Länderfinanzausgleich

"Das Ziel ist ein faires System"

Porträtfoto von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Auf dem Verhandlungsweg sollen die Finanzbeziehungen der Länder neu geregelt werden. Ein neues, faires System "wird doch im Interesse aller sein", sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Interview mit der Mittelbadischen Presse.

Mittelbadische Presse: Was bedeutet für Sie Solidarität?

Kretschmann: Solidarität heißt, dass die finanzstarken Länder den finanzschwachen helfen.

Mittelbadische Presse: Baden-Württemberg zahlt nach den vorläufigen Zahlen für 2011 knapp 1,8 Milliarden Euro in den Länderfinanzausgleich. Ist diese Zahl für Sie in Ordnung?

Kretschmann: Wir zahlen ein Viertel der Ausgleichszahlungen – das ist natürlich sehr viel. Der ganze Länderfinanzausgleich ist nach meiner Meinung anreizfeindlich: Bei uns gehen die Steuereinnahmen zum größten Teil in den Ausgleich. Wenn ein Nehmerland mehr Einnahmen hat, bekommt es weniger aus dem Länderfinanzausgleich. Das ist kein sinnhaftes System, und wir müssen es grundlegend ändern.

Mittelbadische Presse: Das System ändern wollen auch Bayern und Hessen. Wie könnte denn eine Änderung ausschauen?

Kretschmann: Erst mal müssen überhaupt alle Länder zu Verhandlungen bereit sein. Es kursieren verschiedene Vorschläge, das zu debattieren macht im Moment allerdings keinen Sinn. Für den Moment geht es darum, dass die Geberländer Hessen, Bayern und Baden-Württemberg und ein wenig auch Hamburg die Nehmerländer dafür gewinnen, insgesamt ein neues Ausgleichssystem zwischen Bund, Ländern und den Ländern untereinander auszuhandeln. Denn 2019 läuft der Ausgleich ja eh aus. Bis dahin müssen wir etwas Neues schaffen. Der Länderfinanzausgleich soll andere Länder in die Lage versetzen, sich auf eigene Beine zu stellen.

Mittelbadische Presse: Ist für Sie die Jahreszahl 2019 unabdingbar, oder streben Sie eine Änderung des Systems eher an?

Kretschmann: Uns wäre natürlich eine Änderung früher lieber. Die Frage ist nur, ob das hinzubekommen ist. Ein Teil der Nehmerländer wehrt sich ja überhaupt gegen Verhandlungen. Zuerst müssen wir alle an einen Tisch bekommen, wozu Bayern, Hessen und Baden-Württemberg ja schon die Initiative ergriffen haben. Ich werde mit meinen Kollegen aus Hessen und Bayern jetzt noch einmal einen Anlauf starten, damit wir schnell in eine Verhandlungssituation kommen.

Mittelbadische Presse: Ihr Amtsvorgänger Stefan Mappus wollte wie auch heute noch Bayern und Hessen gegen die jetzigen Regeln zum Länderfinanzausgleich klagen. Sie wollen das nicht. Warum?

Kretschmann: Die Landesregierung hat sich dafür entschieden, zuerst den Verhandlungsweg zu beschreiten, anstatt zu klagen. Die Klage wäre der letzte Ausweg, wenn die Nehmerländer jegliche Verhandlung verweigern. Denn nur wenn wir verhandeln, können wir etwas Neues auf die Beine stellen. Wenn wir klagen, kann das Bundesverfassungsgericht nur das jetzige System korrigieren. Darüber hinaus ist natürlich die große Frage, ob eine Klage Aussicht auf Erfolg hätte. Das weiß man eben vorher nicht. Die letzte Verfassungsklage gegen den Länderfinanzausgleich liegt etwas über zehn Jahre zurück. Seither hat sich aber nichts Grundlegendes am System der Ausgleichszahlungen geändert.

Mittelbadische Presse: Sie haben sich in dieser Angelegenheit auch schon mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer allein getroffen. Wie viel Einigkeit besteht denn da zwischen den Grünen und der CSU?

Kretschmann: Das hat mit den Parteizugehörigkeiten nun wirklich gar nichts zu tun. Hier verlaufen die Fronten ganz anders – nämlich Nehmer- versus Geberländer, egal wie die regiert werden. Man muss sehen: Der Umfang des gesamten Länderfinanzausgleichs sind 7 Milliarden Euro, drei Länder bringen das quasi allein auf. Ich habe großes Verständnis für den Kollegen Seehofer; Bayern allein bringt über die Hälfte dieses Ausgleichssystems auf, wir ein Viertel. So kann es nicht weitergehen. Insofern sind wir uns einig, dass das Thema neu verhandelt werden muss. Wie gesagt: Von einer Klage halte ich nicht viel. Die Politik muss selber ihre Gestaltungsfähigkeit beweisen und kann nicht ständig vor Gericht rennen.

Mittelbadische Presse: Wir befinden uns bei diesem Thema ja im Spannungsfeld zwischen der Bereitschaft zu geben und der Notwendigkeit zu behalten. Wie wollen Sie die Nehmerländer überzeugen, sich vor 2019 auf neue Modalitäten zu einigen?

Kretschmann: Ich gehe davon aus, dass jeder Ministerpräsident eigentlich ein System befürworten müsste, das jeden auf die eigenen Beine stellt und anreizfreundlich ist. Daran muss jedes Land ein Interesse haben. Letzten Endes geht es ja um eine Verfassungsänderung. Die darf man natürlich nicht davon abhängig machen, ob man gerade in einer guten oder schlechten Situation ist. Was wir neu entwickeln, muss ein faires System sein. Das wird doch im Interesse aller sein.

Mittelbadische Presse: Gesetzt den Fall, Sie durften von den 1,8 Milliarden Euro, die für 2011 in den Ausgleichstopf fließen, einen großen Teil behalten. Was würden Sie mit dem Geld machen?

Kretschmann: Ich würde die Deckungslücken schließen, die wir ab dem kommenden Jahr in etwa dieser Größenordnung haben. Haushaltskonsolidierung wäre für mich das Stichwort.

Das Interview führte Andreas Richter.

Quelle:

Mittelbadische Presse
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