen sind und sie in unsere politischen Entscheidungen miteinbeziehen. Das wird auch so wahrgenommen, was die positiven Reaktionen zeigen. Es ist ein ganz anderer Stil als vorher.

BILD: Brauchen wir denn insgesamt einen neuen Politik-Stil?

Kretschmann: Die Bürger haben immer weniger Vertrauen in Politik. Der Streit um das Bahnhofsprojekt ‚Stuttgart 21‘ hat die ganze Republik verändert hin zu einer aufmüpfigen Zivilgesellschaft. Es funktioniert nicht mehr, in Hinterzimmern Entscheidungen zu treffen und sie den Leuten vorzusetzen. Ich finde das gut. Darauf muss sich die Politik einstellen, das ist die eigentliche Herausforderung.

BILD: Ist regieren in der Provinz einfacher, schöner als in Berlin?

Kretschmann: Für mich ist Deutschland in der Provinz am schönsten, Berlin hat mich noch nie gereizt. Ich bin mit ganzem Herzen Provinzpolitiker. Probleme sind hier konkreter, man kann direkter handeln. Aber deshalb sind meine Aufgaben nicht leichter, sondern nur anders gelagert.

BILD: Aber Sie sind oft in Berlin, zum Bundesrat. Blicken Sie bei der Euro-Krise durch oder stimmen Sie einfach als Opposition ab?

Kretschmann: Im Bundesrat vertrete ich die Interessen unseres Landes. Das hat mit Opposition erst mal nichts zu tun. Gerade in der Krise brauchen wir einen nationalen Konsens unabhängig von der Parteifarbe der Bundesregierung. Aber ich gebe zu: Auch ich überblicke leider nicht alles im Detail. Es ist das Wesen von Krisen, dass man auf Sicht fährt und den Nebel nicht immer ganz durchdringen kann.

BILD: Hat die Kanzlerin den richtigen Krisen-Kurs?

Kretschmann: Sie hat eine schwere Aufgabe, ich will da nicht den Besserwisser geben. Aber Frau Merkel müsste den globalen Zusammenhang einzelner Entscheidungen klarer hervorheben. Ich war nie ein großer Fan von Altkanzler Helmut Kohl, aber er hatte eine klare europapolitische Vision, für die er wie eine Eins gestanden hat – einer seiner großen Verdienste. Diese Klarheit vermisse ich heute.

BILD: Was genau fehlt Ihnen?

Kretschmann: Es wird mit vielen Milliarden hantiert, die Bürger haben Angst und zweifeln an Europa. Deshalb muss erklärt werden, dass nur ein geeintes Europa unsere Zukunft ist, Frieden, Demokratie und Wohlstand auf unserem Kontinent sichert und dass jede Finanzhilfe, die wir in ein Krisen-Land stecken, uns selber schützt und unsere Absatzmärkte sichert. Deutschland lebt nun mal zu fast 60 Prozent vom Export in andere EU-Staaten. Man muss Vorstellungen haben, wie es jenseits der Krise mit Europa weitergeht. Da fehlen mir die klaren Bekenntnisse.

BILD: Das versucht die Regierung doch zu erklären, aber sie scheint die Menschen nicht zu erreichen.

Kretschmann: Politik ist kein Spaziergang auf dem Ponyhof, das wissen die Menschen. Es würde schon Vertrauen schaffen, wenn die Politik über große Entscheidungen vorher mal die Wahrheit sagt. Ich bin sicher, das verkraften die Bürger.

BILD: Viele Menschen wollen die D-Mark zurück.

Kretschmann: Aus Unwissenheit! Die Schweiz hat unter dem starken Franken gelitten, weil der Außenhandel einbrach. Ein Zurück zur D-Mark würde uns in die schlimmste Wirtschaftskrise führen, die vorstellbar ist. Es gibt kein Zurück zum Nationalstaat. Als Exportnation geht es uns um Solidarität in wohl verstandenem Eigeninteresse.

BILD: Für Europa Solidarität, aber beim Länderfinanzausgleich wollen reiche Bundesländer wie Ihres nicht mehr für ärmere zahlen. Passt das?

Kretschmann: Wir wollen beim Länderfinanzausgleich nicht raus aus der Solidarität, sondern neue Grundlagen für ein faires System. Es müssen Anreize her, wie ärmere Länder von Mehreinnahmen profitieren können, ohne dass es auf den Finanzausgleich angerechnet wird. Sie haben bisher nichts davon sich anzustrengen. Das müssen sie aber, wenn am Ende auch die Geberländer wie Baden-Württemberg entlastet werden sollen. Wir wollen darüber verhandeln. Bis Jahresende muss klar sein, ob die anderen Länder das auch ernsthaft wollen. Wenn nicht, erwägen wir, uns der Klage der Bayern gegen den Länderfinanzausgleich anzuschließen.

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