Interview

„Ich bin Anhänger einer sozialökologischen Marktwirtschaft“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei einer Pressekonferenz im Garten der Villa Reitzenstein.

Zum 150. Geburtstag von Robert Bosch würdigt Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Errungenschaften des Firmengründers.

Stuttgarter Nachrichten: Herr Ministerpräsident, Sie gelten als passionierter Heimwerker und als Meister am Bohrer. Für welches Gerät würden Sie sich entscheiden: Für ein Produkt von Bosch, Hilti oder Metabo?

Winfried Kretschmann: Ich habe Geräte von Bosch und von Metabo. Alle unsere Mittelstandsfirmen machen Qualitätsprodukte. Metabo liegt in meinem Wahlkreis und stellt auch gute Geräte her.

Stuttgarter Nachrichten: Was hat sich besser bewährt?

Kretschmann: Selbst wenn ich das wüsste, würde ich es nicht sagen.

Stuttgarter Nachrichten: Robert Bosch wird immer als der „Rote Bosch” bezeichnet. Sehen Sie in ihm den grünen Bosch?

Kretschmann: Seine Unternehmensphilosophie ist auf jeden Fall sehr nachhaltig. Und sein heutiger Nachfolger setzt diesen Gedanken im Unternehmen sehr konkret um.

Stuttgarter Nachrichten: Inwiefern?

Kretschmann: Bei Bosch wird nicht nach dem schnellen Profit geschaut, sondern danach, wie sich das Unternehmen lange und nachhaltig auf den Märkten behaupten kann. Das Unternehmen gibt 45 Prozent seiner Forschungs- und Entwicklungsmittel für grüne Produktlinien aus. Das ist beachtlich. Die Firma Bosch ist auf vielen Gebieten ein Vorreiter.

Stuttgarter Nachrichten: In Ihrer Regierungserklärung haben Sie gesagt, Sie möchten Baden-Württemberg unter den Bundesländern zum Modell ökologisch orientierten Wirtschaftens machen. Wie gut passt Bosch in dieses Konzept?

Kretschmann: Gerade weil es Unternehmen wie Bosch gibt, konnte ich so etwas überhaupt sagen. „Ökologie steht nicht nur für unsere Überzeugung, sondern auch für wirtschaftlichen Erfolg”, so Franz Fehrenbach. In unseren Kernbranchen ist diese Botschaft angekommen, und das Einzige, was ich jetzt machen muss, ist, noch etwas aufs Tempo zu drücken.

Stuttgarter Nachrichten: Was das konkrete Beispiel Atomausstieg betrifft, stehen die Kernbranchen jedoch nicht ganz auf Ihrer Seite. Auch Bosch-Chef Franz Fehrenbach ist nicht uneingeschränkt für den schnellen Atomausstieg.

Kretschmann: Der Atomausstieg ist in breitem Konsens beschlossen. Und gerade für Unternehmen wie Bosch birgt er unglaubliche Chancen. Was bringt es den Unternehmen, wenn da noch gefährliche Atommeiler in der Gegend herumstehen? Mit dezentralen Technologien, die ressourcen- und energiesparend sind, und mit Effizienzstrategien können unsere Firmen ihr Portfolio erweitern und Geschäfte auf den internationalen Märkten machen. Das zeitliche Fenster zu einem dramatischen Klimawandel ist noch kleiner, als wir dachten. Also, die Fortschritte in der ökologischen Modernisierung unserer Wirtschaft müssen noch schneller gehen. Wir in Baden-Württemberg müssen der Welt zeigen, dass diese Fortschritte möglich sind. Die Firmen tragen damit nicht nur zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen bei, sondern sie bleiben wettbewerbsfähig auf den Märkten der Zukunft - und sichern für unsere jungen Leute die Jobs.

Stuttgarter Nachrichten: Bosch sieht jedoch in China die größten Wachstumschancen und möchte die Zahl seiner Mitarbeiter dort bis 2015 auf 50.000 erhöhen. Welche Bedeutung hat dies für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg?

Kretschmann: Bosch war schon vor 100 Jahren ein global agierendes Unternehmen. Als internationaler Großkonzern kann sich das Unternehmen nur halten, indem es seine Marktchancen in aufstrebenden Volkswirtschaften wie China sichert. Die Hochtechnologiearbeitsplätze werden dadurch ja im Mutterland gefördert.

Stuttgarter Nachrichten: Der Bosch-Betriebsrat jedoch fürchtet, dass auch die von Ihnen angesprochene Kompetenz in Forschung und Entwicklung zunehmend aus Deutschland verschwinden könnte. Teilen Sie diese Sorge?

Kretschmann: Die Sorge besteht immer. Andere Leute sind ja auch nicht dumm. Deswegen ist Bildung, Bildung und noch mal Bildung der Hauptbeitrag, den die Landesregierung für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung leisten kann. Indem wir im Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Wissenschaft dafür Sorge tragen, dass wir auch weiterhin die Nase vorn haben.

Stuttgarter Nachrichten: Das Engagement in China kann man auch in einer anderen Hinsicht als problematisch bewerten. Wäre es im Sinne Robert Boschs gewesen, sein Engagement in einem Land zu verstärken, das unserer Vorstellung von Menschenrechten nicht entspricht?

Kretschmann: Wir erwarten natürlich von den Unternehmen, dass Menschen dort nach unseren Standards beschäftigt werden. Viele Menschen in China kommen somit in Lohn und Brot und dadurch auch zu einem gewissen Wohlstand. Die Erfahrung sagt uns, dass Menschen, die in erster Linie schauen müssen, wie sie ihre Lieben satt bekommen, sich wenig um politische Fragen kümmern können. Der Freiheitsdrang, der zu politischen Änderungen führt, entsteht oft im Zusammenspiel von einer aufbegehrenden Jugend und Menschen aus den Mittelschichten.

Stuttgarter Nachrichten: Was können heutige Unternehmer von Robert Bosch lernen?

Kretschmann: Sie können heute besonders viel von ihm lernen. Dass es nicht auf schnelle Profite ankommt, sondern auf Innovationsfähigkeit, auf ein gutes Umfeld für die Mitarbeiter und auch auf die Rücksicht auf die Umwelt. Die Finanzmarktkrise hat ja gezeigt, wohin kurzfristiges Denken führt. Das Schielen auf den schnellen Dollar oder den schnellen Euro führt leicht auf den Abgrund zu.

Stuttgarter Nachrichten: Franz Fehrenbach hat gesagt, dass die Finanzmärkte völlig außer Kontrolle geraten sind und in ihre Schranken gewiesen werden müssen. Wie kann das geschehen?

Kretschmann: Erst mal muss man sehen, wofür Banken da sind. Banken sind da, um Kredite zu geben, damit die Leute etwas unternehmen können, als Unternehmer und als Privatmensch. Das ist ihr Kerngeschäft. Die Spekulationen, die immer stärker zunehmen, führen nur zu einem Raubtierkapitalismus, von dem ich nichts halte. Ich bin Anhänger einer sozialökologischen Marktwirtschaft, und die funktioniert nur mit Regeln. Das ist schwierig durchzusetzen, weil die Finanzmärkte internationalisiert sind, aber dringend erforderlich. Bisher geht es zu langsam und schleppend voran.

Stuttgarter Nachrichten: An welche Instrumente denken Sie?

Kretschmann: Die Finanztransaktionssteuer ist ein solches Instrument, um den Finanzmarkt mehr in die Verantwortung zu nehmen: Dazu müssen durchgreifende Maßnahmen zur Finanzmarktaufsicht kommen. Insgesamt aber braucht man einen ganzen Strauß an Regeln, um die Spekulationen einzudämmen, zum Beispiel Einschränkung von ungedeckten Leerverkäufen.

Stuttgarter Nachrichten: Lässt sich der Euro Ihrer Meinung nach noch retten - und wofür brauchen wir ihn überhaupt?

Kretschmann: Der Euro lässt sich nicht nur retten, er wird gerettet. Wir brauchen in einer globalisierten Welt eine europäische Währung. Welche Probleme sonst entstehen können, haben wir am Beispiel der Schweiz gesehen, einem kleinen Land mit einer eigenständigen Währung. Auf einmal schnellte der Kurs enorm hoch, und die Schweiz hatte riesige Probleme mit dem Export. Der Euro ist heute eine wichtige Leitwährung neben dem Dollar, und wir müssen alles dafür tun, dass er wieder stabilisiert wird.

Stuttgarter Nachrichten: Auch für Schuldenstaaten haften?

Kretschmann: Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, weil sonst leicht Dominoeffekte eintreten können. Natürlich können wir es nur in Grenzen tun und mit Auflagen.

Stuttgarter Nachrichten: Was halten Sie von Euro-Bonds?

Kretschmann: Ich bin durchaus ein Anhänger der Euro-Bonds. Jedoch: Je länger man diesen Schritt hinauszögert, desto weniger wird er Effekte zeigen. Eine europäische Wirtschaftsunion mit einer gemeinsamen Währung muss ein System haben, mit dem sie derartige Krisen bewältigt. Andererseits muss man jedoch dafür sorgen, dass die Ursachen solcher Krisen - wie eine unseriöse Finanzpolitik - drastisch eingedämmt werden. Hilfen wie Rettungsschirme oder Euro-Bonds kann man nur anbieten, wenn sie mit strengen Auflagen, mit Aufsicht und Kontrolle verbunden werden. Andernfalls wären sie ein Fass ohne Boden.

Stuttgarter Nachrichten: Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker setzt sich seit 2008 für gemeinschaftliche Staatsanleihen ein. Wann wäre der beste Zeitpunkt gewesen?

Kretschmann: Als Juncker die Euro-Bonds vorgeschlagen hat. Mit der Maßgabe, sie nur in Anteilen einzuführen und auszugeben, die sich auch einer Kontrolle unterwerfen, sonst geht es nicht.

Stuttgarter Nachrichten: Der Papst hat auf bei seinem Besuch in Berlin vor einer Politik ohne Moral gewarnt. Was gilt für die Wirtschaft?

Kretschmann: Wirtschaft ohne Moral gibt es überhaupt nicht. Die Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass ohne menschliche Tugenden wie Vertrauen auch der kalte Finanzmarkt nicht funktioniert. Die Finanzmarktkrise wurde dadurch ausgelöst, dass Menschen Dinge getan haben, von denen sie wussten, dass sie nicht funktionieren können. Wenn die allermeisten Menschen das siebte Gebot „Du sollst nicht stehlen” nicht beachten würden, gäbe es gar keine Ökonomie.

Stuttgarter Nachrichten: Was sagen Sie nach 135 Tagen im Amt: Gelingt es einem Politiker, stets redlich zu bleiben, oder schließen Macht und Redlichkeit einander aus?

Kretschmann: Etiketten wie Redlichkeit würde ich mir selbst schon mal gar nicht aufkleben, denn darum geht es nicht. Vom Rummoralisieren in der Politik halte ich wenig. Es geht um klare Regeln und darum, dass wir uns an sie halten und politisches Taktieren solchen Regeln unter- und nicht überordnen.

Stuttgarter Nachrichten: Gab es in den vergangenen Monaten im Zusammenhang mit der Automobilindustrie Sätze, über die Sie im Nachhinein gedacht haben, sie wären besser unausgesprochen geblieben?

Kretschmann: In keiner Weise. Ich bereue keinen Satz, den ich im Zusammenhang mit der Automobilindustrie gesagt habe. Auch nicht den Satz, der eine Riesendebatte ausgelöst hat: „weniger Autos sind besser als mehr Autos”. Ich stehe hinter diesem Satz. Jede S-Bahn, die wir bauen, verfolgt schließlich dieses Ziel. Es wird aber global gesehen mehr Autos geben. Deswegen geht es im Kern um ökologisch sehr viel bessere Autos als heute. Der Satz hat eine bundesweite Debatte darüber ausgelöst, was nachhaltige Mobilität ist. Ich habe nicht vor, in Bälde nur noch gestanzte Phrasen von mir zu geben, nur weil die Gefahr besteht, dass man mit aus dem Zusammenhang gerissenen Halbsätzen Politik macht. Ich werde auch weiterhin das sagen, was ich für richtig halte, darauf können Sie sich verlassen.

Das Gespräch führte Anne Guhlich.

Quelle:

Stuttgarter Nachrichten
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