Interview

„Am Ende wird entschieden“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei einer Pressekonferenz im Garten der Villa Reitzenstein.

Winfried Kretschmann hat sich in der Villa Reitzenstein etabliert: Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg zeigt sich im Interview mit der Schwäbischen Zeitung als gelassener Landesvater, der den Dauerzwist um Stuttgart 21 einkalkuliert. Mit Hendrik Groth und Peter Weißenberg hat Kretschmann über seine Ziele bei Verkehrs-, Energie- und Bildungspolitik gesprochen – und seine Wünsche für die CDU.

Schwäbische Zeitung: Herr Kretschmann, Grün-Rot hat mit Stuttgart 21 ein riesiges Problem am Hals. Aber an Ihnen selbst scheint derzeit alles abzuprallen. Sie stoßen fast überall auf Zustimmung. Wie machen Sie das?

Winfried Kretschmann: Bei Stuttgart 21 wusste ich, was auf mich zukommt. Ich wusste, was es bedeutet, wenn man in einer so wichtigen landespolitischen Frage mit jemand koaliert, der konträrer Auffassung ist. Eigentlich ist das eine koalitionverhindernde Differenz. Es ging nur über die Einigung auf ein Verfahren, an dessen Ende die Volksabstimmung steht. Wenn Sie so etwas machen, müssen Sie sich über das Risiko bewusst sein. Da ich darauf vorbereitet war, sehe ich das gelassen.

Schwäbische Zeitung: Sie setzen jetzt auf eine Volksabstimmung, bei der aufgrund der hohen Hürden fast klar ist, was rauskommt. Sie können den neuen Tiefbahnhof eigentlich nicht mehr verhindern. Ist das dann nicht eine Geringschätzung der Wähler?

Kretschmann: Das sehe ich überhaupt nicht so. Nicht wir entscheiden, sondern das Volk. Wenn das Volk mit Mehrheit über dem Quorum entscheidet, dann werden wir uns an der Finanzierung nicht beteiligen. Über mehr können wir sowieso nicht entscheiden. Ich nehme aber an, dass das Projekt fällt, wenn wir uns nicht mehr beteiligen. Gut, man kann sagen, es ist unwahrscheinlich, dass das Quorum geschafft wird. Aber auch diese gigantisch hohe Hürde kann genommen werden. In der Politik geschehen unvorhergesehene Dinge, „Wunder“ im Sinne von Hannah Arendt. Dass ich der erste grüne Ministerpräsident bin, wer hätte das vor einem Jahr zu denken gewagt? Nicht mal ich.

Schwäbische Zeitung: Stört es Sie nicht, dass noch bis Dezember alle nur über S 21 reden werden und nicht über das, was die Koalition sonst noch macht?

Kretschmann: Auch das war mir bewusst. Der Ausstieg aus der Atomenergie, an dem wir mitgewirkt haben, bleibt aber Faktum. Egal ob jetzt viel darüber geredet wird oder nicht. Und wenn ich mir die aktuellen Umfrageergebnisse anschaue, scheinen die Leute schon wahrzunehmen, dass wir auch noch etwas anderes tun, als über Stuttgart 21 zu reden.

Schwäbische Zeitung: Bei der Bildungspolitik haben Sie sich einiges vorgenommen. Sie wollen die Gemeinschaftsschule einführen. In Nordrhein-Westfalen wurde gerade ein Burgfrieden zwischen der rot-grünen Regierung und der CDU vereinbart. Wäre das auch hier denkbar?

Kretschmann: Wir sind in einer ganz anderen Situation. In Nordrhein-Westfalen regiert Rot-Grün als Minderheitsregierung, daher muss man dort den Schulterschluss mit der Opposition suchen. Ich habe der Opposition im Landtag in meiner ersten Rede angeboten, dass ich das gerne im Konsens machen würde. Das Problem ist aber, dass die CDU im Moment in der Bildungspolitik orientierungslos ist. Die baden-württembergische CDU bekriegt ja schon die eigene Bundesbildungsministerin. Solange die CDU innerparteiliche Konflikte austrägt, wird sie nicht stark genug sein, um mit uns zu verhandeln. Die ideologische Blockaden sind bei der CDU noch nicht aufgelöst. Es ist aber auch noch Zeit, denn wir gehen das behutsam an. Erst mal geht es darum, die Gemeinschaftsschulen in einer zweistelligen Größenordnung zu etablieren. Dann müssen diese Schulen sich bewähren, und dann geht man vielleicht einen Schritt weiter.

Schwäbische Zeitung: Für die CDU ist die Gemeinschaftsschule doch ein ideales Ziel für politische Angriffe.

Kretschmann: Wir werden bis 2020 200.000 Schüler weniger haben. In einer solchen Situation muss man das Schulsystem ändern. Wir werden das unter der Überschrift „individuelle Förderung“ machen. Es gibt viele Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Es geht nicht nur um die Gemeinschaftsschule. Die Ganztagesschule und das rhythmisierte Lernen haben für uns erste Priorität. Und hier herrscht ja Konsens. Ich sehe nicht die Gefahr, dass die CDU über die Schuldebatte Boden gewinnt, weil die CDU darüber zerstritten ist. Und aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Mit einer Mäkelopposition kommt man nicht weit.

Schwäbische Zeitung: Wie kommen Sie mit der Energiewende bei der EnBW voran?

Kretschmann: Die EnBW ist ein Unternehmen aus der energiepolitisch alten Zeit, mit sehr hohem Atomstromanteil. Wir stehen vor der großen Herausforderung, dieses Unternehmen umzubauen: In Richtung erneuerbare Energien und in Richtung Kraft-Wärme-Kopplung. Und das in enger Kooperation mit den Kommunen. Das wird ein schwerer Weg, aber wir werden das schaffen. Ich habe hier aber auch große Probleme von meinem Vorgänger übernommen, der die EnBW-Aktien zu einem weit überhöhten Preis auf Kredit gekauft hat. Wenn jetzt in der Übergangsphase die Ertragslage des Unternehmens erst mal schwierig wird, da wir auch investieren müssen, habe ich schon das Problem, dass mir die Zinszahlungen auf die Füße fallen könnten. Das ist keine leichte Baustelle.

Schwäbische Zeitung: Wie nehmen Sie die Bevölkerung im ländlichen Raum bei der Energiewende mit? Wo immer ein Windrad gebaut werden soll, gibt es größte Proteste.

Kretschmann: Wenn man aus Atomkraft und Kohleverstromung aussteigen will, braucht man Alternativen. Und ohne Windkraft ist das nicht zu machen. Wir bauen darauf, dass im Sinne des Gemeinwohls die Einsicht herrscht, dass es notwendig ist. Und wir halten damit Wertschöpfung im eigenen Land. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet im Land des Maschinenbaus diese modernen Anlagen nicht gebaut würden.

Schwäbische Zeitung: Aber Windräder sind umstritten. Wenn jetzt neue Elemente der Bürgerbeteiligung eingeführt werden, dann dauert es doch Jahre, bis Anlagen gebaut werden können.

Kretschmann: Wenn wir die Bürger mehr beteiligen, heißt das nicht, dass wir aus Baden-Württemberg den größten Debattierklub aller Zeiten machen, in dem nichts mehr entschieden wird. Bürgerbeteiligung heißt, wir führen eine faire Diskussion, aber am Ende wird entschieden. Ich fürchte außerdem nicht, dass wir einen riesen Aufstand bekommen.

Schwäbische Zeitung: In der aktuellen Eurokrise scheint es nicht mehr zu gelingen, den europäischen Gedanken mit Leben zu erfüllen. Was tun?

Kretschmann: Ich halte das für ein Drama, mit welch kleiner Münze hier geklingelt wird. Von der großen Vision der europäischen Integration redet man gar nicht mehr. Mit 27 Außenministern werden wir in einer globalisierten Welt nichts mehr ausrichten. Ich werde alles tun, was in meinen – in dieser Hinsicht bescheidenen – Möglichkeiten liegt, um wieder für ein Europa als großartige Vision von Freiheit, Frieden und Wohlstand zu werben. In der ersten großen Krise dürfen nicht nur die nationalen Interessen in den Vordergrund gestellt werden. Die europäische Integration ist neben der Ökologie die zweite große Vision, die mich persönlich bewegt.

Quelle:

Schwäbische Zeitung
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