Interview

„Der Kostendeckel gilt“

Porträtfoto von Ministerpräsident Winfried Kretschmann an einem Tisch.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann macht im Interview mit der Badischen Zeitung zu Stuttgart 21 deutlich: „Der Kostendeckel gilt! An eventuellen Mehrkosten wird das Land sich nicht beteiligen.“

Badische Zeitung: Herr Ministerpräsident, in einem jüngst erschienenen Interviewbuch werden Sie im Zusammenhang mit Stuttgart 21 mit dem Satz zitiert: "Irgendwann muss diese Sache mal beendet sein. Und das ist sie nach dieser Volksabstimmung." Diese Volksabstimmung liegt nun ziemlich genau ein Jahr zurück. Würden Sie den Satz heute noch einmal so sagen?

Winfried Kretschmann: In dieser Klarheit wahrscheinlich nicht. Was ich damit sagen wollte, ist: Im Grundsatz ist die Sache beendet, faktisch ist sie es nicht, bis der neue Bahnhof fertig gebaut ist. Aber was jetzt regelmäßig auftritt an Problemen, deckt sich mit dem, was ich befürchtet habe. Dass sich nämlich das, wovor ich als Gegner des Projektes gewarnt habe, jetzt einstellt, wenngleich vielleicht nicht in dem befürchteten Ausmaß. Jetzt bin ich in einer anderen Rolle, ich habe eine Projektförderpflicht – aber diese Entwicklung macht mir schon Sorge.

Badische Zeitung: Die Volksabstimmung basierte auf der Festlegung der Projektträger, dass der Bahnhofsneubau nicht teurer wird, als die vereinbarten 4,526 Milliarden. Wie wichtig ist Ihnen diese Grenze?

Kretschmann: Der Kostendeckel gilt! An eventuellen Mehrkosten wird das Land sich nicht beteiligen. Das ist vom Kabinett so beschlossen worden. Und daran werden wir nicht rütteln.

Badische Zeitung: Die Erfahrung aber lehrt, dass solche Projekte stets teurer werden als geplant. Was passiert, wenn eine "Elbphilharmonisierung" des Bahnhofs eintritt?

Kretschmann: Dieses Argument war Bestandteil des Abstimmungskampfes. Die Gegner haben dieses Argument – so wie Sie jetzt – aus dem empirischen Vergleich mit anderen Projekten abgeleitet und in die Diskussion eingebracht. Das wussten die Abstimmenden, und es gab dennoch eine Mehrheit für das Projekt. Für mich ist klar, dass für den Fall, dass der Kostendeckel nicht eingehalten wird, der Bauherr, also die Bahn, einspringen muss.

Badische Zeitung: Und wenn die Bahn das nicht macht?

Kretschmann: Sie muss es machen, denn wir machen es jedenfalls nicht. Sie ist Bauherr. Sie hat behauptet, dass es sich um das bestgeplante Projekt handelt und das Geld reicht. Und es gibt ja auch einen Puffer. Jedenfalls ist es nicht mein Problem. Ich möchte daran erinnern, dass der Bau von Bahnhöfen und Bahnstrecken eine Sache des Bundes ist, nicht der Länder; das Land beteiligt sich absolut freiwillig mit fast einer Milliarde Euro.

Badische Zeitung: Aber Bestandteil des Vertrages ist auch die sogenannte Sprechklausel, wonach die Projektbeteiligten über eine eventuelle Verteilung von Mehrkosten separat sprechen müssen. Dem Sinn nach heißt das ja wohl, dass ein fundamentalistisches Nein nicht gemeint ist.

Kretschmann: Die Sprechklausel heißt, dass wir darüber noch einmal sprechen. Genau das werden wir tun. Aber wir zahlen nicht mehr, das ist beschlossen. Wenn die Bahn das anders sieht, muss sie das vor Gericht feststellen lassen.

Badische Zeitung: Aber das Projekt Filderbahnhof ist eben nicht Bestandteil des alten Projektes. Wenn es da Mehrkosten gibt, dann muss man die doch anders behandeln.

Kretschmann: Grundsätzlich fand der Filderdialog, dessen Ergebnis ein anderer Bahnhof beim Flughafen ist, unter der Maßgabe des Kostendeckels statt. Die neuen Kostenberechnungen werden derzeit von uns überprüft. Noch können wir das nicht abschließend bewerten. Was für Bahnhöfe sie baut, ist aber letzten Endes eine Entscheidung der Bahn.

Badische Zeitung: Was halten Sie von dem Vorschlag Ihres Parteifreundes und neuen Stuttgarter Oberbürgermeisters Fritz Kuhn, bei einer Kostensteigerung das Volk noch einmal abstimmen zu lassen?

Kretschmann: Das ist keine Idee von Fritz Kuhn, das ist die Beschlusslage des Stuttgarter Gemeinderates. Dort hat es die Entscheidung gegeben, dass die Stadt eventuelle Mehrkosten nur übernehmen darf, wenn es dazu einen Bürgerentscheid gegeben hat.

Badische Zeitung: Müssen Sie als Ministerpräsident des Landes nicht auch dafür Sorge tragen, dass fundamentale Fragen, zum Beispiel die Kostenfrage, geklärt werden, ehe eine unumkehrbare Lage eintritt? Sonst ist eines Tages der Bau so fortgeschritten, dass man fertig bauen muss und das Land dann in der Pflicht steht.

Kretschmann: Genau das war eines meiner Argumente im Abstimmungskampf. Ich wollte nie in diese Situation kommen, dass ich weiterbauen muss, obwohl es nicht bezahlt ist. Seither ist die Frage für uns geklärt: Nicht das Land ist Bauherr, sondern die Bahn, und sie wird dann zahlen müssen. Wir beteiligen uns freiwillig. Der Rahmen, in dem wir uns beteiligen, war Gegenstand der Volksabstimmung. Damit sind wir nicht mehr im Obligo.

Badische Zeitung: Das klingt, als wären Sie jetzt nur noch Beobachter.

Kretschmann: Wir haben als Land eine Projektförderpflicht und kommen ihr nach. Das Projekt liegt aber beim Bauherrn. Wenn er es so gut geplant hat, wie immer behauptet, dann werden wir die üblichen Probleme haben, die es bei jedem Bauvorhaben gibt. Dafür gibt es einen Puffer. Aber zum Beispiel beim Filderbahnhof muss die Bahn erst noch eine genehmigungsfähige Planung vorlegen. Auch da gilt: Wir sind nicht Genehmigungsbehörde, das ist das Eisenbahnbundesamt.

Badische Zeitung: Nach dem 27. November vorigen Jahres konnte man zunächst den Eindruck gewinnen, das Projekt Volksabstimmung sei ein Erfolg, weil es die Lage befriedet hat. Ein Jahr später muss man angesichts der unversöhnlichen Töne in der Debatte eher den Eindruck haben, die Abstimmung habe die Gräben nur zeitweise überdeckt. Wurde es versäumt, nach der Abstimmung einen echten Dialog zu beginnen, um den Konflikt auch langfristig zu bearbeiten?

Kretschmann: Ich jedenfalls habe das Abstimmungsergebnis angenommen. Ich habe sofort gesagt, wir werden das Projekt realisieren und es kritisch-konstruktiv begleiten. Ich werfe kein einziges Sandkörnchen ins Getriebe. Das Volk hat so entschieden und daran halte ich mich. Aber es kann sich auch jeder vorstellen, dass ich jetzt nicht davon ausgehe, dass ich vor der Abstimmung nur Unsinn geredet habe.

Quelle:

Badische Zeitung
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